6888634-1979_38_04.jpg
Digital In Arbeit

Verirrungen einer Familienpolitik

19451960198020002020

In der „Zusammenfassenden Darstellung” zum Familienbericht 1979 schreibt Staatssekretär Elfriede Karl, die Mitglieder des Familienpolitischen Beirates beim Bundeskanzleramt haben dort die Möglichkeit, „ihre Vorstellungen zur Familienpolitik zu deponieren”. Der Ausdruck „deponieren” ist treffend gewählt.

19451960198020002020

In der „Zusammenfassenden Darstellung” zum Familienbericht 1979 schreibt Staatssekretär Elfriede Karl, die Mitglieder des Familienpolitischen Beirates beim Bundeskanzleramt haben dort die Möglichkeit, „ihre Vorstellungen zur Familienpolitik zu deponieren”. Der Ausdruck „deponieren” ist treffend gewählt.

Werbung
Werbung
Werbung

Zwar sind im Beirat die sozialistischen Vertreter in der Minderheit, aber selbst einstimmig gefaßte Beschlüsse werden von der Regierung mißachtet. So liegt seit dem Jahre 1970 im „Depot” die einhellige Empfehlung des Beirates, die Höhe der Familienbeihilfen nach dem Alter der Kinder zu staffeln, da die Unterhaltskosten mit steigendem Alter bekanntlich stark ansteigen. Doch im November 1970 entschied sich die Regierung gegen die Altersstaffelung und dafür, die vorhandenen Gelder zur Finanzierung kostenloser Schulbücher und Schülerfahrten zu verwenden.

Finanzminister Androsch hat 1976 eine parlamentarische Anfrage verneint, ob er die Zielvorstellungen des Familienlastenausgleichsgesetzes zu ändern beabsichtige. Sie wurden und werden aber seit der Regierungs- Übernahme durch die Sozialisten laufend verändert. Nie hat es bis dahin den geringsten Zweifel gegeben, daß der Gesetzgeber mit dem 1954 einstimmig beschlossenen Gesetz etwas anderes gewollt hat, als den Familien Bargeld in die Hand zu geben, um ihnen die Mehrbelastung zu erleichtern, die ihnen im Vergleich zu Kinderlosen durch die Versorgung der Kinder entstehen.

Daneben hat es immer schon Sachleistungen gegeben, ohne daß sie aber dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen angelastet worden wären. Man denke nur an so bedeutende Leistungen wie die beitragsfreie Einbeziehung von Frau und Kind in die Kranken- und Pensionsversicherung des Familienerhalters, Schulbücher wurden von Gemeinden und Schülerladen zur Verfügung gestellt, die Verkehrsuntemehmungen gewährten größte Ermäßigungen für Schulfahrten.

Allen diesen Sachleistungen gemeinsam war, daß die Kosten aus dem Budget jener Institutionen gedeckt wurden, in deren sachliche Zuständigkeit die Leistung fiel.

In jeder Budgetdebatte vergaßen Debattenredner auch nicht, das hohe

Bundesbahndefizit mit den hohen Kosten der Sozialtarife zu entschuldigen. Als die Sozialisten mit der Finanzierung von Sachleistungen aus Familiengeldem begannen, wußten sich nicht nur Ministerien, sondern auch die Bundesbahnen zu helfen. 1975 beklagte der Familienpolitische Beirat, daß die Bahn in einem einzigen Jahr die Schülertarife um über 100 Prozent - bedeutend mehr als jeden anderen Tarif - erhöht hatte.

Die Sozialisten haben es geschickt verstanden, die öffentliche Meinung zu beeindrucken, indem sie die Ausräumung des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen mit der Ausweitung einer Sachleistung verbanden. So ist es gewiß erfreulich, daß durch die Schulbuchaktion nicht nur die Familien in großen Gemeinden wie Wien, sondern auch im kleinsten Ort sich nicht mehr um die Beschaffung von Schulbüchern sorgen mußten.

Allerdings urteilte der Rechnungshof, daß das Unterrichtsministerium von allen Versorgungsmöglichkeiten die kostspieligste gewählt hat. Statt etwa das bestehende System der Schülerladen auszubauen, wurde das Wegwerfbuch unterschiedslos an arm und reich vergeben.

Trotz steigender Einnahmen des Ausgleichsfonds drücken sich die Sozialisten nun schon fast ein Jahrzehnt um die Bewilligung der Altersstaffelung der Familienbeihilfen mit immer anderen Ausreden. Staatssekretär Karl überraschte im Nationalrat durch die verblüffende Behauptung, mit der Schulbuchaktion und der Schülerfreifahrten seien die altersbedingten Mehrkosten der Rinderhaltung ersetzt; als ob nicht viel mehr ins Gewicht fallt, daß die Ausgaben für Nahrung, Kleidung, Urlaub usw. mit zunehmendem Alter kräftig ansteigen. Von Bruno Kreisky und Hannes Androsch war wieder zu hören, daß die Staffelung in der Durchführung zu kompliziert wäre und man überhaupt noch zu wenig Unterlagen über die tatsächlichen Kinderkosten habe.

Merkwürdig! Über das Existenzminimum weiß man Bescheid. Androsch könnte sich auch leicht bei seinem Ministerkollegen Broda über Unterhaltskosten für Kinder informieren. Jährlich gibt das Justizministerium eine in sechs Altersstufen gegliederte Übersicht der „durchschnittlichen monatlichen Verbrauchsausgaben für Kinder in Haushalten mit durchschnittlichen Verbrauchsausgaben” heraus, die in Alimentationsfragen den Gerichten als Entscheidungshilfe dienen soll.

Aus ihr geht klar hervor, daß schon die Verbrauchsausgaben für ein Kind im Hauptschulalter mehr als doppelt so hoch sind wie für ein Kleinkind.

Der erste Schritt zur Altersstaffelung wurde nicht gemacht, obwohl das Geld dazu da gewesen wäre. Der 1969 einsetzende Wirtschaftsaufschwung führte zu einem Einnahmenzuwachs im Ausgleichsfonds von 6,6 Milliarden Schilling auf 17,6 Milliarden im Jahre 1977. Während früher die Einnahmen fast hundertprozentig den Familien zuflossen, zweigten die Sozialisten immer mehr Mittel zur Finanzierung von Sachleistungen ab, 1977 bereits 3,5 Milliarden.

Gewiß kommen sie den Familien zugute, und ebenso gewiß freuen sich die Budgetverantwortlichen, daß sie auf Kosten des Ausgleichsfonds nicht nur bei Büchern und Schulfahrten, sondern auch beim Karenzurlaubsgeld, beim Mutter-Kind-Paß und beim Entbindungsgeld insgesamt Milliardeneinsparungen machen. Und immer noch werden neue Finanzierungsforderungen an den Ausgleichsfonds herangetragen.

Doch daraus kann nichts werden. Auch um die Altersstaffelung ist es schlecht bestellt, trotz einem im Wahlkampf gegebenem und in der Regierungserklärung wiederholtem Versprechen Kreiskys, Familiengelder „ausschließlich” für die Familien zu verwenden. Seit 1978 ist der Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds mit der Auflage verringert worden, entsprechend mehr in die Pensionsversicherung einzuzahlen. Androsch kann daher drei Milliarden Schilling weniger aus dem Budget der notleidenden Pensionsversicherung zuschießen: Kinder helfen Senioren!

Diese Kürzung der Einnahmen des Ausgleichsfonds hat zur Folge, daß seine Budgetvorschläge für 1978 und 1979 bereits einen Abgang von 8 Milliarden aufweisen und damit die Reserven von 10,5 Milliarden fast aufgebraucht sind. Woher 1980 Geld für die versprochene Altersstaffelung kommen soll, fragt der Familienbericht nicht; er nimmt die Kürzung der Familiengelder gelassen zur Kenntnis, als „Erweiterung des budgetpolitischen Spielraumes im Hinblick auf die Arbeitsplatzsicherung”.

Der erste Beitrag zu diesem Thema erschien in der FURCHE vom 5. September 1979. Ein dritter Teil folgt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung