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Vergangenheit steht wieder auf

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Frankreich hat „seinen Eichmann“ wiederentdeckt, die Bundesrepublik Deutschland hat einen Bundespräsidenten und einen Kandidaten für das Bundespräsidentenamt, die beide Mitglieder der Hitlerischen NSDAP waren, in den Niederlanden mußte sich einer der profiliertesten Politiker zurückziehen, weil er sich 1944 freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte: Die Vergangenheit holt immer wieder Politiker ein, die höchste politische Ämter innehaben.

„Auf einmal ist die Vergangenheit nicht bewältigt, sondern ein beklemmendes Stück Gegenwart“, kommentierte der bekannte Schweizer Publizist Francois Bondy in seiner Kolumne im Züricher Wochenblatt „Weltwoche“ die Folgen eines Interviews, daß der „französische Eichmann“, Louis Darquier, dem Wochenmagazin „Express“ gegeben hatte.

Denn einerseits ist es durch die unverschämten Äußerungen des jetzt im spanischen Exil lebenden ehemaligen Generalkommissars für Judenfragen des Vichy-Regimes („In Auschwitz wurden nur Läuse vergast“) auch den jungen Franzosen bewußt geworden, wie latent der Antisemitismus in Frankreich schon lange vor der deutschen Besetzung 1940 gewesen war. Anderseits, so behaupten französische Intellektuelle, sei die Gefahr der Wiederauferstehung derartiger Ideen im heutigen Frankreich durchaus gegeben.

Zur Vorgeschichte: In der Wochenzeitschrift „L'Express“ wurde auf zwölf Seiten ein Interview mit Louis Darquier de Pellepoix veröffentlicht, der während der Besetzung im Auftrag der Deutschen die „Endlösung“ der Judenfrage betrieb: Er trug die Verantwortung für die Deportation von 76.000 jüdischen Kindern, Frauen und Männern an die Deutschen, von denen bis auf 4000 alle den Tod in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern fanden.

Der heute 81jährige Greis behauptete in diesem Interview, der Tod von angeblich sechs Millionen Juden sei eine jüdische Propagandalüge und er sei heute noch der Ansicht, richtig gehandelt zu haben.

Willige Helfer

Das veröffentlichte Interview löste eine Flutwelle der Empörung im ganzen Land aus: Staatspräsident Gis-card d'Estaing meldete sich zu Wort, der Premier und mehrere Minister nahmen Stellung, zahlreiche Organisationen und Kommentatoren protestierten gegen die Veröffentlichung. Es schien ihnen allen unangebracht, daß diesem einsichtslosen Kriegs-vesbrecher ein Podium eingeräumt und damit dem Antisemitismus in Frankreich indirekt Unterstützung geleistet worden war.

Das war freilich nicht die Absicht von „L'Express“ gewesen: Das Wochenblatt hatte mit der Veröffentlichung dem Antisemitismus in Frankreich nicht neuen Auftrieb geben, sondern im Gegenteil zeigen wollen, welche fortdauernde Gefahr auch heute noch jede Art von Totali-tarismus darstelle. In jedem Fall war die Veröffentlichung ein Schock, wurde jetzt doch auch jenen klar, die es noch nicht wußten, daß die braunen Schergen auch in Frankreich auf willige Helfershelfer gestoßen waren.

Der „französische Eichmann“ lebt indes weiter unbehelligt in einem Dorf im Südwesten Spaniens, weil sein 1947 ausgesprochenes Todesurteil längst verjährt ist. Aber die Tatsache, daß Darquier wegen Verjährung nicht bestraft werden kann, schwächt die französische Position in der deutschen Verjährungsdebatte.

Eher zufällig steht diese Debatte über die Verjährung nationalsozialistischer Mordverbrechen in der Bundesrepublik, die nächstes Jahr

stattfinden wird, in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Präsidentschaftswahl: zwei Punkte auf der politischen Tagesordnung der Bundesrepublik im nächsten Jahr, die an sich nichts miteinander zu tun haben, die aber durch die jüngst bekannt gewordene Tatsache, daß sowohl der jetzt amtierende Bundespräsident Walter Scheel wie auch der von der CDU favorisierte Kanzlerkandidat Karl Carstens, Mitglieder der NSDAP waren, doch in einem Zusammenhang gesehen werden.

Für die Bundesrepublik ist diese Angelegenheit keine rein interne Sache; sie muß in Fragen der nationalsozialistischen Vergangenheit vor allem auch die ausländischen Reaktionen in Betracht ziehen. Tatsächlich zeigt allein die Reaktion des französischen Fernsehkommentators Gerard St. Paul, der die (nur formelle) Mitgliedschaft von Bundespräsident Scheel einen „Schock“ nannte, wie empfindlich die bundesdeutschen Nachbarn reagieren.

In den Niederlanden nahm einer der angesehensten und fähigsten Politiker, der Fraktionschef des „Christlich-Demokratischen Apells“ (CDA), Willem Aantjes, den Hut, nachdem seine Zugehörigkeit zum „Niederländischen Landsturm“, der der Waffen-SS unterstanden hatte, bekannt geworden war. Aantjes hatte sich als 22jähriger freiwillig dazu gemeldet.

Und in Österreich?

Und wie steht es in Österreich mit der nationalsozialistischen Vergangenheitsbewältigung? Gelegentlich gelingt auch unserer Staatspolizei wieder ein Fahndungserfolg, wenn sie, wie am vergangenen Wochenende, einem Rechtsextremisten auf die Spur kommt, der Hakenkreuze hergestellt und sie, unter Grablichtem versteckt, in Österreich verschickt hatte. Anderseits sollte man sich auch hierzulande nicht darüber hinwegtäuschen, daß überwunden geglaubtes Gesinnungsgut auch in Österreich noch vielerorts seine Anhänger findet.

Markantes Beispiel hiefür ist beispielsweise eine Kurzgeschichte, die im Jahrbuch 1979 des Kriegsopferverbandes für Wien, Niederösterreich und Burgenland zu entdecken ist.

Unter dem Titel „Der Lehrer von Kosnowice“ verherrlicht Karl Sprin-genschmid das Deutschtum in einem Maße, als ob die Zeit in der schlimmsten Ära des nationalsozialistischen Terrorregimes stehengeblieben wäre. Dabei vergißt der Autor nicht, das Bild vom „slawischen Untermenschen“ wieder an die Wand zu malen: „Polacken, Huzulen, Rhuthe-nen, alles, was in diesem Lande lebte, alles drängte sich jetzt heran und schrie mit fremden gurgelnden Lauten: Ich daitsch! Ich daitsch!“

Ich entsetzt! Ich entsetzt! Und viele andere wohl auch ...

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