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Vergangenheit ersteht…

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Es gibt Bühnenwerke, die erst Jahrzehnte nach ihrem Entstehen zur Wirkung gelangen. Von der Tragikomödie „Der rote Hahn” von Gerhart Hauptmann, die kaum Erfolg hatte, behauptete Julius Bab, es werde der Tag kommen, an dem sie sich die Bühne erobere. Alfred Kerr sprach sich in ähnlichem Sinn aus. Bestätigt die derzeitige Aufführung im Burgtheater diese Voraussagen?

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Es gibt Bühnenwerke, die erst Jahrzehnte nach ihrem Entstehen zur Wirkung gelangen. Von der Tragikomödie „Der rote Hahn” von Gerhart Hauptmann, die kaum Erfolg hatte, behauptete Julius Bab, es werde der Tag kommen, an dem sie sich die Bühne erobere. Alfred Kerr sprach sich in ähnlichem Sinn aus. Bestätigt die derzeitige Aufführung im Burgtheater diese Voraussagen?

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Die diebische Waschfrau Wolff aus dem „Biberpelz” hat nach dem Tod ihres Mannes den Schuster Fielitz geheiratet und läßt nun das Häuschen, in dem sie wohnen, in Flammen aufgehen, um mit der Versicherungssumme ein Miethaus zu errichten. Ein schwachsinniger Junge wird der Tat bezichtigt, eingelocht, die Abgefeimte stirbt. Erweckte Mutter Wolff en, die Diebin mit „bestem Gewissen” einige Sympathie, so ist das bei dem doppelten Verbrechen der nunmehrigen Schustersfrau nicht der Fall. — Es kommt zu keiner Entlarvung, das begibt sich in jedem politischen System. Hat es hier einen besonderen Sinn? Soll damit dieser Gesellschaft das Recht abgesprochen werden, Recht zu sprechen? Jedenfalls wird in der anmaßenden Präpotenz des Amtsvorstehers Wehrhan, für den die Werte zu einem Rüstzeug der Machtausübung entarten, die wilhelminische Gesellschaft bloßgestellt.

Die Greuel, die sich heute täglich begeben, die Brutalitäten, die in den letzten Jahren die Bühnen vorführten, lassen Hauptmanns Stück verblassen. Der letzte Akt versandet schon an sich. Vor allem aber wird bei der Aufführung, da das Stück „irgendwo um Berlin” spielt, breiter Dialekt gesprochen, für den es im Burgtheater eine sehr große Zahl bundesdeutscher Schauspieler gibt. Wer diesen Dialekt nicht beherrscht, versteht nur einen geringen Bruchteil des Textes. Das hemmt völlig die Beurteilung der Bühnenwirkung.

Unter der Regie von Achim Henning ersteht ein wohl abgetöntes Genrebild der Zeit. Hilde Wagener gibt der Mutter Fielitz Durchschlagskraft. Bei der Premiere wurde in einer kleinen Feier der 50jährigen Zugehörigkeit dieser verdienten Schauspielerin zum Burgtheater gedacht. Vorzüglich Alfred Balthoff als vorbestrafter, nunmehr ängstlicher Schuster Fielitz, vorzüglich Heinz Reineke als stets dröhnend vergnügter Schmiedemeister Langheinrich, trefflich zeichnet Klaus Behrend den Vater des Schwachsinnigen. Erich Aberle charakterisiert den Wehrhan in der entscheidenden Szene nur durch Lautstärke. Matthias Kralj arbeitet in seinen breit angelegten Bühnenbildern mehrfach auf Silhouettenwirkung hin.

Zunächst ist es erfreulich in einem uns bisher unbekannten Stück, das der 81jährige Kroate Miroslav Krleža vor 45 Jahren geschrieben hat, in dem derzeit im Volkstheater aufgeführten Schauspiel „Die Glembays”, einmal nicht — wie bei unseren jüngeren Autoren — „Frustrierte” vorgesetzt zu erhalten. Hier, im Agramer Palais des Bankiers Glembay, ergibt sich ein Einblick in die ungarischkroatische Herrenschichte, in ihre Machtbereiche, in die Verbindung von Emporkömmlingen mit dem Adel, in die Art, wie Vermögen entstanden und gemehrt wurden. Das wird in Ibsenscher Aufhellung der Vergangenheit durch den aggressiven Bankierssohn spannend entwickelt. Krleža kann sich aber im Haß gegen diese Gesellschaft nicht genugtun, er häuft noch und noch Niederträchtiges, vor allem beim Bärikier, besonders aber bei seiner attraktiven, sinnlichen und zugleich geldgierigen zweiten Frau, einer Baronin aus erster Ehe mit dunkler Vergangenheit. In der Auseinandersetzung mit dem Sohn trifft den Bankier der Schlag, der Sohn tötet schließlich seine Stiefmutter. Krleža läßt gleich auch das Vermögen der Familie zusam- menbrechen, aber die krasse Häufung all der Verfallserscheinungen mindert die Glaubwürdigkeit.

Unter der Regie von Vaclav Hude- öek kommt es zu einer vorzüglichen Aufführung mit Herbert Propst als zunächst scheinbar überlegener Bankier, Emst Meister als sein hysterisch aufbegehrender Sohn und dem vielschichtigen Spiel von Eva Kerbler als Baronin. Als Bühnenbildner deutet Hudeček den Prunk des Glem- bayschen Palais sehr wirkungsvoll durch mächtige Glasluster vor völlig schwarzem Bühnenraum an.

Das Theater in der Josefstadt brachte vor Weihnachten in allen drei Häusern Premieren. Im Haupthaus wird die Komödie „Sonny Boys” des amerikanischen Erfolgsautors Neil Simon gegeben. Die beiden alten Schauspieler Clark und Lewis, die einst jahrzehntelang eine Zugnummer des amerikanischen Vaudevilles waren, sollen nun in einer Rückschau-Sendung des Fernsehens einen ihrer Erfolgssketches nochmals vorführen. Seit damals aufgespeicherter Haß bricht dabei in Nichtigkeiten aus. Das ist psychologisch gut gesehen, behaglich durchgepinselt, gibt aber doch nicht viel her. Es sei denn, man freut sich an der schauspielerischen Darbietung dieser beiden Rollen, die darstellerische Potenz verlangen. Vor allem bietet Leopold Rudolf als greisenhafter Lewis eine Leistung verhaltener Intensität, Ernst Waldbrunn setzt der Rolle des Clark komische Lichter auf. Peter Neusser wirkt als Clarks besorgter Neffe sympathisch. Ein schmuddeliges Hotelzimmer, ein TV-Studio entwarf Wolf gang Müller- Karbach.

In den Kammerspielen sieht man ‘die Komödie „Der Wendepunkt” von Frangoise Dorin, von der bereits zwei Stücke in Wien aufgeführt wurden.

Ein älterer Boulevardier, voll Angst unzeitgemäß zu sein, fühlt sich vom Erfolg eines jungen Avantgardeautors überrannt und erhält gerade von ihm — Hörner aufgesetzt. Mokante Formulierungen gibt es da über die heutigen Dramatiker der Pausendialoge und die Dichter radikaler Weltveränderung, teils Treffendes, teils arg Billiges, doch das Ärgste: Der langhingedehnte Hauptspaß besteht darin, daß der Avantgardist nackt aus dem Bett in den Kleiderschrank flüchten muß. Das genügt. Deckende Besetzung mit Axel Ambesser als Boulevardier voll Gelassenheit und Charme, Ursula Schult als seine kapriziöse Frau, Michael Ande als linkslinker Jungdramatiker. Wenig ansprechendes Bühnenbild von Gerhard Janda.

Wie vor drei Jahren wurde im Kleinen Theater im Konzerthaus um die Jahreswende wieder ein Karl- Valentin-Abend herausgebracht, diesmal unter dem Titel „Nein und anderes”.’ Zahlreiche Duoszenen rund der Einakter „Der Bittsteller” erweisen sich als typischer „Valentin”: Alles verheddert sich, die Tücke der Objekte, die Komik der Mißverständnisse springen auf, das Widersinnige wird so lange strapaziert bis ein Sinn aufzuschimmern scheint, die Sprache, ganz widerspenstig, entzweit sich mit sich selbst. Das bieten der langbeinige Peter Vogel mit aufgesetzter Nase und der Komik unerschütterlichen Phlegmas, und die springlebendige, sich von Szene zu Szene wandelnde Dolores Schmidin- ger. Im Einakter sind noch Kurt Nachmann und Marte Harell zu verzeichnen.

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