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Verheerende Konsequenzen

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Viermal so viele Arbeitslose wie heute und die damit verbundenen sozialen und politischen Konflikte: Genau das war die Situation am Vorabend der Februarereignisse 1934.

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Viermal so viele Arbeitslose wie heute und die damit verbundenen sozialen und politischen Konflikte: Genau das war die Situation am Vorabend der Februarereignisse 1934.

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Mit jedem Jahr seit dem Ausbruch der großen Weltwirtschaftskrise 1929 war die wirtschaftliche Lage Österreichs schwieriger geworden. Für die junge Republik, deren wirtschaftliche Konsolidierung in den zwanziger Jahren bemerkenswerte Fortschritte gemacht hatte, war der Zusammenbruch der Kreditanstalt im Jahr 1931 ein besonders schwerer Schlag für weite Bereiche der Wirtschaft.

Wir müssen uns vor Augen halten, daß die damalige Arbeitslosenzahl von 600.000 gemessen an der Bevölkerungszahl von 6,7 Millionen mehr als drastisch war. Trotz aller Erfolge im Zuge der vor allem von den Regierungen Seipel verwirklichten wirtschaftlichen Sanierung, wirkten starke Strukturschwächen nach.

Es waren seit dem Herausreißen des neuen Staates aus einem großen Wirtschaftsraum erst 16 Jahre vergangen. Wir wissen heute angesichts unserer Erfahrungen mit Integration und Desintegration großer Wirtschaftsräume, wie kurz ein Zeitraum von 16 Jahren ist, um Umstrukturierungen zu erreichen. So war Österreich doch ein industriell eher schwacher Staat, als er von den gewaltigen Erschütterungen der beginnenden dreißiger Jahre erfaßt wurde.

Dazu kommt, daß der Stand der damaligen nationalökonomischen Forschung wenig geeignet war, Entscheidungshilfen für eine Wirtschaftspolitik zu vermitteln, die mit der fortschreitenden Arbeitslosigkeit hätte fertig werden können. Der Keynesianismus war zumindest in Österreich in Theorie und Praxis noch nicht so weit bekannt und vertreten, daß etwa die Einsichten über eine antizyklische Budgetpolitik oder die Bedeutung einer flexiblen Einkommenspolitik hätten genutzt werden können.

In den christlichsozialen Kreisen herrschte zum Teil ein deutlicher Antikapitalismus, was einer intensiven Befassung mit wirtschaftswissenschaftlichen Fragen nicht förderlich war. Johannes Messner trat zwar entschieden für einen Sozialrealismus ein. Aber an diesem fehlte es weithin nicht nur im christlichsozialen Lager, sondern auch in dem der Sozialdemokratie:

Es mag sein, daß Otto Bauer etwas mehr von Keynes wußte — in der politischen Auseinandersetzung zeigten sich jedoch wenig konstruktive und zukunftsweisende Vorschläge für eine gezielte Vollbeschäftigungspolitik!

Neuere Untersuchungen haben gezeigt, daß in der 1. Republik die Industrieproduktion den Stand von 1913 nie mehr erreicht hat: Das beste Ergebnis wurde im Jahr 1929, also unmittelbar vor der Weltwirtschaftskrise, erreicht.

Auch wenn die statistischen Daten noch unzureichend sind, läßt sich für die folgenden Jahre bis zur Zerstörung der Unabhängigkeit Österreichs ein Schrumpfungsprozeß des Sozialprodukts um annähernd zwei Prozent pro Jahr feststellen. Ein andauernder wirtschaftlicher Rückschlag wie in den Jahren der Weltwirtschaftskrise mußte verheerende innenpolitische Konsequenzen nach sich ziehen.

Im übrigen haben die Nachfolgestaaten der Monarchie in der Zwischenkriegszeit ehrgeizige industrielle Entwicklungskonzepte mit einer nationalen Wirtschaftspolitik protektionistischer Art verbunden: Durch hohe Zölle und andere Einfuhrbeschränkungen haben sie auch der Industrie des kleinen Österreich die traditionellen Märkte weitgehend versperrt. So hat sich der österreichische Exportanteil in die Nachfolgestaaten der Monarchie von 51,3 Prozent im Jahr 1922 auf 38,7 Prozent im Jahr 1929 verringert.

Die österreichische Industrie war auch zu wenig spezialisiert, um- im harten internationalen Wettbewerb zu bestehen. Die kleine Republik hatte auch keinen funktionsfähigen Kapitalmarkt; dies hatte wieder sehr ungünstige Auswirkungen auf die Investitionsfinanzierung.

Auf jeden Fall läßt sich auch für die zweite Hälfte der zwanziger Jahre feststellen, daß sich „die Unausgewogenheit der österreichischen Wirtschaftsstruktur in einer hohen Arbeitslosenrate niedergeschlagen hat" (Hans Kernbauer, Eduard März, Fritz Weber: Die wirtschaftliche Entwicklung, in: Österreich 1918-1938, hrsg. von E. Weinzierl u. K. Skalnik, Verlag Styria, 1983). Im Jahresdurchschnitt lag sie etwa 1926 bei 244.000, 1929 immerhin noch bei 192.000.

Dazu kam, daß die Übernahme eines großen Teils der Pensionisten aus dem großen Staatsapparat der Monarchie dem Land enorme Lasten aufgebürdet hatte. Als dann die Arbeitslosigkeit im Zuge der Weltwirtschaftskrise ihren Höhepunkt erreicht hatte, war der Staat total überfordert, auch nur eine einigermaßen ausreichende Unterstützung zu gewähren.

Im Jahr 1933 haben nur 60 Prozent der Arbeitslosen eine Arbeitslosenunterstützungerhalten. Ein Teil der übrigen beschäftigungslosen Arbeitnehmer hatte eine Frühpension, die anderen wurden „ausgesteuert" und waren auf Fürsorgeleistungen angewiesen. Die fortschreitende Verelendung vieler Familien und Einzelpersonen war die Folge.

Untersuchen wir die Sozialstruktur der 1. Republik, fällt im Vergleich zu heute der hohe Anteil der mithelfenden Familienangehörigen (12 Prozent) auf. Dies war, wie der Wirtschaftshistoriker Ernst Bruckmüller feststellt, das Kennzeichen einer noch weithin vorindustriellen Wirtschaftsgesellschaft.

Von den 20 Prozent der Selbständigen unter den Erwerbstätigen waren noch 45 Prozent Bauern. Andererseits hat sich freilich auch in Österreich gezeigt, daß gerade die bäuerliche Bevölkerung eher ein stabiler Faktor war, dies gerade unter innenpolitischen Aspekten.

Der 1. Republik hat auch noch eine Sozialpartnerschaft gefehlt, wenn auch gewisse Tendenzen in dieser Richtung vorhanden waren. Immerhin waren die am Beginn der Staatsgründung geschaffenen Arbeiterkammern nach dem Modell der Handelskammern entwickelt worden. Wir finden immer wieder Initiativen und Beweise für eine Zusammenarbeit der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen. Für die innenpolitische Entwicklung haben sich daraus aber zu wenige Impulse entwickelt.

Wenn auch die aus den Gewerkschaften, Arbeiterkammern und Unternehmerorganisationen stammenden Politiker im allgemeinen eher den gemäßigten Gruppen in den einzelnen Parteien angehört haben, so konnten sie sich gegen die radikalen und destruktiven Kräfte letztlich nicht durchsetzen.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß in der 1. Republik auf wirtschaftlichem Gebiet zwar eindrucksvolle Leistungen vorliegen, enorme Anstrengungen von vielen Unternehmen gesetzt wurden, trotz aller Schwierigkeiten ihre Wettbewerbsposition zu verbessern, daß aber dennoch das Gesamtergebnis recht bescheiden war.

Die Hauptschuld daran tragen gewiß die internationale wirtschaftliche Entwicklung und die ungünstige Ausgangsbasis des kleinen Staates. Aber auch die österreichische Wirtschaftspolitik — gefangen in den Anschauungen ihrer Zeit — hat nicht zu einer zukunftsweisenden Konzeption gefunden. Die Unsicherheit und Unrast der politischen Verhältnisse hat dies verhindert.

Der Autor ist Professor für Gesellschaftspolitik und politische Theorie an der Universität Wien.

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