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Vergewaltigung - mit Zeugen?

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Vergewaltigungsprozesse allerorten: Ob es William Kennedy-Smith im fernen Florida ist oder der Täter vom viel näheren Schwedenplatz in Wien, der nächtens an die 40 Frauen vergewaltigt haben soll - oder es zumindest versucht hat.

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Vergewaltigungsprozesse allerorten: Ob es William Kennedy-Smith im fernen Florida ist oder der Täter vom viel näheren Schwedenplatz in Wien, der nächtens an die 40 Frauen vergewaltigt haben soll - oder es zumindest versucht hat.

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So zynisch es klingen mag: die Opfer des Täters vom Schwedenplatz haben dabei im Grunde genommen noch Glück gehabt, und das gleich in zweierlei Hinsicht. Einmal, weil der Gewalttäter immer wieder dieselbe Strategie angewendet hat, sodaß der Tatverdacht durch die gleichlautenden Aussagen der Opfer erheblich verstärkt wird, und zum zweiten, weil der Täter mit einem Messer bewaffnet war. Damit ist der so wichtige Tatbestand einer Bedrohung von Leib und Leben gegeben.

Genau das sind nämlich die idealen Voraussetzungen dafür, daß den Frauen auch tatsächlich Glauben geschenkt wird. Bei vielen geistert offenbar im Hinterkopf immer noch die Vorstellung herum, daß Frauen gar nicht so unfreiwillig bei solchen „Sexspielereien" mitmachen. Allein dies Wort drückt es schon aus: als schwerwiegende Delikte werden solche Dinge oft nicht betrachtet.

Und eben zum Nachweis der Unfreiwillig-keit ist es günstig, Zeugen für die Gewaltanwendung zu haben oder Spuren derselben, beispielsweise Blutergüsse nachweisen zu können. Auch gleichlautende Aussagen anderer Opfer, die unabhängig voneinander gemacht wurden, erweisen sich als vorteilhaft. Nur: nicht immer stehen so klare Beweise zur Verfügung.

Regina Trotz vom Wiener „Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen" weiß ein Lied davon zu singen: „Es ist schon arg, wenn Frauen anrufen und erzählen, was passiert ist, und ich weiß genau, wieder einer, der nicht verurteilt wird." Das hat damit zu tun, daß die österreichische Rechtssprechung auf dem Grundsatz aufbaut: im Zweifel für den Täter.

Ein Grundsatz, der nirgendwo so häutig angewendet wird wie bei Sexualdelikten.

Das bestätigen auch die Anwältinnen Birgit Bichler-Tschon und Vera Scheiber, die mit dem Notruf in enger Verbindung stehen. Selten würde ein Wareehausdetektiv gefragt, ob er sich nicht in der Person des (vermeintlichen) Täters irre, oder ob er das ganze nicht einfach zusammenphantasiert habe, nur den Opfern von Sexualdelikten würden solche Irrtümer beziehungsweise Lügen unterstellt.

Nicht zuletzt wird dies auch daran sichtbar, daß bei solchen Verhandlungen oft Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt werden, in denen ein Sachverständiger zu beurteilen hat, ob Verlaß auf die Aussagen des Opfers ist.

Hochnotpeinliche Befragungen Die Sache mit dem Glaubwürdigkeitsgutachten ist aber nur ein Detail am Rande in solch demütigenden Verfahren. Wenn sich eine Frau wirklich dazu durchringt, ein Sexualdelikt anzuzeigen (nicht umsonst sind hier die Dunkelziffern besonders hoch), hat sie mit einer Reihe hochnotpeinlicher Befragungen zu rechnen.

Es kann passieren, daß sie das Erlebte bis hin zu den Einzelheiten viermal erzählen muß: bei der Anzeige auf der Polizei, dem Anwalt beziehungsweise der Anwältin, vor dem Untersuchungsgericht und dann schließlich bei der Hauptverhandlung.

In den meisten Fällen passiere bei irgendeiner der offiziellen Instanzen „etwas Ungutes", meint Regina Trotz. Das kann die berühmte Frage sein, ob die Frau denn einen Minirock getragen habe und geht hin bis zu „pornographischen Befragungen, damit sich irgendwer daran begeilen kann."

Zwar hat es in den letzten Jahren Versuche gegeben, den Frauen den Weg durch die Instanzen zu erleichtem, sie scheitern aber oft an der Praxis. Was nützt das Recht, bei der Anzeige eine Polizeibeamtin verlangen zu können, wenn einfach keine da ist - nachts oder am Land? Zumindest quälende Wartezeit muß dann in Kauf genommen werden. Und außerdem: auch Polizistinnen sind nicht immer ein Ausbund an Einfühlsamkeit, genausowenig wie Richterinnen.

Oder was nützt das Recht, unzumutbare Schilderungen vor Gericht verweigern zu können, wenn der Täter dann freigesprochen wird, weil die Aussage unvollständig, das Belastungsmaterial zu gering war? Für Birgit Bichler-Tschon und Vera Scheiber ist diese Bestimmung ein Gummiparagraph, der in der Praxis nicht hält, was er bei der Gesetzesno-vellierung 1987 versprochen hat.

„Nicht übertreiben"

Stellt sich schließlich die Frage nach der gesellschaftlichen Einstellung gegenüber Sexualdelikten und Gewalt gegen Frauen. Schließlich steht ja die Gesellschaft (zumindest theoretisch) hinter der Gesetzgebung. Und da sieht es vermutlich nicht besonders gut aus für die Frauen. Das zeigen beispielsweise die Reaktionen auf die Äußerungen des Rechtsanwaltes Johannes Schriefl im Prozeß gegen die beiden Polizisten von der Wachstube Karlsplatz, die eine Drogenabhängige vergewaltigten. Als „Material für nette Spiele" hatte er Frauen bezeichnet.

Rechtsanwaltskammerpräsident Walter Schuppich meinte dazu, das sei eine Verallgemeinerung gewesen, wie sie eben manchmal vorkäme, auch gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen. Das Ganze sei „falsch, gar keine Frage, aber wir dürfen das nicht übertreiben." Bichler-Tschon wundert sich nicht besonders über die Äußerung ihres Kollegen Schriefl: „Solche Ausrutscher passieren eben, wenn eine bestimmte Einstellung herrscht."

Und für sich spricht schließlich auch, daß eine Hilfsorganisation wie der „Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen" Jahr für Jahr um die Finanzierung kämpfen muß. Verhält sich die Gesellschaft gegenüber einer Einrichtung so nachlässig, deren Notwendigkeit sie anerkennt? Wird wirklich alles getan, um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen?

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