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Vatikanische Gespräche 1918 bis 1938

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In seinem grundlegenden zweibändigen Werk „Österreich und der Vatikan, 1846 bis 1918“ hat Engel- Janosi die diplomatische Geschichte der Beziehungen jener einstmals bestandenen europäischen Macht, die Leopold von Ranke die „Katholische“ nennt, zum Heiligen Stuhl geschrieben. In der hier vorliegenden Neuerscheinung fährt der Autor fort in der Beschreibung dessen, worin die klein gewordene Alpenrepublik zu Zeiten versucht, eine Kulturnachfolge des alten Österreichs anzutreten. Engel- Janosi hat schon bei früheren Gelegenheiten die auch hierzulande bestehende Angst ad absurdum geführt, die darin besteht, daß man von einer ernsthaft und folgerichtig betriebenen Erforschung und Darstellung jener geschichtlichen Ereignisse der tragischen Ära 1918 bis 1938 gefährliche Folgen erwartet. Indem man so aus vermeintlicher staatsmännischer Weisheit und zur Schonung menschlicher Empfindlichkeit die Dinge lieber unter Verschluß beließ, ließ man auch Archive unter Verschluß, hielt man sich an Sperrfristen, die nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der Räson des Staates im Wege standen. Einen ungebührlichen und eher schädlichen Nutzen zog aus dieser Situation jenes politische Pamphletistentum, das, anstatt History zu erforschen und darzustellen, die zeitgeschichtliche Story in sensationeller Aufmachung verhökert.

Das vorliegende Werk berührt Im starken Maße die Ereignisse rund um das Aufkommen des Faschismus in Italien, des Nationalsozialismus im Deutschen Reich und des autoritären Regimes in Österreich. Allen drei

betroffenen Staaten gelang es schließlich, die Beziehung des Staates zur katholischen Kirche konkor- datär zu ordnen. Das österreichische Konkordat, umstritten in der Ära des Entstehens (1931 bis 1934), wurde nach 1945 eines der belastendsten Probleme der österreichischen Innenpolitik. Die Sozialisten waren bereit, eines der Fundamente der Wiedererrichtung des Staates im Jahre 1945 zu opfern, nämlich die sogenannte Okkupationstheorie (Österreich wurde 1938 besetzt, nicht annektiert, bestand als Staat nach 1938 fort; die vor 1938 geschlossenen internationalen Verträge bestehen fort) preiszugeben, um das bestehende Vertrags-

werk dieses Konkordats wegzueska- motieren. Das vorliegende Werk eröffnet keine sensationellen Aspekte in dieser Frage; denn der Autor ist Historiker und nicht Story-teller. Aber es löst das Problem aus jener einseitigen Verstrickung, in die es geriet, nachdem Adolf Schärf nur den

„Exzeß“ des Dollfuß-Regimes gesehen hatte.

Nunmehr scheinen auch die vor sowie nach dem 12. Februar 1934 unternommenen Bemühungen der vatikanischen Diplomatie auf, mit denen die österreichische Regierung zu einer echten „Befriedungsaktion“, insbesonders anläßlich des Abschlusses der heiligen Jahres 1933 gedrängt wurde. Pius XII., dessen Pontifikat allerdings erst in die Zeit nach dem Endtermin des Buchthemas fällt, gehört als Kardinalstaatssekretär zu den zentralen Figuren des vom Autor gewählten Zeitraumes der Darstel

lung. Darnach wird man sich von der vor allem hierzulande reichlich genährten Abwertung des Persönlichkeitsbildes des Papstes einige Korrekturen gefallen lassen müssen. Man möchte annehmen, daß Rolf Hochhuths Bühnenwerk „Der Stellvertreter“ immer mehr aus der Klassifikation: Interpretation der Geschichte und der Geschichtsphilosophie, ausscheiden wird, um mit den Eigenschaften: kassenwirksam, zeitentsprechend usw. richtig gereiht zu werden.

Der Autor folgt ziemlich genau den Spuren jener „Brückenbauer“ der dreißiger Jahre, die damals dem Katholizismus die „Öffnung nach rechts“ hin öffnen wollten; sei es Franz von Papen im Deutschen Reich, sei es der Bischof aus Österreich Alois Hudai, dessen 1936 erschienenes sensationell wirkendes Buch „Die Grundlagen des Nationalsozialismus“ etwa so viele Verwirrungen anrichtete, wie Publikationen der Vertreter der „Revolutionären Theologie“ und Konsorten in unseren Tagen.

Das vorliegende Werk gestattet Vergleiche zwischen der Distanz, die der Vatikan zum Nationalsozialismus und zum Dritten Reich legte, mit jenem Appeasement, bei dem sich Großbritannien ab 1936 Hitler näherte; mit dem Canossagang Frankreichs nach München (1938); mit der Erwerbsgenossenschaft auf Zeit, die Hitler und Stalin 1939 eingingen, um die vierte Teilung Polens zu bewerkstelligen. In einer Zeit wie der jetzigen, in der sich die Sieger von 1945 und die Deutschen mit der Gewalt der Tatsachen abflnden, bekommt das Wort des Zwölften Pius aus der Zeit des Kriegsbeginnes und des Anfangs der Katastrophe eine vorher nie gekannte Sinnfälligkeit: Nichts ist verloren mit dem Frieden, alles kann verloren sein mit dem Krieg.

Die Monarchie, besser: ihr Monarch war am Vatikan stets durch die hervorragendsten Typen ihrer Diplomaten der alten Schule vretreten. Die

junge Republik schickte in den ersten beiden Jahrzehnten ihres Bestandes nacheinander einen Universitätsprofessor, der zwar „Historiker der Päpste“, aber kein Diplomat war, und einen im Konsulardienst bewährten Beamten an den Vatikan. Die eher bläßlichen Berichte dieser im Grunde so apolitischen Menschen lassen um so stärker die Gewalt der politischen Tatsachen erkennen, denen sie in ihren Papieren oft so seltsam gegenüberstehen. Hier soll nicht gewertet werden, wie nützlich diese Papiere im Zeitpunkt ihres Entstehens dem Ballhausplatz waren. Dem Historiker sind diese Dokumente eines Verzichtes auf jedes Eifertums wertvoller als glutvolle Bekenntnisse eines Engagements.

Man wird wünschen, daß die Geschichtsforschung nunmehr im steigendem Maße und mit umfangreichen Programmen mit der Erforschung und Darstellung des Sediments der jüngst versunkenen Ära der österreichischen Geschichte beginnt. Wie dies der Autor nicht nur bei dem gegebenen Anlaß getan hat.

VOM CHAOS ZUR KATASTROPHE. Von Friedrich Eng el- J anosi. Verlag Herold, Wien-München 1971. 321 Seiten, 12 Abb., S 268.—.

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