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Vergessene Compositeurs

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Wer von Musik in Wien und von den Meistern spricht, die jahrhundertelang das Wiener Musikszenario bestimmten, denkt kaum daran, in welchem Maß die Musiker des kaiserlichen Hofes Geisteshaltung oder politische Gesinnung und damit Glanz und Pracht bestimmten. Kaum jemand gedenkt jener Hofkapellmeister, Hofcompositeurs und Hoforganisten, deren Wirken die Metropole Wien zum Anzie-

hungspunkt auch für jene schöpferischen Kräfte werden ließ, die hier europäische Musikgeschichte machten. Aber selbst wenn man an Musiker wie Johann Heinrich Schmelzer, Johann Kaspar Kerll, Johann Joseph Fux, Christoph Willibald Gluck, Antonio Salieri, Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Ritter von Eybler, Anton Bruckner, Johannes Brahms und — in weiterem Zusammenhang — an den Hofoperndirektor Gustav Mahler denkt, bringt man diese Namen wohl kaum mit dem Amt eines Hofkapellmeisters oder Hofcompositeurs in Zusammenhang.

Es bedeutete einen Prozeß des Aufarbeitens, wenn das Wiener Konzerthaus um die Fast-Verges- senen und Unterschätzten unter diesen Meistern im Rahmen der Wiener Festwochen ein Fest präsentierte und renommierte Ensembles („London Baroque“, Wiener Kammerorchester) und Solisten oder Dirigenten (Martin Haselböck, Charles Medlam, Gianandrea Gavazzeni oder Philippe Entremont) für diese Rehabilitierung einspannte.

Dabei wurden oft vergessene Zusammenhänge hörbar gemacht, etwa bei den grandiosen Lamenti für Kaiser Ferdinand III. von Johann Jakob Froberger und Johann Heinrich Schmelzer, bei den Sonaten und Balletti von Heinrich Ignaz Biber, bei den Orgelstücken von Kerll bis Bruckner, bei Fux „Orfeo ed Eu- ridice“, Glucks „Orpheus“ und „Telemaco“, bei Salieris Oper „Axur, Re d’Ormus“, B-Dur-Messe oder „Venezia“-Sinfome, bei Eyblers „Augustin“-Variationen. Ein breites Panorama höfischer Repräsentationskunst war die überraschende Bilanz.

Wenn der Musikfreund vielleicht auch das eine oder andere Stück dieser Bilanz kannte, die Zusammenhänge einer Tradition von „Hofmusik“ wurden sichtbar.

die in die urkundlich festgehaltene Reorganisation der kaiserlichen Hofkapelle im Jahr 1498 durch Kaiser Maximilian I. zurückreicht. Große Namen, etwa der Heinrich Isaacs, gaben der Kapelle schon um 1500 Gewicht. Ferdinand I. berief führende Komponisten aus den Niederlanden, unter Ferdinand II. öffnete sich die Hofkapelle den Italienern, die am Wiener Kaiserhof die barocke Musik- und Kunstapotheose inszenierten und, argwöhnisch, herrschsüchtig und intrigant, neben sich schließlich keine andere Nationalität mehr duldeten.

Ausgenommen waren die beiden Einheimischen: Johann Heinrich Schmelzer, dessen Divertimento-Form wegweisend wurde für den Wiener klassischen Stil und die Entwicklung des Streichquartetts durch Joseph Haydn, und Johann Fux. Fux, der Autor des „Gradus ad parnassum“ (1725) und Opernkomponist, der vor allem in der Krönungsoper für Kaiser Karl VI., „Constanza e Fortezza“, das Ringen des barok- ken Kaisertums um den Bestand des römisch-deutschen Imperiums verherrlichte, stach damit selbst seinen italienischen Kollegen Antonio Caldara aus.

Nach drei Generationen von Venezianern, die den Kaiserhof verschwenderisch mit Musik unterhielten, war die Zeit reif für die große musikdramatische Reform. Gluck wurde von Maria Theresia nach Wien geholt, um der Reformoper und ihrer streng architektonischen Qualität zum Durchbruch zu verhelfen. Gerade das bei den Festwochen in Wien aufgeführte Dramma per musica „Telemaco“, entstanden 1765 zwischen „Orfeo“ und „Alceste“ für die Hochzeit Josephs II. mit Maria Josepha von Bayern, zeigt jene modern-klassizistischen Qualitäten, die selbst einen Hector Berlioz noch begeisterten… Am Ende dieser Entwicklung steht Antonio Salieri, der letzte der italienischen Maestri, deren Geschmack bald einem „nationalen“ Stil Platz machen mußte: für Mozart, die Wiener Klassik, die Romantiker Brahms und Bruckner.

Riesige Bestände an Noten und Manuskripten aus dieser Zeit befinden sich im Besitz der österreichischen Nationalbibliothek, hier sollten die Konzertveranstalter Weiterarbeiten.

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