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Verfassungswidriges „Reformmodell"

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Hätte der Verfassungsgerichtshof dem Gesetzgeber nicht ganz präzise Ziele aufgetragen, verfassungswidrige Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes zu reparieren, könnte das Familienpaket nicht nur als ein bemerkenswerter Schritt zur Verbesserung des Ausgleichs der Familienlasten bezeichnet, sondern auch so gewürdigt werden, wie es beide Verhandlungspartner getan haben.

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Hätte der Verfassungsgerichtshof dem Gesetzgeber nicht ganz präzise Ziele aufgetragen, verfassungswidrige Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes zu reparieren, könnte das Familienpaket nicht nur als ein bemerkenswerter Schritt zur Verbesserung des Ausgleichs der Familienlasten bezeichnet, sondern auch so gewürdigt werden, wie es beide Verhandlungspartner getan haben.

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Jedenfalls ein Erfolg, der ohne die bewundernswerte Beharrlichkeit der Familienministerin (auch eigenen Parteifreunden gegenüber) und der Gesamtpartei dem Koalitionspartner gegenüber niemals zustande gekommen wäre und „unter den gegebenen Umständen die optimale Lösung" ist.

Dieser Schritt wäre allerdings auch niemals ohne den Auftrag der Verfassungshüter zustandegekommen. Und die Frage, ob der starke Rückenwind seiner konkreten Reparaturaufträge von der ÖVP ausreichend ausgenützt worden ist, geht über die Frage nach einer geschickten Strategie hinaus.

Es ist nämlich erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit die Vertreter beider Regierungsparteien diesen Auftrag der Verfassungshüter von Anfang an konsequent ignoriert haben. Wiederholt haben sie sich zwar mit Recht darauf berufen, daß der Verfassungsgerichtshof selbst versichert hat, daß es im Ermessen des Gesetzgebers liegt, durch welche Maßnahmen er das verfassungsrechtlich gebotene Ergebnis erzielt: Er kann den Tarif entsprechend gestalten, taug-liche Frei- oder Absetzbeträge vorsehen oder direkte Leistungen (zum Beispiel aus dem Familienlastenaus-gleichsfonds) gewähren und diese oder andere Maßnahmen auch nebeneinander einsetzen. Dabei wurde aber übergangen, daß diese wie immer gewählten oder kombinierten Maßnahmen das verfassungsrechtlich gebotene Ergebnis erzielen müssen (G 188, 189/91-15 vom 12. Dezember 1991): die gleichmäßige Besteuerung unterhaltspflichtiger Eltern und nichtunterhaltspflichtiger Personen der gleichen Einkommensstufe.

Mit positivem Akzent wurde hervorgehoben, daß sich die nunmehrige Lösung nicht an ideologischen Vorstellungen orientiert hat. Was die Mehrkinderstaffel und die Hilfe für die Alleinerzieher betrifft, wohl zu recht, was aber das Übergehen der Zielsetzungen des Verfassungsgerichtshofs betrifft, völlig zu unrecht: Handelt es sich hier nicht doch um Meinungsdifferenzen ganzprinzipieller („ideologischer") Art?

Es ist erstens die Anwendung des Satzes von der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz auf die Steuerzahler gleicher Einkommen. Damit im Zusammenhang steht die unterschiedliche Priorität der Werte von Staat und Familie, was die vorrangige Verpflichtung des einzelnen Steuerzahlers betrifft: Hat dieser die Verpflichtung (und das Recht), sein Einkommen zuerst zur Befriedigung wenigstens des Existenzminimums seiner ihm anvertrauten Familienangehörigen zu verwenden und nur aus dem darüber hinaus gehenden Einkommen für den Finanzbedarf der Allgemeinheit Sorge zu tragen, oder hat der einzelne Steuerzahler die Pflicht, alles was über sein persönliches Existenzminimum hinausgeht, als Grundlage für die Bemessung seines Staatsbeitrages zu akzeptieren, um dann über das ihm verbleibende Einkommen frei zu verfügen, für welche Zwecke immer: für Urlaub, Auto, Bildung oder Familie. Und es dem Staat zu überlassen, was dieser „fördern" möchte.

Der Verfassungsgerichtshof hat hier eindeutig Position bezogen, die jedem, der den Vorrang der persönlichen Verantwortung vor dem Staat (die Subsidiarität jeder Staatsverantwortung) anerkennt, durchaus konsequent erscheint: Der Teil des Einkommens, den Familienerhalter von Gesetzes wegen (über die Familienbeihilfe hinaus) für den Unterhalt der Kinder verwenden müssen, darf nicht wie frei verfügbares Einkommen besteuert werden.

Es darf doch wohl angenommen werden, daß die Politik der ÖVP auf den gleichen Grundsätzen beruht, wie sie vom Verfassungsgerichtshof heute vertreten werden. Die Sozialisten haben auch als Sozialdemokraten von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, daß sie ihre davon abweichende Auffassung am liebsten durch eine Zementierung der geltenden verfassungswidrigen Besteuerung zur Verfassung gemacht hätten. Die ÖVP hat dies aus guten Gründen von Anfang an abgelehnt und zu verhindern gewußt. Daß sie allein nicht in der Lage ist, eine verfassungstreue Besteuerung der Familienerhalter durchzusetzen, liegt in den derzeitigen parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen. Ihre Repräsentanten dürften aber keinen Zweifel darüber lassen, daß sie in ihrer familienpolitischen Position in den gegenständlichen Fragen auf der Seite des Verfassungsgerichtshofs und damit auf dem Boden der geltenden Verfassung stehen.

Das parlamentarische Verfahren, die noch offenen Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes und die angekündigte zweite Phase der Einkommensteuersenkung werden dazu Gelegenheit geben.

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