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Vererbung spielt eine größere Rolle als Umwelt

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Ist Intelligenz vor allem vererbt oder vor allem erlernbar? Die Diskussion darüber wogt in alter Leidenschaft. Diese Woche sprach in Wien der Psychologe und Genetiker H. J. Eysenck von der Universität London. Seine Thesen haben wichtige Konsequenzen für das Schul- und Erziehungswesen . . .

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Ist Intelligenz vor allem vererbt oder vor allem erlernbar? Die Diskussion darüber wogt in alter Leidenschaft. Diese Woche sprach in Wien der Psychologe und Genetiker H. J. Eysenck von der Universität London. Seine Thesen haben wichtige Konsequenzen für das Schul- und Erziehungswesen . . .

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Auf dem Gebiet des Bildungswesens haben sich ideologische Überlegungen in einem früher ungekannten Maß ein­geschlichen, und die politischen Ideale der Gleichheit haben die Wasser so sehr getrübt, daß eine unparteiische akade­mische Diskussion der Fragen nahezu unmöglich gemacht wurde.

Dies ist besonders bedauernswert, da eines der in Frage stehenden Probleme, nämlich die genetische Determination von Intelligenz und Persönlichkeit, für ein richtiges Verständnis des Bildungs­prozesses von eminenter Bedeutung ist und weitreichende Folgen für die darin zusammengefaßten Punkte in sich birgt.

Die Kontroverse zwischen jenen Menschen, die daran glauben, daß die genetische Determination des Verhal­tens (in Interaktion mit der Umwelt na­türlich) erwiesen ist, und jenen, die an eine Form der absoluten Umweltsbe­stimmungsdoktrin glauben, wird oft als eine politisch gefärbte Kontroverse an­gesehen, und zwar, indem man die er­steren als Konservative, die anderen als Marxisten betrachtet.

Jedem, der die marxistischen Doktri­nen kennt, erscheint dies natürlich un­sinnig. Es stimmt zwar, daß Stalin mit dem globalen Environtalismus eines

Lysenko liebäugelte, aber das wird selbst in der Sowjetunion heute als Ver­irrung anerkannt.

Sie können ein Lehrbuch von Guthke konsultieren, das vor kurzem in der DDR, d.h. von der kommunistischen Partei herausgebracht und von der offi­ziellen kommunistischen Verlagsagen­tur verlegt wurde. Guthke sagt folgen­des:

„Die marxistische Psychologie leug­net keinesfalls die Wirksamkeit geneti­scher Bedingungen auf die Intelligenz­differenzierung, wie es ihr manchmal von nicht ausreichend informierten Kritikern vorgeworfen wird, die sich nur auf die extremen Änderungen eini­ger weniger marxistischer Wissen­schaftler stützen. Schon Marx und Le­nin hatten die biologische und psycho­logische Ungleichheit der Menschen hervorgehoben.“

Eine Aufstellung von Darlington (1978) zeigt, daß der Anteil von Kindern aus der Arbeiterklasse, die zur Uni­versität weitergehen, proportional ge­sehen, in der UdSSR viel geringer ist als im Vereinigten Königreich von Großbritannien ...

Ähnliche Ergebnisse liegen aus Frankreich, Deutschland, Norwegen, etc. vor, die darauf hinweisen, daß der soziale Hintergrund für die Aufnahme an Universitäten in der UdSSR ein viel entscheidenderer Faktor als in der ka­pitalistischen Welt ist.

In ähnlicher Weise ist auch ihr ge-. samtes Bildungssystem viel mehr auf Elite, Leistungskonzentration und Autorität ausgerichtet, als das in irgendei­nem kapitalistischen Land der Fall ist.

Zeitweilige Versuche, ein Quotensy­stem einzuführen, um den Anteil der Studenten aus der Arbeiterklasse zu er­höhen (der Natur der Sache nach ähn­lich der amerikanischen Idee der „affir­mative action“), wiez.B. ein Versuch in Rumänien, zumindest die Hälfte der Studenten aus der Arbeiterklasse zu re­krutieren, versagten schmählich und mußten aufgegeben werden.

Es wird oft angenommen, das Ziel der Vererbungswissenschaftler sei ein­fach, eine Schätzung des genetischen Anteils am phenotypischen Verhalten aufzustellen, d.h. die Vererbbarkeit von Intelligenz, Extroversion oder Neuro- tismus. Das ist eine ziemlich fehlerhafte Ansicht.

Der Genetiker versucht vielmehr, ein Modell des menschlichen Verhaltens zu konstruieren, das alle relevanten gene­tischen und umweltsbedingten Fakto­ren beinhaltet, die zur Gesamtvarianz beitragen.

Zum Unterschied zu den meisten En- virontalisten ist dem Genetiker klar, daß man Vererbungslehre nicht studie­ren kann, ohne auch die Umweltsein­flüsse zu studieren und umgekehrt. Da­her inkludiert er die für beide Zweige relevanten Variablen in seinem Modell ebenso wie deren Unteraktion.

Vererblichkeit ist definiert als Pro­portion der genetischen Varianz (Geno­typ) über die gesamte Varianz (Pheno- typ); dies ergibt das Verhältnis der ge­netischen Faktoren über die Gesamt­faktoren, wobei die Gesamtfaktoren umweltbedingte Einflüsse einschließen.

Zu den genetischen Faktoren gehört natürlich in erster Linie das, was man additive genetische Varianz nennt, d.h. der einfache Einfluß der Gene, die die besondere Art des Verhaltens bestim­men. Dazu kommen allerdings noch weitere Faktoren.

Der erste davon ist die Gattenwahl: wenn gleich und gleich einander heira­ten, besteht ein nicht-additiver Bestim­mungsfaktor des vererbten Verhaltens, der sehr wichtig sein kann, z.B. auf dem Gebiet der Intelligenz.

Ein weiterer wichtiger genetischer Faktor ist die Dominanz; hohe Intelli­genz dominiert über geringe Intelligenz - ein weiterer nicht-additiver Faktor, der berücksichtigt werden muß.

Bezüglich der Intelligenz kam man allgemein zu dem Ergebnis, daß 70 Prozent der Gesamtvarianz durch addi­tive genetische Faktoren bestritten wer­den. Weitere zehn Prozent sind Domi­nanz und Gattenwahl (die Korrelation Für Intelligenz zwischen Partnern liegt bei 0,5).

Der Beitrag der additiven geneti­schen Einflüsse liegt bei der Persönlich­keit etwas niedriger als bei der Intelli­genz; Gattenwahl und Dominanz sind hier nicht augenfällig. Dies gilt für alle Hauptmerkmale der Persönlichkeit.

Bei den umweltbedingten Einflüssen

gibt es zusätzlich zu den geradlinigen Hauptwirkungen, die der additiven ge­netischen Variation vergleichbar sind, zwei wichtige Interaktionsfaktoren. Ei­ner davon wird „Interaktion“ genannt; gemeint ist, daß verschiedene Phenoty- pen auf die gleichen Umweltsfaktoren verschieden reagieren.

Als Beispiel können wir die Auswir­kungen von Glutaminsäure nennen, die bei unintelligenten Kindern (und Rat­ten!) einen Intelligenzanstieg be­wirkte, nicht aber bei durchschnittlich oder sehr intelligenten Kindern.

Eine ganz andere Art der Interaktion bezeichnet man als „Kovarianz“ der Vererbung und Umwelt. Sie bezieht sich auf jegliche positive Korrelation, die zwischen genetischen und umwelt­bedingten Faktoren bestehen kann.

Zum Beispiel besteht bei genetisch intelligenten Kindern intelligenter El­tern auch die Wahrscheinlichkeit einer besseren Bildungsumwelt als bei unin­telligenten Kindern unintelligenter El­tern.

Eine zusätzliche Unterscheidung von großer Wichtigkeit ist jene, die zwi­schen umweltbedingten Einflüssen auf Grund von zwischenfamiliären und in­nerfamiliären Faktoren gemacht wird.

Über die Determination von Intelli­genz, Persönlichkeit, Schulleistung und Erfolg im Leben durch genetische Fak­toren bzw. umweltbedingte Faktoren wurde vor allem in den letzten Jahren viel Arbeit geleistet.

Dazu gehörte die Untersuchung von Tausenden eineiigen und zweieiigen Zwillingen, Interkorrelationen zwi­schen Familienmitgliedern verschiede­nen Grades an Blutsverwandtschaft, Adoptivkindern und vielen anderen technischen Aspekten der Verhaltens­genetik, wie z.B. eine Studie über Gat­tenwahl, die Untersuchung über den Grad an Dominanz und Rezession der Gene, Hybridenenergie (d.h. der Grad, in dem die Intelligenz von Kindern ver­schiedenrassiger Partner höher liegt, als normal erwartet werden könnte) etc.

Wie bereits erwähnt, haben die Er­gebnisse dieser Untersuchungen ge­zeigt, daß genetische Faktoren einen starken Einfluß sowohl auf Intelligenz­unterschied wie auch auf Persönlich­keitsunterschiede entlang der Haupt­merkmale emotioneller Stabilität/In- stabilität und Extroversion/Introver­sion ausüben.

Dieser Einfluß erstreckt sich auf etwa drei Viertel der gesamten beob­achteten Varianz, der Umwelteinfluß nur auf ein Viertel, maximal ein Drittel. Akademische Leistung und Erfolg im

Leben werden auch durch genetische Faktoren bestimmt, aus offensichtli­chen Gründen aber zu einem geringeren Prozentsatz.

Welche Implikationen ergeben sich aus diesen genetischen Untersuchungen für den Pädagogen? Vor allem müßten sie uns vorsichtiger machen, die weit­verbreiteten Populäransichten über Diskriminierung im Schulwesen zu ak­zeptieren.

Die „affirmative action“, eine Art Quoten-Auswahlmethode in den USA, führte zur Aufnahme von Angehörigen aus Minderheitengruppen als Universi­tätsstudenten, obwohl diese bei ver­schiedenen Auswahlprüfungen weitaus schlechtere Ergebnisse erzielt hatten.

Wie zu erwarten, war das Resultat katastrophal. In allen allgemeinen Stu­dienfächern schnitten diese „Quota“- Studenten sehr schlecht ab, eine über­wiegende Mehrheit fiel überhaupt durch. Der darauf folgende Aufschrei sprach wieder von Diskriminierung.

Daraufhin wurden speziell „einfa­che“ Vorlesungen eingeführt und auch das Beurteilungsniveau für Studenten aus Minderheitengruppen oft auf lä­cherlich geringe Werte gesenkt.

Andererseits wurden durch die An­wendung solcher „Quoten“-Prinzipien viele bildungssubnormale Kinder aus Minderheitengruppen in normale Schulklassen geschickt, wo sie dem Un­terricht einfach nicht folgen konnten und begannen, die Schule zu schwänzen und straffällig zu werden.

Ebenfalls ideologischen Ursprungs ist die Bevorzugung der Gesamt- oder Einheitsschulen, die Abschaffung ver­schiedener Leistungsstufen und -rich- tungen, das Abschaffen von Prüfungen und anderer pädagogischer Tests, die sich in England und in geringerem Maße auch in Frankreich und Deutsch­land bemerkbar machen.

Die Resultate sind, wenn nicht kata­strophal, so doch sehr deutlich. Zum Beispiel wird das deutsche Abitur, das eines der angesehensten Schulabgangs­zertifikate der Welt war, in der Schweiz und in anderen Ländern, die sich ein hö­heres Bildungsniveau erhalten haben, nicht mehr anerkannt; es ist dies auf eine drastische Senkung der zum Ab­itur erforderlichen Kenntnisse in Deutschland zurückzuführen.

An englischen Universitäten wurde festgestellt, daß die Studenten für ge­wisse Fächer, wie z.B. Mathematik, un­genügende Vorkenntnisse besitzen und

üblicherweise im ersten oder auch zwei­ten Universitätsjahr reichlich elemen­tare Nachhilfen benötigen: ja das erste Jahr an der Universität wird in England immer mehr zu dem, was bislang die letzte Klasse an englischen Mittelschu­len war.

Hatte die Aufnahme ideologischer statt faktengebundener Prinzipien im Bildungswesen wenigstens den Effekt, den jene, die diese Prinzipien einführ­ten, sich davon erhofften, nämlich die Förderung von Minderheitengruppen, weniger intelligenten und unterprivili- gierten Menschen? Nichts weist auf der­artige Erfolge hin; einiges aber auf das Gegenteil.

In bezug auf pädagogische Prakti­ken im allgemeinen scheint es klar, daß die - genetisch bestimmten - weitge­streuten Unterschiede der intellektuel­len Fähigkeiten für ein System der Se­lektierung, unterschiedliche Schulen und eine Einteilung in Leistungsstufen und -richtungen sprechen.

Bis jetzt haben wir uns mit dem Ge­biet der Intelligenz beschäftigt, wobei über ihre Bedeutung für den Bildungs­prozeß keine Zweifel bestehen. Es ist aber weitaus weniger bekannt, daß auch der Persönlichkeit eine wichtige Rolle zukommt.

Die Hauptmerkmale der Persönlich­keit, die bis jetzt untersucht und als be­deutsam erkannt wurden, sind emotio­nelle Stabilität/Instabilität sowie Ex- troversion/Introversion...

Am Beispiel vieler Personen wurde nachgewiesen, daß große Instabilität prädikativ für eine geringe Leistung ist, besonders bei älteren Schülern und Universitätsstudenten. Stabil veran­lagte Schüler schneiden beträchtlich besser ab als instabile.

In ähnlicher Weise scheinen extro­vertierte Jugendliche und Erwachsene gegenüber introvertierten im Hinblick auf mittlere Schulbildung und Univer­sitätsstudium im Nachteil zu sein.

Besonders unglücklich ist eine Kom­bination von Extroversion und Instabi­lität; an Universitäten zeigen Angehö­rige dieser Gruppe eine Versagensrate, die achtmal so hoch ist wie die anderer Studenten.

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