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Verfälschung

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Einige jüngere österreichische Historiker und deren Nachbeter stellen es heute so dar, als ob Österreich 1938 Adolf Hitler wie eine faule Frucht in den Schoß gefallen wäre; sie behaupten, daß Österreich gar nicht das erste Opfer Hitlers war, sondern die Nazis schon vorher das Heft in der Hand gehabt und die Macht an sich gerissen haben.

Diese Darstellung entspricht nicht den historischen Tatsachen. Am ehesten trifft diese These noch für die Steiermark und für Graz als „Stadt der Volkserhebung“ zu, doch keineswegs für das übrige Österreich.

Wenn Österreich schon so reif und mürbe für die Machtergreifung der Nazis war, wozu bedurfte es dann des Einmarsches deutscher Truppen, um der von Kurt Schuschnigg anberaumten Volksabstimmung, deren Ausgang Hitler mit Recht fürchtete, zuvorzukommen?

Richtig ist, daß Österreich und der staatliche Behördenapparat vor dem März 1938 bereits von Illegalen unterwandert und unterminiert waren. Der Ständestaat, der eine autoritäre Diktatur war, bot nicht die günstigsten Voraussetzungen für einen geschlossenen Abwehrkampf der Österreicher, zu dem es ja dann im März 1938 leider auch nicht kam.

Dies alles ändert aber nichts daran, daß ein großer Teil der Österreicher und auch die Regierung versuchten, Hitler so lange als möglich von unserem Lande fernzuhalten und der ausländischen, nicht der inländischen Gewalt der Nazis wichen.

Wäre es anders gewesen, so wäre die Formel der Moskauer Deklaration, daß Österreich das erste Opfer Hitlers war, tatsächlich nur eine Lebenslüge, während sie in Wirklichkeit eine unbestreitbare historische Wahrheit, wenn auch nicht die volle Wahrheit ist. Denn zur vollen historischen Wahrheit gehört, daß viele Österreicher als Individuen mitschuldig am Hitlersystem und seinen Verbrechen geworden sind.

Doch es geht entschieden zu weit, nur diesen vernachlässigten Aspekt zu betonen und Österreich durch eine fragwürdige Interpretation der Tatsachen nachträglich den moralischen Legitimationstitel zu entziehen, auf dem seine Existenz seit 1945 beruht.

Doch dies ficht Historiker, denen es mehr um ihre Profilierung auf Kosten Österreichs und auf Kosten der Opfer, die sich zum Teil nicht mehr wehren können, als um die historische Wahrheit geht, offenbar nicht an, verhilft ihnen ihre These doch zu einer interessanten Rolle, die sie zum Schaden ihres Landes denn auch spielen.

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