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VERÄNDERUNGEN, WOHIN MAN SCHAUT

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Gerade sind sie erst zu Ende gegangen, die achtziger Jahre. Aber schon verblaßt die Erinnerung an das, was sie gekennzeichnet hat. Liegt das historische Ereignis des Zusammenbruchs des kommunistischen Ostens nicht bereits in weiter Ferne?

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Gerade sind sie erst zu Ende gegangen, die achtziger Jahre. Aber schon verblaßt die Erinnerung an das, was sie gekennzeichnet hat. Liegt das historische Ereignis des Zusammenbruchs des kommunistischen Ostens nicht bereits in weiter Ferne?

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Mit dem Fall des Eisemen Vorhangs ist Österreich wieder ins Zentrum Europas gerückt. Wer erinnert sich noch an die Invasion Wiens durch die Ungarn, den Run auf elektronische Geräte in der „Magyar"hilfer-straße, an die staunenden Blicke unserer Nachbarn aus Bratislava, als sie erstmals frei nach Wien reisen und unseren westlichen Standard bewundern konnten?

Politisch waren es die Jahre der zu Ende gehenden Ära Kreisky. Dann das Intermezzo der rot-blauen Regierungskoalition: Fred Sinowatz als Bundeskanzler. Die achtziger Jahre tragen aber auch die Marke von Krisen und Skandalen: Hainburg, Nori-cum, Klimatechnik, AKH... Der Katholikentag vor zehn Jahren, die beiden Papstbesuche schienen einen Aufbruch in der Kirche zu signalisieren.

Was aber sind die Merkmale dieses Jahrzehnts, wenn man es im Lichte der Statistik - die ja immer umfangreicher wird - betrachtet? War es eines der Konsolidierung nach dem dynamischen Wiederaufbau in den Jahren nach dem Krieg, nach der langen Periode des Wirtschaftswunders, das weit bis in die siebziger Jahre gereicht hat? Immerhin war man sich langsam bewußt geworden, daß es Grenzen für das wirtschaftliche Wachstum geben müsse. Die beiden Erdölkrisen (1973 und 1979) hatten das scheinbar so gut geölte, wirtschaftliche Gefüge der Industriegesellschaft doch einigermaßen erschüttert.

Kam es also zu jener Stabilisierung, die immer vehementer vor allem von jenen gefordert wurde, die sich wegen der Zerstörung der Umwelt Sorgen machten?

Keineswegs. Auch die achtziger Jahre waren durch eine gigantische Dynamik in nahezu allen Bereichen gekennzeichnet. Es genügt zu erwähnen, daß allein die zu Beginn des Jahrzehnts ins Stocken geratene wirtschaftliche Entwicklung durch ein Wachstum von rund 30 Prozent gekennzeichnet war (siehe Seite 11). Durchstarten war die Parole, nicht nur in Österreich. Ronald Reagan und Margret Thatcher sind die Markennamen für diese neuerliche Dynamisierung der westlichen Wirtschaft gewesen.

Und Österreich hat da „erfolgreich" mitgehalten - wenn auch mit einer massiven Zunahme der Verschuldung (Anstieg der öffentlichen Verschuldung von 37 Prozent des BIP (1980) 57 Prozent zehn Jahre später, Anstieg der privaten auf das 2,5fache).

Der materielle Wohlstand in unserem Land hat ein Niveau erreicht, das selbst Ende der sechziger Jahre (als es uns wirtschaftlich schon sehr gut ging) kaum vorstellbar gewesen wäre.

Nun - daß sich die Wirtschaft ändert, daran haben wir uns gewöhnt. Was dem Beobachter des Datenmaterials aber vor allem auffällt, das ist die -Allgemeinheit des Phänomens Wandel. Kaum ein Bereich blieb da verschont:

□ Verändert hat sich unser Lebensraum. Österreich wird ein Volk von Städtern, rund 10.000 Hektar landwirtschaftlicher Fläche wurden für den Hausbau geopfert.

□ Es verändern sich auch die Formen des Zusammenlebens. Die Österreicher leben in immer kleineren, instabileren Familieneinheiten. Es steigt der Anteil der Haushalte mit zwei oder weniger Kindern (um etwa 14 Prozent), während der Anteil der Mehr-Kinder-Haushalte rapid sinkt

(vier und mehr Kinder: - 41 Prozent). Ende der siebziger Jahre gab es in 72 Prozent aller Haushalte keine Kinder.

□ Enormer Anstieg der Investition in die Ausbildung: 23 Prozent mehr Maturanten pro Jahr (1990 waren es 32.000), Verdoppelung der Zahl der Hochschüler auf über 200.000...

□ Änderung auch bei der Länge der durchschnittlichen Lebensdauer: um rund drei Jahre - und das obwohl schon die siebziger Jahre einen gleich großen Anstieg gebracht hatten.

□ Selbst die Einstellung zu den Werten und zum Glauben hat sich in der letzten Dekade verändert. Man gibt sich zwar religiös, verliert aber den Kontakt zur Kirche (siehe Seite 11).

Alles ist in 'Bewegung. Nirgends ein Fixpunkt. Konstant scheint nur der Zwang zur Veränderung zu sein. Das ist nicht zuletzt deswegen beachtlich, weil ja auch die siebziger Jahre alles andere als Zeiten der Stagnation gewesen sind: einen Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens von rund 40 Prozent, eine Explosion des Budgetdefizits von 7,2 Milliarden Schilling im Jahr 1970 auf 91 im Jahr 1983, eine enorme Produktivitätssteigerung in der Industrie (um 80 Prozent zwischen 1971 und 1983), eine Verdoppelung des PKW-Bestandes, eine Verdreifachung des Anteils der Wohnungen mit Zentralheizung und Bad...

Diese Trends haben sich in den achtziger Jahren fortgesetzt. Es ist nur schwer vorstellbar, daß diese Trends über weitere Jahrzehnte fortgesetzt werden könnten. Denn parallel zu Erscheinungen, die wir als positiv werten (wie den höheren materiellen Standard und die größere Lebenserwartung), gewinnen auch bedrohliche Phänomene wie die Kriminalität und die Umweltbelastung an Bedeutung.

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