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Verführerischer Ruf nach dem Staat

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Weitergehend als bisher soll der Staat das Wirtschaftsgeschehen beeinflußen. Zwar sind das derzeit nur Forderungen, die in Europa und den USA unter dem Titel „Industriepolitik” diskutiert werden. Aber angesichts massiver Konjunktur- und Strukturprobleme wird der Druck zu mehr Intervention zunehmen. Eine verführerische Situation für manche Politiker, den Staat wieder als erfolgreichen Unternehmer anzupreisen.

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Weitergehend als bisher soll der Staat das Wirtschaftsgeschehen beeinflußen. Zwar sind das derzeit nur Forderungen, die in Europa und den USA unter dem Titel „Industriepolitik” diskutiert werden. Aber angesichts massiver Konjunktur- und Strukturprobleme wird der Druck zu mehr Intervention zunehmen. Eine verführerische Situation für manche Politiker, den Staat wieder als erfolgreichen Unternehmer anzupreisen.

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In der Steiermark herrscht Bunkerstimmung. Zum ersten Mal seit den fünfziger Jahren sind mehr als zehn Prozent der Steirer arbeitslos. Bundeskanzler Franz Vranitzky reagierte zum Wochenende prompt mit der Zusage einer milliardenschweren Finanzspritze. Zum Jahreswechsel hatten schon die Oberösterreicher mehr Geld zur Sicherung der Arbeitsplätze gefordert, und düstere Prognosen bereiten auch in Niederösterreich und Vorarlberg großes Kopfzerbrechen. Die Einbrüche in der Stahl-, Bau- und Textilindustrie werden dort die Arbeitslosenraten in den nächsten Monaten nach oben schnellen lassen. Zuvor hatte auch der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Franz Ceska, Alarm in Richtung Politik geschlagen.

In Ostereich hat damit eine Diskussion eingesetzt, die schon seit längerem in Europa - besonders in Deutschland - zu heftigen Kontroversen geführt hat: in welcher Form soll der Staat mithelfen, die Wirtschaftskrise in Europa zu bekämpfen?

Das Vertrauen in den Markt - erst kürzlich in Osteuropa als Wundermittel der Erneuerung gepriesen -scheint im Westen zu schwinden. Dem Siegesjubel der Marktwirtschaftler nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Planwirtschaften folgt nun die große Ernüchterung. Steigende Arbeitslosigkeit, trostloseKon-junkturaussichten, konservierte Industriestrukturen, Probleme im Zusammenhang mit dem Europäischen Binnenmarkt einerseits und den neuen Konkurrenten aus den Oststaaten andererseits beherrschen die Schlagzeilen. Manche Industrieunternehmer und -manager fühlen sich offensichtlich überfordert, diesen Problemen mit bewährten Markt-Strategien zu begegnen. Sie fordern unmißverständlich: Der Staat muß her und helfen. Er muß mehr tun, als nur Rahmenbedingungen setzen (FURCHE 1/1993, Seite 3). Diese Diskussion läuft derzeit in Europa unter dem Titel „Industriepolitik” und sorgt für regelrechte

Glaubenskämpfe.

Mit ihren Forderungen liegen die Steirer somit im europaweiten Trend. Ganz Europa hat die Stahlkrise erfaßt; wie in alten Zeiten ruft die Branche nach Subventionen und fordert eine entsprechende Außenabsicherung. Vergangenen Herbst wandte sich auch die europäische Zementindustrie hilfesuchend an die EG-Kommission in Brüssel. Man fühlt sich bedroht von der Konkurrenz aus dem Osten, die mit niedrigen Transport- und Energiekosten den Markt empfindlich stören. In Brüssel scheint man nicht abgeneigt zu sein, den Wünschen der Industrie nachzukommen. In der EG-Kommission hatte man schon längst etwas für die Idee übrig, nur mit Hilfe gemeinschaftlicher Kraftakte könne Europa beispielsweise vor dem technologischen K. O. gegenüber dem „gelben” Wirtschaftsriesen Japan bewahrt werden.

Wende durch Clinton

Selbst in der Hochburg marktwirtschaftlichen Denkens, in Amerika, vertraut der neue Präsident Bill Clinton auf die staatliche Lenkungsrollen für die angeschlagenen US-Industrie.

Sind Milton Friedman und seine neoliberalen Ideen, Reagonomics und Thatcherismus somit „out”? J. M. Keynes wieder „in”? Die Antwort darauf ist nicht eindeutig. An zwei Beispielen kann man ermessen, wie unterschiedlich die Vorstellungen von richtiger Industriepolitik sind:

„Der Staat macht den Markt erst funktionsfähig” erklärte kürzlich der französische Soziologe und Experte für Industriepolitik Elie Cohen in der deutschen „Zeit”. Sein Grundtenor: man brauche unbedingt eine gemeinsame undorganisierteeuropäische Industriepolitik, um der Herausforderung aus Übersee zu begegnen und den freien Welthandel aufrechtzuerhalten. Der Schweizer Finanzmanager Hans L. Merkle vertrat demgegenüber in der „Neuen Zürcher Zeitung” die skeptische Gegenthese: Industriepolitik und Marktwirtschaft seien wie Wasser und Feuer. Was sich am Markt bewähre, bedürfe keiner Förderung oder Subventionierung. „Wer heute nach dem Staat ruft, hat ihn morgen auf dem Hals und niemand kann sagen, ob er ihn wieder loskriegt” warnte er.

Die deutschen High-Tech-Konzerne haben trotzdem schon ihre Wünsche in Bonn angemeldet, um gegen die unübersehbare Abhängigkeit von der technologischen Supermacht Japan erfolgreich ankämpfen zu können. Dazu gehört staatliche Hilfe beispielsweise in Form eines europäischen MITI nach japanischem Vorbild (siehe Kasten). Dort hat eine mächtige Staatsbürokratie das Sagen und steuert offensichtlich erfolgreich vom Schreibtisch aus die Entwicklung der Industrie. Der Staat müsse zwar nicht alles bis ins Detail planen, aber er könnte etwa in Form eines Sachverständigenrates genau definierte Ziele für die nächsten abstekken, wurde etwa gefordert.

Ein erfolgreicher Blick in die Zukunft vom grünen Tisch aus?

Skeptiker, wie der Präsident des Deutschen Kartellamtes, sehen das anders. Es sei undenkbar, daß ein solcher Weisenrat über ökonomische

Chancen besser Bescheid wisse als die Wirtschaftsbosse. Wer trage außerdem die Verantwortung, wenn sich solche guten Ratschläge und Kursbestimmungen als Flop erweisen.

In Österreich bekräftigte der Industriesprecher der ÖVP, Martin Bartenstein, kürzlich in einer Pressekonferenz, was schon bei der Regierungsklausur Anfang Jänner industriepolitischer Schwerpunkt seiner Partei war: „Industriepolitik” sollte sich auf zwei Schwerpunktmaßnahmen beschränken. Einerseits die Erhöhung des Investitionsfreibetrages von derzeit 20 auf 30 Prozent, um die Konjunktur zu beleben, andererseits die Beseitigung von Wettbewerbsnachteilen durch Ausbau diverser Finanzierungsinstrumente für die heimischen Exporteure.

Verstaatlichtenminister Viktor Klima steckte seine Vorstellungen Dienstag abend im Rahmen eines Vortrages in der Wiener GiroCredit ab: Für ihn heißt „Industriepolitik” konjunkturbedingte Hilfe und Investitionen des Staates in den europaweiten Ausbau der Infrastruktur sowie Förderung technologischer Entwicklungsprojekte. (Eine Verschlafensprämie für verstaatlichte Industrie lehnte Klima dabei ab, siehe „Standpunkt” von Hans P. Halouska; ebenso die von der ÖVP geforderte Erhöhung des Investitionsfreibeitrages.)

Aufgewärmte Ideen

„Industriepolitik” hat also viele Nuancen. Es geht dabei um das Feilschen um Subventionen oder Steuererleichterungen, Strukturumstellungshilfen ebenso wie um Vorschläge zu einer übergreifenden Planung naeh Vorbild des japanischen MITI; aber letztlich auch um die Frage, wie die wirtschaftspolitische Kultur Europas in Zukunft aussehen wird.

Im Grunde sind das alles aber keine neuen Ideen. Schon in den Nachkriegsjahren wurde in den europäischen Ländern der Aufbau der Wirtschaft unter Oberaufsicht des Staates und aufgrund von Sachverständigenplänen ins Werk gesetzt. In Frankreich zum Beispiel wirkten die betreffenden Wirtschaftszweige selbst an der „planification” mit. Außerdem war auch sonst der Staat nicht nur Garant der Marktfreiheit. Ganze Branchen (vom Straßenbau über die Landwirtschaft bis zur Rüstungsindustrie) leb(t)en von staatlichen Aufträgen und milliardenschweren Zuwendungen.

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