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Verantwortung für Niemand darf sich

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Einer der großen lebenden Philosophen stellt Gedanken über unsere Überlebenschancen - und die Voraussetzungen für das Überleben der Menschheit an. Jeder von uns ist angesprochen, denn jeder trägt Mitverantwortung. Im folgenden Auszüge aus dem von der FURCHE mitveranstalteten Vortrag.

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Einer der großen lebenden Philosophen stellt Gedanken über unsere Überlebenschancen - und die Voraussetzungen für das Überleben der Menschheit an. Jeder von uns ist angesprochen, denn jeder trägt Mitverantwortung. Im folgenden Auszüge aus dem von der FURCHE mitveranstalteten Vortrag.

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Der Mensch ist das einzige uns bekannte Wesen, das Verantwortung haben kann. Indem er sie haben kann, hat er sie auch. Die Fähigkeit zur Verantwortung bedeutet schon das Unterstelltsein unter ihr Gebot: Das Können selbst führt mit sich das Sollen.

Die Fähigkeit aber zur Verantwortung - eine ethische Fähigkeit — beruht in der im Wesen des Menschen gelegenen Befähigung, zwischen Alternativen des Handelns mit Wissen und Wollen zu wählen. Verantwortung ist also komplementär zur Freiheit. Sie ist die Bürde der Freiheit eines Tatsubjekts: Ich bin verantwortlich mit meiner Tat (ebenso wie mit ihrer Unterlassung) — und das unabhängig davon, ob jemand da ist, der mich jetzt oder später zur Verantwortung zieht.

Verantwortung besteht also mit oder ohne Gott und natürlich erst recht mit oder ohne einen irdischen Gerichtshof. Dennoch ist sie—außer für etwas—die Verantwortung vor etwas, vor einer verpflichtenden Instanz, der Rechenschaft zu geben ist. Diese Instanz, so sagt man wohl, wenn man an keine göttliche mehr glaubt, ist das Gewissen.

Aber damit verschiebt man nur die Frage: Vor wem oder was sind wir dann in unserem Gewissen verantwortlich? Erkunden wir, ob sich vielleicht aus dem „Wofür“ der Verantwortung auch ihr „Wovor“ ableiten läßt.

Verantwortlich bin ich natürlich für die Folgen meines Tuns -in dem Maße, wie sie ein Sein betreffen. Also ist wirklicher Gegenstand meiner Verantwortung dieses von mir beeinflußte Sein. Das hat aber ethischen Sinn nur, wenn dieses Sein etwas wert ist: Einem wertneutralen Sein gegenüber kann ich alles verantworten. Und das ist gleichbedeutend damit, daß ich nichts verantworten brauche.

Wenn nun (und wann immer) Seiendes werthaltig ist, dann entfaltet dessen Sein einen Anspruch gegen mich. Vom Sein der Dinge selbst — nicht erst vom Willen eines persönlichen Schöpfergottes ihretwegen — kann daher ein Gebot ergehen und mich meinen.

Das Sein von dem oder jenem ist es, wofür die einzelne Tat eine Verantwortung eingeht. Das Sein des Ganzen in seiner Integrität ist die Instanz, wovor sie diese Verantwortung trägt. Die Tat selber aber setzt Freiheit voraus. Zwischen diesen zwei seinsmäßigen Polen also, der menschlichen Freiheit und der Werthaftigkeit des Seins, steht die Verantwortung als die ethische Vermittlung.

Die Größe unserer Macht bestimmt das Ausmaß, in dem wir die Realität beeinflussen können und 'es im Handeln faktisch tun. Daher wächst mit der Macht auch die Verantwortung. Ausdehnung der Macht ist aber auch Ausdehnung ihrer Wirkungen in die Zukunft. Daraus folgt, daß wir die gewachsene Verantwortung, die wir in jedem Fall haben, ob wir wollen oder nicht, nur dann auch ausüben können, wenn proportional auch unsere Voraussicht der Folgen wächst. Ideal müßte die Länge der Voraussicht der Länge der Folgeketten gleichkommen.

Heute haben menschliche Macht und ihr Uberschuß über jedes sichere Vorauswissen der Folgen solche Dimensionen angenommen, daß schon die alltägliche Ausübung unseres Könnens, in der ja die moderne Zivilisation routinemäßig besteht und wovon wir alle leben, zum ethischen Problem wird.

Die gestiegene Macht meinte natürlich die moderne Technik. Quantitativ und qualitativ übertrifft sie ohne Vergleich alles, was bisher der Mensch mit der Natur und sich selbst tun konnte. Hierüber brauchen wir nicht viele Worte zu machen.

Für die Grundlegung einer Zukunftsethik, wie sie hierdurch nötig geworden ist - einer Ethik, die sich für die menschliche Zukunft verantwortlich macht —, ergeben sich aus dem Vorigen zwei Ansätze oder zwei vorbereitende Aufgaben:

• Das Wissen um die Folgen unseres Tuns zu maximieren im Hinblick darauf, wie sie das künftige Menschenlos bestimmen und gefährden können;

• im Lichte dieses Wissens, ein neues Wissen von dem zu erarbeiten, was sein darf und nicht sein darf, was zuzulassen und was zu vermeiden ist.

Zuerst also etwas zum Gebot maximaler Information über späte Folgen unseres Kollektivhandelns: Mit der Großtechnik haben wir uns dem Spruch verschrieben, daß die Welt von morgen der von gestern nicht ähnlich sein wird. Damit die Unähnlichkeit nicht von verhängnisvoller Art werde, muß das Vorwissen der ihm enteilten Reichweite unserer Macht nachzukommen suchen und deren Nahziele der Kritik von den Fernwirkungen her unterwerfen.

Also wird die neue Wissenschaft (oder Kunst) der Futurologie, die uns die Fernwirkungen sehen läßt, ein in dieser Form und Funktion neuer Wert für die Welt von morgen. Sie dient nicht, wie die Wissenschaft von der Natur, auf die sie sich stützt, unsere Macht zu mehren, sondern sie zu überwachen und vor sich selbst zu schützen — letztlich also, um Macht über jene zuvor der Naturwissenschaft entsprungene Macht zu gewinnen.

Sie kann dies nur, wenn das von ihr Gewußte, das als möglich oder wahrscheinlich Gezeigte, in der Anschauung erlebt wird, so daß es das ihm angemessene Gefühl in uns erzeugt, das zum Handeln bewegt.

Nun zur anderen Vor-Aufgabe für die Grundlegung einer Zukunftsethik: einer Lehre vom Menschen, die uns sagt, was das menschlich Gute ist: Was er sein soll, worum es bei ihm geht und was ihm frommt — damit aber auch, was er nicht sein darf, was ihn mindert und entstellt.

Ein Wissen vom menschlich Guten müssen wir dem Wesen des Menschen entnehmen. Für dieses haben wir zwei Quellen: die Geschichte und die Metaphysik. Die Geschichte lehrt uns, was der Mensch sein kann — die Spanne seiner Möglichkeiten: was alles es an ihm zu bewahren und zu verderben gibt. Denn in seiner Geschichte hat sich „der Mensch“ schon gezeigt — in seinen Höhen und seinen Tiefen, seiner Größe und seiner Erbärmlichkeit, im Erhabenen und im Lächerlichen.

Doch über den Grund des wahrhaft Humanen und des Seinsollens des Menschen belehrt uns erst die Metaphysik mit ihrem ganz anderen, nicht phänomenologischen, sondern ontologischen Wissen vom Wesen. Sie ist heute philosophisch in Verruf, aber wir können ihrer-nicht entraten und müssen sie wieder wagen. Denn sie allein kann uns sagen, warum der Mensch überhaupt sein soll, also nicht sein Verschwinden aus der Welt herbeiführen oder läßlich erlauben darf; und auch, wie er sein soll, damit er den Grund, warum er sein soll, ehre und nicht hinfällig mache.

Doch die Metaphysik nötig haben heißt noch nicht, sie auch zu haben, und unserem positivistischen Denken liegt sie ferner als je. Unnötig zu sagen, daß auch ich sie nicht besitze. Ein bescheidener Anfang zu ihr wäre immerhin, so scheint mir, dem Anfangssatz dieses Vortrags abzugewinnen. Er lautet: Der Mensch ist das einzige uns bekannte Wesen, das Verantwortung haben kann.

Ebenso unmittelbar wie ihre Wesenhaftigkeit erkennen wir in dieser ontologischen Auszeichnung des Menschen, der Verantwortung fähig zu sein, intuitiv einen Wert, dessen Erscheinen in der Welt die schon vorher an Lebenswerten reiche Landschaft des Seins nicht einfach um einen weiteren Wert vermehrt, sondern alles Bisherige mit einem es gene-risch Transzendierenden übertrifft.

Es stellt eine qualitative Steigerung der Werthaltigkeit des Seins überhaupt dar, von dem wir ja sagten, daß wir letztlich ihm mit unserer Verantwortung verpflichtet sind.

Also verpflichtet Verantwortungsfähigkeit an sich ihre jeweiligen Träger, das Dasein künftiger Träger zu ermöglichen. Auf daß Verantwortung nicht aus der Welt verschwinde, so sagt ihr immanentes Gebot, sollen auch künftig Menschen sein.

Letztlich kann mein Argument nicht mehr tun, als vernünftig eine Option zu begründen, die es mit ihrer inneren Uberredungs-

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