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Verharmlosung der Okkupation?

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Schuschnigg die Hoffnung keimen, daß diese Männer einen Rest österreichischer Identität, ja österreichischer Selbständigkeit bewahren könnten. Tatsächlich gaben sie sich selbst der Illusion hin. Sie waren bitter enttäuscht, als sie gleich nach getaner Arbeit „abserviert“ wurden.

Das vorliegende Buch hat massive Kritik erfahren, kaum daß seine ersten Exemplare ausgeliefert waren. Bis zum Vorwurf der „Geschichtsfälschung im Staatsverlag“ gingen die ernsten Bedenken und der laut artikulierte Widerspruch (H. R. im „Kurier“ vom 12. April 1987). Ein genaues Studium der Arbeit des 1956 (!) geborenen Militärhistorikers und Mitarbeiters des Kriegsarchivs lassen diese — nehmt alles nur in allem — überzogen erscheinen und ein wenig vorschnell.

Erwin A. Schmidl wollte bestimmt keine Verharmlosung der Okkupation Österreichs vor bald

50 Jahren durch das nationalsozialistische Deutsche Reich betreiben oder gar neonazistischen oder stramm deutschnationalen Kreisen Munition liefern. Vielleicht wäre es allerdings besser gewesen, wenn er sich streng auf sein Thema „Der deutsche Einmarsch in Österreich“ beschränkt hätte. Hier hat er gewissenhafte Forschungen betrieben und eine umfassende militärhistorisch beachtenswerte Studie über Vorbereitung und Durchführung des ersten Einmarsches der Deutschen Wehrmacht in ein Nachbarland vorgelegt. Dasselbe gilt auch für die Operationen des österreichischen Bundesheeres in den kritischen Tagen vor dem 11. März.

Das Elend des reinen Fachmannes — also auch des militärischen Fachhistorikers — wird offenbar, sobald er sich zu politischen Interpretationen, ja Schlußfolgerungen verleiten läßt. Auch hier sind es vor allem, wie wir annehmen möchten, Fragen der Terminologie, die Fehlinterpretationen ^ ermöglichen. Während in einem persönlichen Gespräch der Autor dem Schreiber dieser Zeilen klar bekannte, daß Kurt Schuschnigg nie ohne die Faust im Nacken, ohne das Säbelgerassel jenseits der Grenze und der Erpressung mit dem militärischen Einmarsch kapituliert hätte, so könnte man aus Schmidls schriftlichen Darlegungen — vergröbert und verkürzt wiedergegeben — durch den Klappentext auf der letzten Seite des Einbandes die Schlußfolgerung ziehen, daß allein die Erhebung des nationalsozialistischen Untergrunds in Österreich siegreich und daher der Einmarsch deutscher Truppen eigentlich überflüssig war. Einer solchen Geschichtsauslegung müßte allerdings widersprochen werden. Und zwar entschieden und mit aller Deutlichkeit.

Kritisiert wurde auch die Bezeichnung „gemäßigte nationale Opposition für Arthur Seyß-In- quart und die Mitglieder seines Anschlußkabinetts. In der 'Tat war das politische Wirken des aus betont-nationalem katholischem Milieu kommenden Wiener Rechtsanwalts und anderer Mitglieder seines Kabinetts - wie Edmund Glaise-Horstenau, Wilhelm Wolf - für Österreich äußerst ver-» hängnisvoll. In der Situation des Jahres 1938 erschien und war dieser Kreis gegenüber den Rabauken des Hauptmanns Josef Leopold, Odilo Globocniks und anderer „waschechter“ Nationalsozialisten jedoch „gemäßigt“. Er ließ bei manchen und wohl auch bei

Von 1945 und von heute gesehen war es allerdings gut, daß man in Berlin „aufs Ganze“ ging und die Ausradierung alles österreichischen brutal betrieben hatte. Ein halber oder ganz nationalsoziali- tischer Satellitenstaat namens Österreich, ein Bundesheer eines solchen Satellitens Schulter an Schulter mit den Truppen Berlins: das hätte bei Kriegsende vielleicht tatsächlich Finis Au- striae zur Folge gehabt — bestimmt aber nicht die Anerkennung als befreiter Staat und schließlich eine von der Welt anerkannte immerwährende neutrale Republik. Die Vorwürfe, die von sowohl fehlinformierten wie auch vergeßlichen Kommentatoren im vergangenen Jahr Österreich zu Unrecht entgegengebracht wurden: in dem oben skizzierten zweiten Fall — und nur in diesem — hätten sie zu Rgcht bestanden.

Gerne bin ich also bereit, Erwin A. Schmidl von dem Vorwurf der „Verfälschung und Verharmlosung“ historischer Tatsachen in Schutz zu nehmen, nicht jedoch von einer gewissen etwas saloppen Interpretierung äußerst sensiblen historischen Materials. Das gilt vor allem für die schon erwähnte Verkürzung im Klappentext und vor allen Dingen für die Auswahl des reichen Bildmaterials. Dieses kommt zum Großteil aus den Materialbeständen der NS-Propaganda. Zugegeben: woher hätte man andere nehmen sollen. In unserem optischen Zeitalter können sie allerdings falsche Schlußfolgerungen fördern und Vorurteile bestärken.

Bei den Opfern der Märztage 1938, bei den Transporten in die KZs, bei den verzweifelten Selbstmördern und den Trauernden in ihren Wohnungen stellten sich allerdings keine Fotografen ein. Wohl wäre es aber möglich gewesen, in Wort und Bild beispielsweise jene Offiziere vorzustellen, die den Eid verweigerten oder als politisch untragbar oder rassisch nicht geeignet aus dem Heer ausgestoßen wurden und zum Teil außerhalb Österreichs konfiniert leben mußten. Warum fehlen Fotografien von Feldmar- schalleutnant Alfred Jansa, Generalmajor Towarek und anderen? Hier sind tatsächlich Fehler - schwere Fehler — geschehen, wer immer — Autor oder Verlag — dafür verantwortlich ist.

Keine böse Absicht, so möchte man annehmen - aber ein schwerer Mangel an staatspolitischem Instinkt.

MARZ 1938. Der deutsche Einmarsch in Österreich. Von Erwin A. Schmidl. Österreichischer Bundesverlag, Wien 1987.336 Seiten, geh., öS 498,-.

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