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Venus ist schlank

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Nicht mehr als 7,2 Zentimeter mißt die älteste Frauenstatuette der Welt, die Christine Neugebauer-Maresch im September bei einer vom Land Niederösterreich und dem Naturhistorischen Museum unterstützten Rettungsgrabung des österreichischen Bundesdenkmalamtes auf dem Galgenberg nördlich von Krems gefunden hat. Wie aus den nun vorliegenden Ergebnissen der Radiokarbonuntersuchungen hervorgeht, ist dieses Figürchen aus Serpentinschiefer 30.000 Jahre alt und zählt somit um rund 5.000 Lenze mehr als die weltberühmte elf Zentimeter große „Venus von Willendorf“ aus Kalkstein.

Im Unterschied zu den meisten der insgesamt etwa 130 Frauenstatuetten mit dickem Bauch, fettem Steiß, üppigen Brüsten, kleinem gesichtslosem Kopf und aufrechter Haltung, die bislang zwischen Atlantik und Baikalsee entdeckt worden sind, ist dieses Kleinkunstwerk der Eiszeit schlank. Es gleicht darin der etwa gleichaltrigen Darstellung eines Mannes mit Löwenkopf, der 28 Zentimeter großen Elfenbeinplastik aus dem Hohlenstein-Stadel in der Schwäbischen Alb. Bei seiner Auffindung im Jahre 1939 in rund hundert Teile zerfallen, setzte erst dreißig Jahre später der Tübinger Eiszeitspezialist Joachim Hahn diese Plastik wieder zusammen und gab ihr den Namen „Zauberer“.

Bereits während des Schnitzens zerbFochen sein dürfte entsprechend der Fundsituation dem Eiszeitkünstler vom Galgenberg seine eindeutig weibliche Figur. Er ließ sie unvollendet auf dem sich über die ganze Anhöhe erstrek-kenden Lagerplatz einer Jäger-und Sammlergesellschaft liegen, von der vorläufig Holzkohlenreste des Lagerfeuers, Knochen eines Wollnashornes, das Geweih eines Rentieres und die typischen Schaber und Kratzer der als Auri-gnacien bezeichneten Kulturstufe des Jungpaäolithikums (35.000 v. Chr. bis 11.000 v. Chr.) zutage gekommen sind.

Da die merkwürdigerweise mit nur einer Brust dargestellte, vorne plastisch, hinten flach gearbeitete, Ritzspuren aufweisende Venusstatuette den linken Arm hebt und ihr Oberkörper eine leichte Drehung zeigt, gab ihr die Ausgräberin den Namen „Tanzende Venus vom Galgenberg“. Auch hierin zeigt die kleine Dame eine Parallele zu einem Fund aus der Schwäbischen Alb. Allerdings handelt es sich bei jenem Kleinkunstwerk weder um das Abbild einer Frau noch um eine Plastik, sondern um eine Mensch-Tier-Gestalt, die halb-reliefartig aus einem flachen, rechteckigen Stück eines Elfenbeinstoßzahnes geschnitzt ist.

Wie jede Eiszeitkunst, egal ob aus der Kulturperiode des Auri-gnacien (35.000 v. Chr. bis 28.000 v. Chr.), aus dem Gravettien (28.000 v. Chr. bis 25.000 v. Chr.) oder aus dem Magdalenien (15.000 v. Chr. bis 11.500 v. Chr.), wurde nach Meinung von Neugebauer-Maresch die „Tanzende Venus vom Galgenberg“ nicht um der Kunst willen geschaffen. Sie diente dem Kult, der im Leben unserer frühesten Vorfahren eine bedeutende Rolle spielte.

Während die meisten Wissenschafter in den aus weichem Gestein, Mammutelfenbein, Geweih und gelegentlich auch schon aus Ton (Mähren, Sibirien) gefertigten dicken Damen Fruchtbar-keits- oder Muttergottheiten sehen, die in den Lößboden oder in die Wände der unterschiedlich großen, unterschiedlich gestalteten Behausungen gesteckt worden sind, kann aufgrund des nach wie vor sehr spärlichen Materials aus dem Aurignacien noch nichts über die sakrale Funktion der geschlechtslosen Mensch-Tier-Gestalten gesagt werden.

Nur auf Vermutungen basiert einstweilen auch die Theorie, eine erhobene Armhaltung sei als Anbetungsgeste zu werten. Und der Meinung mancher Wissenschafter, im Aurignacien sei es „modern“ gewesen, schlanke Menschen zu porträtieren, während die Darstellung des betont Weiblichen dem Zeitgeschmack jüngerer Kulturen entsprochen hätte, steht jene entgegen, die in der Fettleibigkeit eine während des Gravettien grassierende Hormonstörung erkennen.

Christiane Neugebauer-Maresch wird auf jeden Fall im nächsten Jahr auf dem Galgenberg, auf dem das Stift Kremsmünster wie vor Jahrzehnten möglichst bald wieder Wein bauen möchte, weitergraben. Nach Abschluß der wissenschaftlichen Untersuchungen werden die Fundgegenstände in einer Sonderausstellung der Öffentlichkeit präsentiert. Wo die „Tanzende Venus“ ihr endgültiges Domizil finden kann, steht angesichts der ungeklärten Besitzverhältnisse (als Grundeigentümer das Stift, als Finder der Bund) noch nicht fest.

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