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Vergnügliches Schmökern

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Nicht etwa simpel nostalgisch, sondern spannend (und daneben natürlich aufschlußreich) kann die Lektüre sein, wenn über unseren modernen Wortschatz gegrübelt und tiefer in ihm gegraben wird: bis in die oft genug erstaunlichen Wurzeln seiner Entstehung. Denn erzählen kann man, wenn man es kann, über mancherlei: über Kriminalfälle, über Liebesaffairen oder über

Reisen in ferne Länder. Aber es können auch einmal die Wörter selbst und ihre weit zurückliegende Herkunft zu Wort kommen. Vom Band sieben der zehnbändigen Duden-Reihe ist soeben eine „völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage" erschienen, ein 840-Seiten-Kompendium, von der Redaktion des Duden-Verlags unter der Leitung Günther Drosdow-skis herausgegeben.

Der genaue Buchtitel lautet: „Duden/Das Herkunftswörterbuch/Etymologie der deutschen Sprache/Die Geschichte der deutschen Wörter von ihrem Ursprung bis zur Gegenwart." Es ist nicht bloß ein selbstverständlich lehrreiches, es ist darüber hinaus ein anregendes Nachschlagewerk, in welchem man beim Blättern unwillkürlich ins Lesen und Wei terlesen gerät. Denn es sind tatsächlich immer wieder hochinteressante Geschichten, die da knapp und trotzdem ausführlich erzählt werden: von der Herkunft und den manchmal zahlreichen Bedeutungsveränderungen einzelner Wörter, aber auch von den historischen Ursachen solchen Wandels. Rund 8.000 Artikel, wahre Wortgeschichten von 20.000 Wörtern stehen zu Buche, immer ansprechend vorgetragen und auf den neuesten Stand der Forschung sowie der gegenwärtig geltenden Anschauungen gebracht.

Natürlich wissen wir: „Pola-tschinke": Der österr. Ausdruck für ,dünner, zusammengerollter und mit Marmelade o. ä. gefüllter Eierkuchen’." Doch unter dem acht-zeiligen Stichwort erfahren wir nicht nur, daß die Bezeichnimg aus dem ungarischen palacsinta entlehnt ist und über das rumänische plaxnnta auf das lateinische placenta (=r „flacher Kuchen") zurückgeht. Wieso das kam? Die „flachen Kuchen" wurden von römischen Besatzungssoldaten im Donauraum eingeführt.

Und aus den Hauptwortformen

„Trotz" oder „Trutz", so liest man, „entwickelte sich seit dem 16. Jahrhundert die Verwendung von Trotz, als Präposition trotz, der Entstehung gemäß ursprünglich m^t dem Dativ, dann mit dem Genetiv (18. Jahrhundert; beachte aber trotzdem)" - sehr sehr richtig! Sprachgenaue Schriftsteller (zum Beispiel Jutta Schütting) gebrauchen daher auch im 20. Jahrhundert das Vorwort sprachlogisch mit dem Dativ, also nicht nur in besonderen Wendungen wie trotz alledem und trotz allem, die das Werk natürlich zu Recht (quasi als Ausnahme) registriert.

Oder auch: Daß Zweck noch bis vor vierhundert Jahren Nagel bedeutete, wird richtigerweise in Erinnerung gebracht. Es gibt freilich auch heute noch Leute (zumal ältere), die statt Reißnagel lieber Reißzwecke sagen; dieser Hinweis findet sich freilich nur im Band eins der Duden-Reihe, der bekanntlich „Die Rechtschreibung" behandelt.

Wer sich schon früher für die Herkunft der im Deutschen üblichen Wörter interessiert hat, kennt wahrscheinlich das seit mehr als hundert Jahren hochan gesehene „Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache" von Friedrich Kluge oder das ungemein populär gewordene und seit siebzig Jahren auflagenstark kursierende Werk „Woher?" von Ernst Wasserzieher. Beide Fachbücher wurden nach dem Ableben ihrer Verfasser weiterbearbeitet Beim Vergleich merkt man freilich bald, daß die neue Fassung der „Duden-Etymologie" weit ausführlicher konzipiert ist Es sind in größerem Ausmaß Fremdwörter in die Herkunftsanalyse einbezogen, selbstverständlich die philologisch neuesten Erkenntnisse, darüber weit hinaus aber auch (was einem Kluge nie in den streng wissenschaftlichen Sinn gekommen wäre) Mode-Ausdrücke (wie der „Macho" und das gedankenlos vielmißbrauchte „super") sind ernstlich und nicht unkritisch behandelt. Vor allem aber, und das ist für den Benutzer am wichtigsten: Es wird nicht nur verzeichnet, es wird erzahlt. Wir haben also ein „Herkunftswörterbuch" neuen Stils in der Hand. DUDEN/DAS HERKUNFTSWORTERBUCH. Herausgegeben von Günther Oros-dowski. Bibliographisches Institut Mannheim. Wien, Zurich 1989. 844 Seiten, geb.. öS 249.60.

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