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Verbales Opium fürs Volk

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Zwei Nachrichten flatterten in kurzer Folge auf die Schreibtische der Redaktionen: Die eine war die lapidare Mitteilung des Statistischen Zentralamtes, daß die Inflationsrate im Mai schon wieder die 8-Prozent-Marke überstiegen habe, die andere kurz vorher betraf den Budgetentwurf 1974.

Noch ein paar Tage früher, als die Phase II der stabilitätspolitischen Bemühungen anlief, las der Finanzminister den Gebietskörperschaften die Leviten wegen ihrer stabilitätsfeindlichen Ausgabenpolitik. Obwohl er selbst im Glashaus des Rekordbudgets 1973 sitzt, verstand er die Steine so geschickt zu werfen, daß fast niemand die Scherben bemerkte, die es dabei gab. Nun aber setzt sich Hannes Androsch in ein noch verglaste-res Glashaus, von wo aus das Steinewerfen schon verdammt schwierig zu

werden verspricht: das Bundesbudget 1974, das gegenüber dem Rekordbudget 1973 eine weitere Ausgabensteigerung um 21 Milliarden oder um 16 Prozent vorsieht.

Von Regierungsseite wird freilich nur von 16 Milliarden oder nicht ganz 13 Prozent Steigerung gesprochen. Diese Differenz ergibt sich aus einer Zahlenmanipulation, die ÖVP-Klub-obmann Stephan Koren nicht zu Unrecht als Trick bezeichnete. Bisher war es üblich, auch die Ermessenskredite ins ordentliche Budget einzubauen und nur im Falle einer überhitzten Konjunktur Bindungen auszusprechen, die bei Anhalten der Uberhitzung in Streichungen verwandelt wurden. Nun nimmt der Finanzminister nur die fixen Ausgaben ins Budget auf und schiebt die Ermessensausgaben in ein Eventual-budget ab und vergleicht sodann das

„Bruttobudget“ 1973 mit dem „Nettobudget“ 1974 — also Äpfel mit Birnen. Vergleichen wir hingegen das Vergleichbare, dann kommen wir auf 16 Prozent Steigerung.

Während nämlich der Ausgabenplafond für dieses Jahr 139 Milliarden betragen hatte, wird das „Grundbudget“ des kommenden Jahres 155 Milliarden ausmachen, wozu dann noch die beiseitegeschobenen Even-tualausgaben in Höhe von weiteren 5 Milliarden kommen. Darüber hinaus gibt es dann noch das eigentliche außerordentliche Budget mit abermals 5 Milliarden, das — der bisherigen Usance entsprechend — nur im Fall eines Konjunkturrückschlages aktiviert werden soll.

16 Prozent Ausgabensteigerung dürften aber sogar über die nominelle Expansion des Nationalprodukts in diesem Jahr hinausgehen. Ein echtes Stabilisierungsbudget müßte sich aber am realen Zuwachs des Nationalprodukts orientieren, der nicht einmal halb so groß sein wird. Nur dann könnte der Finanzminister zu Recht von einem Stabilisierungsbudget sprechen, wie er es heute von seinem Inflationsbudget, ohne mit der Wimper zu zucken, tut.

Gewiß würden echte Stabilisierungsbemühungen auf härtesten Widerstand der Ressortchefs stoßen. Aber sich dagegen durchzusetzen, ist ja die primäre Aufgabe des Finanzministers in einer Periode hoher Inflationsraten.

So besteht der Beitrag der Regierung zur Stabilisierung nur in einer terminologischen Anmaßung, indem ein neuerlich inflationistisches Budget kurzerhand als stabilisierend bezeichnet wird, was nichts anderes als verbales Opium für das Volk ist. Wenn gar jener Zwitter zwischen ordentlichem und außerordentlichem Budget, auf den die kürzungsverdächtigen Ausgaben abgeladen wurden, als Stabilisierungsquote bezeichnet wird, so ist das semantische Irreführung: Nicht diese Quote dient der Stabilisierung, wie der'Name suggeriert, sondern sie dürfte — theoretisch — erst dann zum Tragen kom-

men, wenn die Stabilisierung bereits gelungen ist.

Ebenso problematisch ist die Verringerung des Haushaltsdefizits; dieses soll 1974 „nur“ 10,5 Milliarden betragen. Wie die Opposition nachrechnet, müßten in diesem Falle die Einnahmen noch stärker steigen als die Ausgaben, nämlich um 26 Milliarden oder 20 Prozent. Wie der Finanzminister zu diesen „optimistischen“ Erwartungen kommt (die beim Steuerzahler eher Pessimismus auslösen), bleibt unklar. Zum ersten Mal weigert sich nämlich der Finanzminister, dem Parlament die volkswirtschaftlichen Daten zur Verfügung zu stellen, auf denen seine Berechnungen basieren. Daß unter diesen Umständen die Opposition mißtrauisch wird und vermutet, hier werde entweder etwas verheimlicht oder mit nicht ganz realistischen Zahlen jongliert, ist ihr nicht zu verübeln.

Entweder hat der Finanzminister neue Steuererhöhungen in petto oder — was wahrscheinlicher ist — er hat einen neuen Inflationsschub auf Grund der bevorstehenden Lohnwelle einkalkuliert, der dank der Progression der Lohn- und Einkommensteuer abermals eine automatische Steuererhöhung bringt. Im Rahmen dieses Konzepts geraten die von den Gewerkschaften geplanten kräftigen Nominallohnerhöbungen zur Inflationsabgeltung und zur Reallohnerhöhung in ein merkwürdiges

Licht: Man könnte fast an ein subtiles Zusammenspiel zwischen Hohenstaufen- und Himmelpfortgasse mit dem Ziel glauben, dem Finanzminister durch kräftige Inflationsimpulse die benötigten Steuergelder zu verschaffen.

Die Gefoppten sind dabei die Arbeitnehmer, die sich an die griffige Formel vom Inflationsausgleich über Lohnerhöhungen anhalten zu können glauben. Nicht ohne Grund warnte der Nestor der sozialistischen Nationalökonomie, Karl Ausch, schon vor Monaten vor diesem Aberglauben: Die Inflationsabgeltung löse nur immer neue Inflationsschübe aus, die sie illusorisch machen und nur die Inflation beschleunigen. Dagegen hilft auch kein Preisstopp, der nur einen kurzfristigen Rückstau, nicht aber eine Milderung oder gar Eliminierung der Inflation bringen kann. t

Was aber soll der Österreicher von den Stabilitätsschwüren einer Regierung halten, die dort, wo sie entscheidend zur Inflationsbekämpfung beitragen könnte und müßte, nur etwas verbalen Sand in die Augen der Staatsbürger zu streuen sucht und munter weiter inflationiert, ja die Inflation so sehr bei der Budget-aufstelluhg bereits einkalkuliert, daß, hätten die Stabilisierungsbemühungen tatsächlich Erfolg, dies eine Katastrophe für den Fiskus bedeuten würde?

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