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Verfallende Originalitäten

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In Anbetracht der in letzter Zeit immer großzügiger und öfter durchgeführten Restaurierungen von Schloßbauten, die dadurch ihre einstige Pracht wiedererlangen konnten, sei hier auf ein besonders originelles Kleinod österreichischer Schloßbaukunst aufmerksam gemacht: das heute vergessene und leider schon sehr ruinöse frühbarocke Wasserschloß Michelstetten im nördlichen Niederösterreich, das allein seiner höchst seltenen architektonischen Form wegen eine Wiederherstellung rechtfertigen würde — als Beitrag Niederösterreichs zum Jahr der Denkmalpflege 197;i; beispielsweise unter Zuhilfenahme von freiwilligen Arbeitskräften, finanziert durch den Verkauf von Denkmalschutz-Quiz-Gewinnmarken zu entsprechend gestalteten und aufgezogenen volkstümlichen Kultursendungen im Fernsehen und Radio? Wie wäre es mit solchen unkonventionellen Aktionen?

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In Anbetracht der in letzter Zeit immer großzügiger und öfter durchgeführten Restaurierungen von Schloßbauten, die dadurch ihre einstige Pracht wiedererlangen konnten, sei hier auf ein besonders originelles Kleinod österreichischer Schloßbaukunst aufmerksam gemacht: das heute vergessene und leider schon sehr ruinöse frühbarocke Wasserschloß Michelstetten im nördlichen Niederösterreich, das allein seiner höchst seltenen architektonischen Form wegen eine Wiederherstellung rechtfertigen würde — als Beitrag Niederösterreichs zum Jahr der Denkmalpflege 197;i; beispielsweise unter Zuhilfenahme von freiwilligen Arbeitskräften, finanziert durch den Verkauf von Denkmalschutz-Quiz-Gewinnmarken zu entsprechend gestalteten und aufgezogenen volkstümlichen Kultursendungen im Fernsehen und Radio? Wie wäre es mit solchen unkonventionellen Aktionen?

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In den Leiser Bergen, am Fuße eines bewaldeten Hügels, auf dem noch Teile eines recht gewaltigen moosüberwucherten prähistorischen Steinwalles ruhen, wo Archäologen wertvolle Bronzegeräte, alten Schmuck und Reste von Brandopfern fanden, und wo einst die alte Bernsteinstraße vorbeiführte, liegt Michelstetten. Heute eine bescheidene, nur wenige Einwohner zählende niederösterreichisohe Gemeinde im nördlichen Weinviertel, die neben einer interessanten spätromanischen Wehrkirche auch noch ein höchst originelles Bauwerk des Frühbarocks bewahrt hat: Die Ruine des einzigen kreisrunden Wasserschlosses Österreichs, das eine wahre Rarität unter den vielgestaltigen Schloßbauten Mitteleuropas darstellt.

Ursprünglich war Schloß Miohel-stetten ein Herrschaftssitz. Um 1300 wird es als „Zufluchtsort“ und 1426 als Burg, zusammen mit Konrad Wähinger, dem damaligen Lehensträger, erwähnt. Von der mittelalterlichen Burg haben sich lediglich einige wenige gotische Bauteile (Sitznischen neben der Torhalle) erhalten. Der folgende, also jetzige,

aus Ziegeln errichtete Bau in Form eines breiten, fast kreisrunden, zinnenbekrönten Turmes, welcher von einem Wassergraben umschlossen war, stammt größtenteils aus den Jahren 1530 bis 1550. Als Bauherrn nennt die Chronik Oswald Mohr und Martin Reiker. Ein Tor nebst Fußgängerpforte, mehrere eingefaßte und vergitterte Fenster und ein Kranz schwalbenschwanzförmiger Zinnen mit Schießscharten waren der einzige Schmuck der glatten, nur von starken Skarpen (Strebepfeilern) unterbrochenen, hohen Rundmauer des wuchtigen Schloßbaues von außen. Im Innern öffnete sich ein geräumiger zweigeschossiger Arkadenhof von etwa 28 Meter Durchmesser; an die Torhalle schloß der Palast mit zwei übereinander liegenden Saalräumen und einer kleinen Kapelle. Am längsten, und zwar von

1673 bis 1827, befand sich das Schloß im Besitz der Grafen von Sinzendorf, die zugleich auch Besitzer des naheligenden Schlosses Ernstbrunn waren und welche den schönen Brunnen im Hof des Mi-chelstettener Wasserschlosses errichten ließen. 1893 brannte das Wasserschloß ab, und seither ist es dem Verfall preisgegeben.

Jahrzehntelang verlassen, vergessen und verschwiegen, auch von unseren Kunsthistorikern, den Kulturämtern und dem Bundesdenkimal-amt, bietet das Schloß dem heutigen Besucher freilich keinen erfreulichen Anblick. Sein Aussehen stimmt traurig und auch nachdenklich, hat man doch am Weg hierher das prächtig restaurierte Schloß Asparn an der Zaya gesehen, oder erinnert man sich an die erst kürzlich gefeierte Wiederherstellung der Schallaburg.

Die Wasserschloßruine Michelstetten ist seit einigen Jahren für die Besichtigung nicht mehr zugänglich. Sie bleibt ständig hinter einer Gartenmauer vom übrigen Dorf isoliert, weil die Gemeinde dieses Bauwerk Anfang der sechziger Jahre (dazu noch recht billig) an eine Privatperson verkauft hat, die anscheinend

wenig mit diesem Kleinod frühbarocker Schloßarchitektur anzufangen weiß. Obwohl diese ansehnliche Schloßruine inmitten des Dorfes liegt und Wahrzeichen, Zentrum und Hauptsehenswürdigkeit des Ortes sein könnte und sollte, wirkt sie jetzt merkwürdig abweisend und drückt dem ganzen Dorf den Stempel einer grenzenlosen Verlassenheit und Todesstille auf. Noch im Jahr 1928 charakterisiert ein Chronist dieses Bauwerk mit folgendem begeistertem Ausruf: „Innen ein Märchen, außen ein ungefüger, runder Turm.“ Damals bot dieses zweigeschossige Wasserschloß aus der Mitte des 16. Jahrhunderts trotz des bereits einsetzenden Zerfalls infolge des Brandes von 1893, noch immer einen höchst beglückenden Anblick. Durchschritt man die Brücke, welche den Wassergraben überspannte,

passierte dann die gewölbte Torhalle, so befand man sich plötzlich in einem geräumigen vieleckigen Schloßhof, umgeben von zweigeschossigen Arkadenreihen, die auf formschönen bauchigen Pfeilern ruhten; oberhalb der Arkadengänge wuchs die Krone der spitzen, schwal-benschwanzförmigen Zinnen der Ringmauer-Attika empor. Das Pultdach der offenen Arkaden war nach innen geneigt. Und in der Mitte des Hofes stand ein sechseckiger frühbarocker Brunnen, erbaut 1673 bis 1677, geschmückt mit Wappenreliefs der einstigen Besitzer des Schlosses, der Grafen von Sinzendorf. Das fröhlich plätschernde Wasser des Brunnens erfüllte den Hof mit Leben und Heiterkeit.

Heute suchen wir hier vergebens den Brunnen, man hat ihn vor vielen Jahrzehnten nach Ernstbrunn übertragen und dort inmitten einer Grünanlage vor dem Schloßportal aufgestellt. Auch ein Teil der Rundwand des Wasserschlosses ist bereits eingestürzt, und von der einstigen Arkadenherrlichkeit verblieben nur noch einige Bogenöffnungen der ebenerdigen Reihe.

*

Als ich die Wasserschloßruine erstmals im Jahr 1941 besichtigte, waren beide Arkadengeschosse des Hofes, wenn auch schon stark verwittert, doch noch im vollem Umfang vorhanden, wie meine damals gemachten photographischen Aufnahmen beweisen. Entgegen unseriösen und falschen Zeitungsmeldungen, ist Michelstetten niemals durch Kriegshandlungen beider Weltkriege oder gar Bomben auch nur im geringsten beschädigt worden, so daß das Wasserschloß auch noch riach dem Zweiten Weltkrieg seine ganze Rundwand und einen Großteil der Hofarkaden besaß. Das Dehio-Hand-buch der Kunstdenkmäler -öster-

reichs aus dem Jahr 1953 beschreibt die Schloßruine Michelstetten noch folgendermaßen: „Urk. 14. Jh. Renss.-Wasserschloß 16. Jh. Außen kreisrund wie ein dicker zinnenbekrönter Turm, innen vieleckiger Hof mit offenen Galerien, ehem. 2geschossig. Torraum, Küche, Saal mit Galerie, darüber Palas erhalten. Die Hälfte der Außenmauern, die Steinbrücke über Graben, das Rundbogentor mit vermauerter Fußgängerpforte zerstört.“

Diesen originellen Schloßbau zu retten und zu renovieren, ihm seine ursprüngliche Gestalt wiederzugeben, könnte eine höchst löbliche und interessante Aufgabe anläßlich des nahenden Jahres der Denkmalpflege 1975 sein. Dieses Wasserschloß ist einer solchen Behandlung und Ehre wahrhaftig würdig.

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