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Verdatet & vernetzt: Es droht die Überwachung

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Die zentrale personenbezogene Datenerfassung und -be-arbeitung beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger, an den Krankenanstalten unter Einbeziehung der Krankengeschichten, im Bundesrechenamt für die Finanzämter und das Zentralbesoldungsamt, bei den Gerichten im Wege der automationsgestütz-ten Behandlung von Mahnklagen, an den Universitäten, beim Bundesheer und bei den Arbeitsämtern, die bundesweite Erfassung statistischer Daten beim Statistischen Zentralamt und landesweit für Wien bei der Magistratsabteilung 40, das bei den Sicherheitsbehörden geführte zentrale Strafre-

gister (in dem auch getilgte Ver urteilungen gespeichert sind), Verwaltungsstraf- und Fahndungsregister sowie die Suchtgift-, Homosexuellen-, und Geisteskrankenkarteien und die gesammelten Erkenntnisse der Staatspolizei, der militärischen Abwehr und sonstiger Geheimdienste, die ebenfalls schrittweise auf Datenträgern erfaßt wurden und werden, stellen das staatliche Rohmaterial dar, mit welchem der „Große Bruder“ ein Fangnetz für den einzelnen Bürger knüpfen kann.

Den ersten Schritt zu dieser Verknüpfung stellt die bislang in der Öffentlichkeit wenig beachtete Meldegesetznovelle 1985 dar. .

Durch diese sollen nun zum ersten Mal Informationen aus verschiedenen Datenerfassungssy-

stemen in einem Zentralcomputer in der Sicherheitsdirektion vernetzt werden, und zwar zum Zwek-ke der „Strafrechtspflege“, wie es im Paragraph Ha Absatz 3 dieser Novelle heißt.

Was mit „Strafrechtspflege“ gemeint ist, wird nicht näher ausgeführt. Bezieht sie sich nur auf gerichtliche oder auch Verwaltungsverfahren? Letztere können ja schon eingeleitet werden, wenn jemand „die Ordnung an einem öffentlichen Ort stört“ oder sich gegen ein Sicherheitsorgan „ungestüm benimmt“, was immer das heißen mag.

Da es bei jedem österreichischen Bürger einmal vorkommen könnte, daß er sich vielleicht einmal „ungestüm benimmt“, ist die zentrale Datenerfassung nach dieser Novelle bei jedem gerechtfertigt.

Kein Zweifel besteht aber, daß die neuen Bestimmungen eine weitere Benachteiligung der Verteidigung gegenüber der Anklage im gerichtlichen Strafverfahren bedeuten. Denn der Staatsanwalt kann jetzt über die Sicherheitsbehörden zentral Belastungszeugen ausfindig machen, während der

Verteidiger darauf angewiesen bleibt, seine Entlastungszeugen in jeder einzelnen Gemeinde zu suchen.

Die Meldedaten, die bisher von den Gemeinden erfaßt wurden und dort auch verblieben, sollen jetzt unter Heranziehung der Wählerevidenzen und der Haushalts- beziehungsweise Betriebsaufnahmelisten für die Finanzämter zentral erfaßt werden (Paragraph Ha Absatz 1).

Wer garantiert, daß es bei Meldedaten bleibt? Aus den Wählerevidenzen etwa ist ersichtlich, wer welches Volksbegehren unter 7 schrieben hat oder nicht. Aus den Haushaltslisten sind Familienstand, Anzahl der Kinder sowie alle Daten über Ehegatten und Kinder, Einkunftsarten und die Entfernung zum Dienstort, aus den Betriebsaufnahmelisten Betriebs- beziehungsweise Gewerbeart und Anzahl der Dienstnehmer zu entnehmen.

Alle diese Informationen könn-

ten eines Tages auf Knopfdruck abgefragt werden. In düsterer Zukunft vielleicht auch jene Daten, die in den eingangs erwähnten Datenträgern enthalten sind.

Alle Organe der Gebietskörperschaften (Gemeinden, Bezirkshauptmannschaften, Landes- und Bundesdienststellen) können Daten aus diesem zentralen Melderegister abfragen, ohne nachweisen zu müssen, daß diese zum Zwecke der „Strafrechtspflege“ notwendig ist (Paragraph 12 Absatz 3 der Novelle).

Jeder Bürger, der jemandem Unterkunft gewährt - und sei es für wenige Stunden -, hat auf Verlangen den Sicherheitsbehörden darüber Auskunft zu geben, und zwar bis drei Monate zurück. Sicherheitsorganen ist auf Verlangen die Identität eines Unter-kunftnehmers nachzuweisen, was praktisch die Einführung einer allgemeinen Ausweispflicht bedeutet. Eine solche gab es bis dato in der Zweiten Republik nur während der Besatzungszeit.

Der Bürger hat zwar nach dem Datenschutzgesetz das Recht auf Löschung von unrichtigen sich

auf ihn beziehenden Daten, doch keine Möglichkeit der Uberprüfung, welche Daten nun über ihn gespeichert werden. Denn Auskunft erhalten ja nur die Sicherheitsbehörden und Gebietskörperschaften.

Der Bürger hat lediglich das Recht, eine Auskunftssperre für Privatpersonen bezüglich seiner Adresse zu beantragen, wenn er „berücksichtigungswürdige Interessen“ dafür nachweisen kann (Paragraph 12 Absatz 2).

Obwohl uns Justizminister Harald Ofner jedes Mal erklärt, Österreich habe deswegen die zweithöchsten Haftzahlen Europas, weil wir auch die höchste Aufklärungsquote für Straftaten genießen, will man dem Bürger nun ein derartiges „Notstandsgesetz“ zumuten, als ob es gelte, ein Heer von untergetauchten Verbrechern und Terroristen aufzustöbern.

Gott schütze uns davor, daß sich der „Große Bruder“ eines Tages mit einer Diktatur verheiratet, deren Geheimpolizei dann alles an Effizienz in den Schatten stellen würde, was man aus der Geschichte der bisherigen Diktaturen auf österreichischem Boden weiß.

Die demokratischen Politiker, die jetzt gutgläubig „law and Order“ schützen, könnten sich dann nachträglich ungewollt als „nützliche Idioten“ herausstellen.

Der Autor ist Rechtsanwalt in Wien.

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