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Verantwortung der Weltchristen

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Im Wintersemester 1981/ 82 veranstaltete das Institut für Moraltheologie in Salzburg eine Ringvorlesung. Nun liegen die gedruckten Texte vor: ein wirklich wichtiges Buch.

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Im Wintersemester 1981/ 82 veranstaltete das Institut für Moraltheologie in Salzburg eine Ringvorlesung. Nun liegen die gedruckten Texte vor: ein wirklich wichtiges Buch.

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Jeder Mensch ist zugleich „Individuum und Glied“ — ihm kommt Einzelsein und Gliedsein zu. Deshalb sind beide Denkentwürfe falsch, die dem vergangenen und unserem Jahrhundert soviel zu schaffen machten: der philosophische Individualismus und der philosophische Sozialismus.

Für den einen existiert nur der „einzelne und sein Eigentum“ (Max Stirner), für den anderen nur das „Glied der Gemeinschaft“ (Karl Marx). Dieses verflucht simple Entweder-oder-Denken ist es, das uns Menschen noch zu zerreißen droht. Statt zu sagen: sowohl als auch, glaubt man, Wissenschaft sei erst dann erreicht, wenn man alles zu Tode analysiert (= auflöst)…

Niemand, der Verantwortung tragen kann, darf sich selbst ausschließen. Denn er hat kraft des multiplen Seinszusammenhanges den Auftrag zur Selbstverwirklichung und zur Mitwirkung an der Verwirklichung von Personen- Gemeinschaften. Dieses personale Urprogramm — „zugleich für sich und für andere“ — ist auch die Grundforderung jeder gesunden katholischen Moraltheologie.

STEFAN REHRL

Univ.-Prof, für Moraltheologie, Salzburg

Nicht um den Schutz einer gewachsenen und verantworteten Lebensführung mit eigenen sittlichen Ansprüchen, noch um den Schutz des Privatraumes geht es heute, wenn sich beispielsweise Stadtindianer oder Homosexuelle zusammenschließen.

Früher oder später geht es bei all diesen Zusammenschlüssen anhand punktueller Wählbarkeiten doch gerade um öffentliche Anerkennung, Durchsetzung, Unterstützung und Werbung.

Wer mit wem zusammenlebt, ist Sache des Privatraumes. Aber wenn diejenigen, die frei Zusammenleben, sich organisieren, um durch Druck die rechtliche Gleichstellung solcher Gemeinschaften mit der Ehe (mit all den sozialrechtlichen und sonstigen geistigen, kulturellen weiteren Konsequenzen) zu erreichen, so entsteht ein öffentliches Problem.

Wenn die gewachsenen Lebensformen von Gruppen dahinschwinden, kann man kaum noch von pluralistischer Ethik sprechen; wenn die Menschen sich sozial nicht mehr verorten, entsteht eine Ethik der individuellen Beliebigkeit, mit der keine Gesellschaft leben kann. Denn in jedem Fall gilt ja, daß alle private Moral irgendwo eine Grenze an einer öffentlichen Moral finden muß, ohne die kein Staat leben kann …

FRIEDRICH H. TENBĘUCK Univ.-Prof, für Soziologie, Tübingen ».

Gelänge es, Gebote einer Moral als immer und überall verpflichtend zu erweisen, so wäre damit ein entscheidender Schritt zum Nachweis eines Naturrechts getan. Es. wäre das allerdings doch nur ein Schritt — denn die allgemeine und zeitlose Anerkennung eines moralischen Gebotes macht dieses noch nicht zum Naturrechtsatz.

Wir müssen noch einen weiteren Abstrich machen: die historische Erfahrung lehrt, daß viele Rechtsätze, die unserem heutigen moralischen Urteil als schlecht erscheinen, von der zeitgenössischen Rechtskultur, aus der sie stammen, unbedenklich akzeptiert worden sind.

Das gilt zwar nicht für die anti-

ke Sklaverei, auf deren Naturrechtswidrigkeit immer wieder hingewiesen worden ist, wohl aber für die Geschwisterehe, die man im ägyptischen Recht lange Zeit ganz unbedenklich bejaht hat, während sie dann den Römern als sittenwidrig erschienen ist.

Häufig erscheint ein Rechtsatz erst ex post als moralisch verfehlt — nämlich dann, wenn das System, dem er angehört hat, zusammengebrochen ist. Das gilt für die Rechtsvorschriften, auf denen die Hexenverfolgung beruht hat, ebenso wie für die nationalsozialistischen Rassengesetze.

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß jene Rechtsätze, die mit der heute sogenannten Fristenlösung Zusammenhängen,

einmal einem ähnlichen Verdikt unterliegen könnten.

THEO MAYER-MALY Univ.-Prof, für Juristische Dog- men-

Wir müssen demnach zuerst zur Kenntnis nehmen, daß es eine vollkommene Natur, ein Paradies auf Erden, nicht gibt und daß auch die Menschen viele Fehler haben. Zweitens müssen wir erfassen, daß die Natur im weiteren Sinne und im speziellen die Ökosysteme für den Menschen nutzbar sind, aber nicht unbeschränkt nutzbar.

Wenn heute verschiedentlich Umwelt- und Naturschützer glauben, zu einer mystischen Grundhaltung gegenüber der Natur zurückkehren zu müssen, dann liegt darin eine Verzerrung des Grundsatzes der Ökologie vor. Ökologen und Nichtökologi- sten müssen bemüht sein, im Falle von Fehlentwicklungen in Ökosystemen die einzelnen Wirkungsfaktoren zu erkennen und mit allen Mitteln der Naturwissenschaften beizutragen, eine Lösungsstrategie zu entwickeln.

Ökologie kann nicht durch eine unwissenschaftliche Ideologie ersetzt werden, sie wird sonst in ihrer Verzerrung ebenso schädlich wirken, wie dies z. B. dann geschieht, wenn Gesundbeten die Arbeit des gewissenhaften Arztes ersetzen soll…

Wir müssen über die Natur nachdenken, die Zusammenhänge zu erfassen suchen, aber wir müssen uns auch darüber im klaren sein, daß menschliches Leben, auch in Ökosystemen, immer eine Gefährdung darstellt. Denn die Möglichkeit der Störung, die Möglichkeit auch der Katastrophe besteht immer.

Menschliches Denken kann jedoch manche Fehler voraussehen und dadurch deren Wirkung mildern, und menschliches Mitfühlen kann nach Eintreten eines Fehlers oder einer Katastrophe dazu führen, daß die ärgsten Härten beseitigt werden und daß es wieder zum Aufbau ökologischer Gleichgewichte kommt…

Umweltschutz ist daher nicht Herstellung einer „intakten und vom Menschen unbeeinflußten Natur“ sondern das Maßnahmenpaket, das hilft, Umweltschädi gungen zu verhindern, zu vermeiden oder zu mildern …

Nicht in einer Konfrontation zu einer „herkömmlichen“ Wissenschaft und Technologie wird die Lebensgrundlage auf der Erde für viele Menschen mit gleicher Lebensberechtigung erhalten, sondern in einer sinnvollen („weisen“) Zusammenarbeit von Wissenschaft, Technologie und Ökonomie. HANS ADAM

Univ.-Prof, für Zoologie, Salzburg «

Die hinter uns liegende christlich-abendländische Ehemoral ist weithin charakterisiert durch eine verkürzte Sicht der menschlichen Sexualität; Jahrhunderte hindurch war es vorherrschende kirchliche Lehrmeinung, daß vorrangiger oder gar einziger Zweck der ehelichen geschlechtlichen Vereinigung die Zeugung von Nachkommenschaft sei. Insofern wertete man die Geschlechtlichkeit des Menschen funktional…

Trotz gnostischer und mani- chäischer Vorstellungen, die eine Minderbewertung des Leiblichen wie des Geschlechtlichen und einen Leib-Seele-Dualismus förderten, kam es jedoch im Verlauf dieser Geschichte niemals zu einer völlig negativen Wertung von Ehe und Familie. Theologen aus dem Umkreis von Augustinus sahen die Ursünde als Sünde der Sexualität an; dies mußte zu einer Sexualisierung des Sündenverständnisses und zu einer Fixierung auf eine vorrangige Bewer tung des Sexualverhaltens führen.

Diese Engführung der Ehemoral auf eine negative Sexualmoral hin schlug sich schließlich auch in einer Umformulierung des sechsten Gebotes des Dekalogs in der uns noch bekannten Formel nieder: „Du sollst nicht Unkeuschheit treiben!“

Die Sprache verrät den Menschen! Eine sprachliche Analyse dieser Formulierung mit der doppelten Verneinung, dem abstrakten Wort „Keuschheit“ und dem aggressiv besetzten Verb „treiben“ läßt uns heute geradezu erschrecken, wie wenig man positiv für eine rechte Formung und Gestaltung menschlichen Sexualverhaltens zu sagen wußte …

Geht man von der Tatsache aus,

daß menschliches Leben, ja auch die Ehe Prozeßcharakter tragen, daß es also einen entsprechenden Entwicklungsprozeß im Sinne einer Reifung gibt, so legt sich auch hier die Frage nahe, welche Vorstufen und Entwicklungsphasen es auf dem Weg zur Ehe geben kann…

Moralpädagogisch sollte primär nicht mit Verboten oder negativen Zielsetzungen, sondern positiv mit Ermutigung und mit einer entsprechenden Motivation gearbeitet werden.

Jede Sexualerziehung wird von der Tatsache auszugehen haben, daß bei zahlreichen Jugendlichen bereits voreheliche Beziehungen eine Realität darstellen und von diesen als „normal“ empfunden werden. Weder ein fatales Hinnehmen dieser Realität noch die Erweckung schwerer Schuldängste zur Herbeiführung ethischer Konformität sind hier angezeigt …

Jungen Menschen ist Hilfestellung für den Entwicklungs- und Reifungsprozeß zu leisten.

JOHANNES GRUNDEL Univ.-Prof, für Moraltheologie,

München

Alle Auszüge aus: CHRISTLICHE VERANTWORTUNG IN DER WELT DER GE- GENWART. Hrsg. Stefan Rehrl. Pustet-Ver- lag, Salzburg 1983. 215 Seiten, öS 330,—.

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