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Digital In Arbeit

Verfügbar für die Giganten?

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Der Mensch lebt für das Lebensmittel, hat Karl Kraus einmal gesagt. Ist das die Konsequenz der Liberalisie--ung der Ladenöffnungszeiten in Österreich? Welchen Preis hat die Flexibilität?

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Der Mensch lebt für das Lebensmittel, hat Karl Kraus einmal gesagt. Ist das die Konsequenz der Liberalisie--ung der Ladenöffnungszeiten in Österreich? Welchen Preis hat die Flexibilität?

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Einkaufen rund um die Uhr? fragt ein Flugblatt der Gewerkschaft angesichts der jüngst vom Verfassungsgerichtshof verfügten Aufhebung der Abendsperre im Handel, die ab l.Dezember wirksam wird. Bereits im vergangenen Jahr ermöglichten es die Verfassungshüter den Geschäften, jeden Samstagnachmittag offen zu halten. Der inzwischen von den Sozialpartnern gestartete Modellversuch - einmal pro Woche Abendverkauf bis 20 Uhr oder einmal im Monat langer Einkaufssamstag bis 17 Uhr-läuft am 30. November aus.

Das geltende Gesetz verfolgt drei Ziele, die auch vom Verfassungsgerichtshof ausdrücklich anerkannt werden: Konsumenteninteressen,Wettbewerbsregelung, sozialpolitische Funktion hinsichtlich der Arbeitszeit der Beschäftigten.

Mit Recht verweist die Bundeswirtschaftskammer darauf, daß diese Zielsetzungen nicht „jeweils isoliert zu betrachten“, sondern vielmehr „stets vom Standpunkt vemetzter Regelungsziele aus und daher als Kompromißregelung zu sehen (sind)“. Wie ist nun die Rangordnung der Ziele untereinander zu beurteilen, damit der anzustrebende Kompromiß kein fauler wird?

Johannes XXIII. und das Konzil formulieren als „obersten Grundsatz“ der katholischen Soziallehre, daß die menschliche Person „Subjekt, Schöpfer und Ziel aller gesellschaftlichen Einrichtungen ist“. Johannes Paul H bringt diese Vorrangstellung der menschlichen Person auf den Punkt, indem er für die .Arbeitsordnung“ den „wesenhaften und effektiven Vorrang der Arbeit vor dem Kapital“ einfordert.

Demgemäß gilt als vorrangiges Beurteilungskriterium einer Ladenschlußregelung ihre sozialpolitische Seite hinsichtlich der Arbeitszeit der unselbständig sowie der selbständig im Handel Beschäftigten.

Die Arbeiterkammer behauptet einen direkten Zusammenhang zwischen der Länge der Öffnungszeiten und der Arbeitszeit für die Arbeitnehmer und belegt dies durch sozialwissenschaftliche Untersuchungen. Im Zuge des seit 1.September 1988 laufenden Versuchs verlängerter Öffnungszeiten war -laut Arbeiterkammer - festzustellen, daß zusätzliche Öffnungsmöglichkeiten fast ausschließlich durch Uberstunden beziehungsweise Mehrleistungen der Arbeitnehmer abgedeckt werden.

Ein noch deutlicheres Bild der zeith chen Belastung ergibt sich aus der Erhebung der „arbeitsgebundenen Zeit“. Darunter versteht man den zeithchen Aufwand für die Arbeitszeit, Mehr- beziehungsweise Überstunden, Vor-und Abschluß arbeiten (die gerade im Handel ins Gewicht fallen) sowie Wegzeiten. Ohne Berücksichtigung der Pausen beträgt im Durchschnitt der Vollbeschäftigten im Einzelhandel die arbeitsgebundene Zeit pro Woche 47 Stunden.

Die im Schnitt vergleichsweise ungünstigen Arbeitsbedingungen treffen aber auch auf die Unternehmer zu, für die eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 49,5 Stunden erhoben wurde.

Welchen Unternehmen nützt also eine weitergehende Liberalisierung der Öffnungszeiten? Den Großen, deren Ausstattung mit Produktionskapital wie zum Beispiel technischen Einrichtungen für die geltende Ladenschlußregelung „eindeutig überdimensioniert“ ist Erschrek-kend wird dieser Umstand durch jüngste Datenberechnungen bestätigt, wonach die Zahl der Lebensmittelgeschäfte in Österreich bis 1993 auf 9.150 zurückgehen wird; damit gibt es in vier Jahren nur mehr halb so viele wie 1973. Damals wurden ganze 42 Prozent der Läden als Selbstbedienungsgeschäfte geführt. 1993 wird die Selbstbedienung 71 Prozent der Lokale und 95 Prozent des Umsatzvolumens halten (Statistisches Jahrbuch der Nielsen Company).

Wurden und werden die Greißler von Supermärkten gefressen, so heute diese bereits von Super-Super-Einkaufszentren. Verwunderlich ist diese Inzucht dieser Giganten allerdings nicht. Bezeichnet man etwa mit den Sozialenzykliken Johannes Pauls IL die herrschende Subjektstellung des Kapitals als „Kapitalismus“ - sei dieses nun privat- oder staatskapitalistisch organisiert und unabhängig vom erreichten Grad seiner sozialen Temperierung - ,so erkennt man darin unschwer eine ungezügelte kapitalistische Gesetzmäßigkeit, die den Primat der Personen über die diesbezüglichen Sachen, die Subjektstellung des Menschen, unterläuft, ja aufhebt. >,

Wo das Subjekt der Arbeit nicht mehr die Menschen sind, wird auch die Familie der Wirtschaft geopfert. Betrieblich oder branchenweise verordnete flexible Arbeitszeiten erfordern die flexible Familie, die sich dem reibungslosen Arbeitsablauf unterwirft

Jedoch 60 Prozent der im verlängerten Abendverkauf und 50 Prozent der beim Samstagspätschluß eingesetzten Mütter unter den Arbeitnehmerinnen klagen über zusätzüche Probleme mit der Kinderversorgung (Arbeiterkammerumfrage). Sollen also auch Kindergärten und Horte ihre Öffnungszeiten maschinengerecht, aber kinderfeindlich „liberalisieren“.

Auf der Verbraucherseite tritt an die Stelle der Befriedigung mensch-Ucher Bedürfnisse von der Werbung gegängelter Konsum. Der Erfolg längerer Öffnungszeiten hängt außerdem von einem bestimmten Konsumententyp ab, der sich durch Mobilität und höhere Kaufkraft auszeichnet Insgesamt ist, ausgenommen der Städtetourismus, auch mit keiner nennenswerten Nachfragevermehrung als Folge erweiterter Geschäftszeiten zu rechnen.

Nach einer von der Arbeiterkammer durchgeführten Repräsentativbefragung - die Bundeskammer hat noch keine Erhebung vorgelegt -hat heuer mehr als die Hälfte der Konsumenten vom Abendverkauf oder Samstagspätschluß Gebrauch gemacht. Und mehr als zwei Drittel stellten fest,* diese zusätzlichen Möglichkeiten seien ihnen nicht so wichtig, daß sie dafür den im Handel Beschäftigten das Leben schwerer machen möchten.

Hier werden gemeinsame Interessen von Arbeitnehmern, Gewerbetreibenden, Familien und Kirchen offenkundig. Die Kirchen werden gegen den Flexibilisierungsdruck der (Großunternehmer Sonn- und Feiertage, den 8. Dezember etwa, nur verteidigen können, wenn sie den Gewerkschaften im Kampf um eine „familiengerechtere Regelung der Ladenöffnungszeiten“ (Flugblattext) auch öffentlich beistehen. Familienpolitisch wäre es äußerst naiv, in der Besserstellimg gewisser Konsumentenkreise schon einen Erfolg sehen zu wollen; denn zur „Förderung des Gemeinwohls...muß die Ordnung der Dinge der Ordnung der Personen dienstbar werden und nicht umgekehrt“, wie das Konzil sagt Nur gemeinsam handelnd kann diese wahrhaft humane Aufgabe neu bewältigt werden.

Der Autor ist wissenschaftlicher Publizist und Sekretär des Katholischen Familien verbände* der Erzdiözese Wien.

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