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Vergessenes Land jenseits des Prut

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Industriell und agrarwirtschaftlich ist das seit Mai 1990 unabhängige Moldawien ausgeblutet. De facto dreigeteilt, gibt es wenig Hoffnung für vier Millionen Bürger.

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Industriell und agrarwirtschaftlich ist das seit Mai 1990 unabhängige Moldawien ausgeblutet. De facto dreigeteilt, gibt es wenig Hoffnung für vier Millionen Bürger.

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Mit nur 0,5 Prozent der Gesamtanbaufläche der früheren Sowjetunion hatte die seinerzeitige Sowjetrepublik Moldawien, die dieser Tage wieder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) beigetreten ist, einen Anteil von einem Viertel des Gesamtweinbaus, neun Prozent des Gemüseanbaus und zehn Prozent des Obstbaus der UdSSB

Industrialisiert ist vor allem Transnistrien, also das zur Ex-Sowjetrepublik gehörende Gebiet jenseits des Dnjestr mit der Hauptstadt Tiraspol, das von Chisinau wegstrebt. Betrachtet man Moldawien heute, so ist es faktisch dreigeteilt, da im Süden die Gagausen, ein christliches Turkvolk um das Zentrum Comrat 1990 eine eigene „Republik" ausgerufen haben.

Dem mit 33.000 Quadratkilometern nach Armenien kleinsten Ex-Sowjetstaat ist heute der große Markt UdSSR verlorengegangen. Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten in Österreich, Obmannstellvertreter des Zentralausschusses Franz Hnatusko, der Moldawien besucht hat, berichtet von einem starken Bemühen des Landes um Westmärkte. Der in viele Fachgewerkschaften - ähnlich Österreich -, jedoch nicht in Fraktionen gegliederte moldawische Gewerkschaftsbund ist, wie Hnatusko gegenüber der FURCHE erläuterte, „begierig nach Westkontakten". 97 Prozent der zwei Millionen Arbeitnehmer sind in Moldawien gewerkschaftlich organisiert, 700.000 Mitglieder hat allein die Agrariergewerkschaft.

Einzelne Fachgewerkschaften sind noch stark auf Moskau orientiert, vor allem der Öffentliche Dienst, der zum regelmäßigen Rapport nach Moskau anmarschiert; die Postgewerkschaft hat schon „nationale" Züge angenommen und die Kontakte nach Moskau reduziert. Der gesetzliche Mindestlohn in Moldawien macht heute 7.000 Rubel aus; das reicht, wie Hnatusko konstatiert, für ein sparsames Leben, „bei dem man unter Umständen verhungern kann".

Die Landschaft Moldawien ist von Monokulturen geprägt, was besonders nach Überschreiten der Grenze von Rumänien aus auffällt. Die gemischten Kulturen in Rumänien werden plötzlich von riesigen Plantagen - Wein, Äpfel, Birnen - abgelöst. Die Geschäfte in den Städten sind meist leer, in Chisinäu kostet ein einigermaßen ansehnliches Kleid 10.000 Rubel, ein Essen in einem „Spitzenhotel" ist für zehn- bis fünfzehntausend Rubel zu haben. Die Inflation ist mit mehr als eintausend Prozent „irrsinnig" (Hnatusko). Die Arbeitslosenrate liegt gegenwärtig bei sieben Prozent, sie wird noch dramatisch steigen, wird befürchtet.

Die Industrie, die nicht mit der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte befaßt ist, lahmt; die Agrarprodukte kennzeichnet gute Qualität, ein dramatischer Mangel -1 herrscht im technischen Bereich. Daher ist „die Aufmachung" für die angebotene Produktpalette schlecht. Von westlichem Zuschnitt, was beispielsweise Etike-tierung von Weinflaschen und Fruchtsäften betrifft - so Hnatusko - kann keine Rede sein.

Hnatusko kann sich vorstellen, daß von der Qualität her eine Chance für gewisse Produkte auf den Westmärkten bestünde- vor allem bei kosmetischen Erzeugnissen und Produkten der Parfümerie. Wenn dies angestrebt werde, müßte es allerdings bedeutende Investitionen geben, das Land braucht Kapital.

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