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Vergebliche linke Mühen

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Auch die Kirchen sind nun in den Strudel des inoffiziell bereits eröffneten Wahlkampfes in der Bundesrepublik geraten. Eine Erklärung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, eine Broschüre der SPD-Wählerinitiative unter dem Titel „Katholiken zur SPD-Politik“, ein Wort des Leitenden Bischofs der lutherischen Kirchen, D. Hans-Otto Wölber, sowie Gespräche von Bundeskanzler Brandt in München mit Kardinal Döpfner und dem evangelischen Bischof D. Hermann Dietzfelbinger sind nur einige der äußeren Zeichen dafür, daß die Bedeutung der Kirchen in der kommenden politischen Auseinandersetzung auf allen Seiten nicht gering veranschlagt wird.

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Auch die Kirchen sind nun in den Strudel des inoffiziell bereits eröffneten Wahlkampfes in der Bundesrepublik geraten. Eine Erklärung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, eine Broschüre der SPD-Wählerinitiative unter dem Titel „Katholiken zur SPD-Politik“, ein Wort des Leitenden Bischofs der lutherischen Kirchen, D. Hans-Otto Wölber, sowie Gespräche von Bundeskanzler Brandt in München mit Kardinal Döpfner und dem evangelischen Bischof D. Hermann Dietzfelbinger sind nur einige der äußeren Zeichen dafür, daß die Bedeutung der Kirchen in der kommenden politischen Auseinandersetzung auf allen Seiten nicht gering veranschlagt wird.

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Am spektakulärsten und mit dem größten Echo meldete sich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken zu Wort. Dieses Gremium, aus dem vor einiger Zeit Verteidigungsminister Georg Leber abgewählt worden ist und in dem nur noch Bundes'tagsvizepräsident Hermann Schmitt-Vockenhausen für SPD-Repräsentanz sorgt, gab sich in seiner Erklärung zwar parteipolitisch neutral, doch sind die CDU-Politiker, Bernhard Vogel und Heinrich Köpp-ler, an der Verabschiedung der Erklärung beteiligt gewesen. Die Reaktion der SPD fiel denn auch reichlich scharf aus. Sie stellte in der Erklärung die „Handschrift der CDU“ fest und vermißte in ihr „das Wirken des Heiligen Geistes“.

In der Tat sind gewisse Absagen an sozialdemokratische Tendenzen und eine partielle Ubereinstimmung mit CDU-Äußerungen schwer verkennbar. So wird vor „dirigistischen und versorgungsstaatlichen Entwicklungen“ gewarnt, jede Form der „Systemüberwindung“ scharf abgelehnt und vor einer Vernachlässiguns der europäischen Einigungsbemühungen gewarnt. Dies und noch manche andere Wendung lassen nicht nur SPD-Politiker an manche Barzel-Rede der jüngsten Zeit denken.

Gerade die heftigste Attacke der Erklärung der deutschen Katholiken gegen die jetzige Regierung überrascht am wenigsten: Sie betrifft die Abtreibung, den Paragraphen 218 des Strafgesetzbuches der Bundesrepublik. Die Entwürfe der Bundesregierung zur Reform des Paragraphen 218 werden als Beispiele „sittlichen und rechtlichen Verfalls“ gewertet.

Damit zeigt sich, daß alle Bemühungen der SPD/FDP-Koalition, die Kirchen in der Abtreibungsfrage auch nur ein wenig zu überzeugen, vergeblich waren. Dies deutete sich bereits an, als der Kölner Kardinal Höffner, noch ehe von den vorzeitigen Neuwahlen die Rede war, erklärte: „Wer eine Abtreibung gestattet, ist für Katholiken unwählbar.“ Noch deutlicher formulierte es die hauptsächlich in Kirchen verkaufte „neue bildpost“: „Die SPD ist für Katholiken nicht mehr wählbar.“

Angesichts dieser klaren Ablehnung müssen die Regierungsparteien jetzt erkennen, daß alle Liebesmüh der letzten Jahre um die katholische Kirche vergeblich war. Eine Erkenntnis, die um so schmerzlicher sein muß, als die Anstrengungen nicht gering waren. Oft genug hatte sich SPD-Justizminister Gerhard Jahn vorwerfen lassen müssen, nach der Pfeife der Kirche zu tanzen. Dennoch hatte dieser Minister, ebenso wie mancher andere SPD-Politiker bis hin zu Brandt, ständig das Gespräch mit der katholischen Kirche gesucht. Daß von Anfang an bei diesen Bemühungen auf die nächste Wahl geschielt wurde, war leicht zu erkennen.

Die jetzt auf Seiten der SPD geäußerte Meinung, die Kirche solle sich aus dem Wahlkampf heraushalten, kann nach dem anfänglichen Liebeswerben um diesen „Meinungsmacher“ nicht ganz ehrlich klingen. Eher spricht aus ihr der Ärger des verschmähten Liebhabers. Umgekehrt duldete die SPD auch eine Broschüre, die die Sozialdemokratische Wählerinitiative von Günther Graß unter dem Titel „Katholiken zur SPD-Politik“ herausgab. In ihr sprachen sich prominente Katholiken, deren Sympathien für die SPD allerdings längst bekannt waren, für die SPD und gegen die Christdemokraten aus. Wenn auch eine solche Broschüre kaum bei jenen Kirchenmitgliedern ankommen dürfte, die „katholisch“ und CDU für identisch halten, so spricht doch aus ihr die deutliche Absicht, mit dem Prädikat „katholisch“ Wahlkampf zu betreiben.

Der große Unterschied zu den jüngsten katholischen Anti-SPD-Erklärungen liegt jedoch darin, daß sich im Fall der SPD-Schrift Einzelpersönlichkeiten mit ihren sehr subjektiven Ansichten zu Wort melden, während auf der anderen Seite — vor allem im Fall der Abtreibung — ein kirchenamtliches Nein gegen die SPD geschleudert wird. Dieser Unterschied verwehrt es auch, Parallelen zwischen der Befürwortung der Ostverträge durch prominente Protestanten — darunter auch Bischöfe — und der Ablehnung der Regierungspolitik durch Kardinäle und das Zentralkomitee zu ziehen. Auch bei den protestantischen Stellungnahmen, die von der SPD mit einiger Genugtuung aufgenommen worden waren, handelte es sich um ganz persönliche Erklärungen zu einem konkreten politischen Problem. Auf katholischer Seite hingegen, vor allem in der Abtreibungsfrage, sagte die Kirche selbst ihr Nein und ließ sogar im Osservatore Romano erklären, die beabsichtigte Reform des Abtreibungsparagraphen komme einer Neuauflage der NS-Euthanasie gleich.

Auf protestantisdier Seite ließen die Kirchenführer bis jetzt erkennen, daß sie nicht daran denken, sich derart in den Wahlkampf einzumischen. Zwar hat auch Landesbischof Dietzfelbinger seine Bedenken in der Abtreibungsfrage und hat diese Justiz-minister Jahn und Bundeskanzler Brandt in seiner Eigenschaft als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mitgeteilt. Jede offene, auf den Wahlkampf bezogene Erklärung wurde freilich entschieden vermieden. Die Lutheraner, im politischen Engagement von jeher etwas gehemmt und obrigkeitsfreundlich, erklärten bereits, wie sie sich die Rolle der Kirche im Wahlkampf vorstellen: Die Kirche solle Polarisationen abbauen helfen und sich dafür einsetzen, daß der gemeinsame politische Boden nicht verloren gehe. Auch EKD-Dietzfelbinger unterstrich diese Mittlerrolle und forderte die „dialogfähige Kirche“.

Die katholischen Bischöfe haben sich ähnlich direkt zum Wahlkampf noch nicht geäußert. Bernard Vogel, Bruder des Ex-SPD-Bürgermeisters von München und CDU-Kultusminister in Rheinland-Pfalz, erklärte aber bereits als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, ein Hirtenbrief der Deutschen Bischofskonferenz zum Wahlkampf sei „wahrscheinlich“. Über seinen Inhalt ist noch nichts bekannt. Daß die SPD an ihm nicht viel Freude haben wird, ist nach den bisher bekanntgewordenen Äußerungen katholischer Würdenträger jedoch ziemlich wahrscheinlich.

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