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Verfolgte ohne Zukunft

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Erschöpft liegt Vater Johannes Lindeil (42) im Bett eines Linzer Spitals. Lindell ist Vorsteher eines lutherischen Benediktinerklosters in Schweden. Die Erschöpfung ist Folge übergroßer Anstrengung. Der schwedische Mönch hat in den vergangenen Wochen acht Türken das Leben gerettet: acht von 25.000 Assyriern, deren Zukunft als Minderheit im islamisch-kurdischen Südosten der Türkei hoffnungslos ist.

Assyrier: das ist eine christliche Minderheit in der Türkei, die sich selbst manchmal als „Süriani" bezeichnen. Die meisten von den rund 25.000 Assyriern, die heute noch in der Türkei leben, gehören der syrisch-orthodoxen Kirche an. Es gibt aber auch Nestoria-ner, Protestanten und mit Rom Unier-te.

Die ersten 200 Assyrier kamen 1967 aus dem Libanon nach Schweden. Im Libanon leben noch Assyrier ebenso wie im Iran, in Syrien und im Irak -zumeist Nachkommen der nach dem Pro-grom 1915 aus der Türkei geflüchteten Mitglieder dieser Minderheit.

Einer von etwa 8000 Assyriern, die heute in Schweden leben, wurde mit Vater Johannes Lindell gerade bekannt, als ihn die schwedische Polizei in die Türkei abschieben wollte. Der knapp etwas mehr als 20 Jahre alte türkische Staatsbürger war nach Schweden geflohen: Er hatte den Militärdienst noch nicht abgeleistet.

Die Frau und eine kleine Tochter sollten nach Schweden nachkommen. Dreimal hatte der junge Assyrier in Schweden um politisches Asyl angesucht, die Behörden lehnten jedesmal ab. Dann verhaftete ihn die schwedische Polizei.

Freunde berichteten Vater Lindell von der Verhaftung und der geplanten Abschiebung des jungen Assyriers.

Hals über Kopf fuhr er zum Flughafen und traf dort den Verhafteten mit zwei Polizisten in Zivil, die ihn nach Istanbul begleiteten.

Lindell löste ein Flugticket und machte sich ebenfalls mit auf den Weg. Er ahnte, was den Assyrier erwarten würde, wenn er ohne Begleitung am Flughafen von Istanbul den Behörden übergeben würde.

Der schwedische Mönch wich nicht von der Seite seines Schützlings. Nach der Ankunft in der Türkei gab es drei Verhöre. Dann ließ die Folizei die beiden gehen - sichtlich unter dem Eindruck des schwedischen Passes von Lindell - und trug ihnen auf, das Heimatdorf des Assyriers aufzusuchen.

Der junge Mann fand seine Frau, sein Kind und seine Eltern nicht mehr in seinem Dorf. Die Verwandten waren in die nahe Stadt gezogen, wo sie sich von den Nachstellungen und Mißhandlungen durch islamische Kurden sicherer fühlten. Als der Assyrier in die Stadt kam, wartete bereits die Polizei auf ihn. Ein Muslim aus seinem Heimatdorf hatte die Behörde verständigt.

Es folgte wieder eine Festnahme und diesmal auch noch harte Schläge dazu. Die Einberufung zum Militärdienst konnte noch zehn Tage aufgeschoben werden, dann ging es ab in eine Kaserne nahe der sowjetischen Grenze, in der die Rekruten 20 Monate härtesten Dienst zu leisten haben . . .

Die Lage der Assyrier und überhaupt der Christen in der Türkei ist hoffnungslos. Johannes Lindell war in einem der zwei syrisch-orthodoxen Klöster, die ihren Verfolgern bis heute Widerstand geleistet haben. Bei den fünf Mönchen waren noch zehn Schüler. Das ist der Rest der Schule: Der örtliche Militärkommandant hatte sie kurz zuvor eigenhändig mit einem Siegel verschlossen, um den Unterricht zu unterbinden. Geschlossen wurde die Schule wegen „antitürkischer Tätigkeit" Als antitürkisch wurde der Unterricht in aramäischer Sprache angesehen.

Zurück zum jungen Assyrier und seiner Familie. Lindell konnte seinen Schützling zwar nicht vor der Brutalität des türkischen Militärdienstes retten, wollte aber seiner Familie helfen. Er fuhrmit Frau, Kind,den Eltern und Geschwistern des Assyriers mit Autobus und Zug in die Bundesrepublik Deutschland.

Im bayrischen Grenzort Freilassing wollte die Polizei die Assyrier aus dem Zug holen. Wieder wirkte der schwedische Paß Wunder. Die Gruppe durfte Verwandte in München besuchen.

Was Lindell empört, ist nicht nur die schwedische, sondern auch die Politik der Europäischen Gemeinschaft. Als Wirtschaftshilfe werden Millionen von DM und Dollar in die Türkei gesteckt, den 25.000 assyrischen Christen, die von Muslims verfolgt werden, ist aber offensichtlich niemand bereit, zu helfen. „Ist das gerecht", fragt Lindell.

Daß der Bericht des lutherischen Benediktinermönchs stimmt, beweist indirekt ein Bericht des schwedischen Reichstagsabgeordneten Per Gahrton, der den Südosten der Türkei als Privatmann bereiste, um sich über die Lage der Assyrier zu informieren. Gahrtons Schlußfolgerung:

„Es sprechen überwältigende humanitäre Gründe dafür, daß alle Assyrier, die es wollen, die Möglichkeit bekommen müssen, eine neue Zukunft in Europa aufzubauen. Sie haben in der Türkei keine Zukunft, sie haben dort keine persönliche Sicherheit, ihre Religion und Kultur werden langsam aber sicher zermalmt."

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