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Verkabeltes Feldkirch
Eines der meiststrapazierten Wörter im Jahr 1978 war wohl das Wort „Kabelfernsehen“. Tages- und Wochenzeitungen, politische Parteien, Kirchen und Firmen setzten sich ebenso intensiv mit diesem Wort auseinander wie Eltern- und Familienverbände, Jugendorganisationen und Pädagogen.
Eines der meiststrapazierten Wörter im Jahr 1978 war wohl das Wort „Kabelfernsehen“. Tages- und Wochenzeitungen, politische Parteien, Kirchen und Firmen setzten sich ebenso intensiv mit diesem Wort auseinander wie Eltern- und Familienverbände, Jugendorganisationen und Pädagogen.
Langsam zeichnet sich aber trotz der rasanten Entwicklung im Bereich der elektronischen Medien ab, daß es vorerst nicht um das eigentliche Kabelfernsehen geht, sondern um die Verkabelung von Gemeinden, damit mehrere Programme empfangen werden können.
„Noch mehr Programme, noch mehr Fernsehen? Es ist ja schon erschreckend, wenn man die derzeitigen Fernsehgewohnheiten der Bevölkerung untersucht. Und gar der Einfluß auf die Jugend!“ Man hört warnende Stimmen, es werden^uch Statistiken oder empirische Untersuchungen herangezogen, um die Warnungen zu unterstreichen.
An dieser Stelle ist es angebracht, einen Blick in die Zeitungen der fünfziger Jahre zu werfen. Was haben da doch Kulturpessimisten alles geschrieben, was durch Fernsehen im menschlichen, mitmenschlich-gesellschaftlichen Bereich an negativen Entwicklungen auf uns zukomme. Einige sahen schon den Hörfunk sterben, Verleger sprachen vom drohenden Bankrott; niemand würde mehr ein Buch zur Hand nehmen. Und wie sieht es tatsächlich aus? Die Buchverlage stehen besser denn je da, das Platten- und Kassettengeschäft blüht wie nie zuvor und der Hörfunk hat seinen Platz behauptet.
Sicher, die Lebensgewohnheiten ändern sich durch technische Entwicklungen. Das gilt auch für das Fernsehen. Nicht nur, daß das Fernsehgerät bei den Anschaffungen im Haushalt zur Zeit eindeutig dominiert, auch das Fernsehprogramm spielt in der Freizeitgestaltung der Bevölkerung eine bedeutende Rolle. Insofern ist die Frage berechtigt, was denn bei einem größeren Programmangebot, das durch die Verkabelung ermöglicht wird, geschieht.
Seit 18 Jahren gibt es in Feldkirch „Kabel-TV“
Die östlichen Bundesländer stehen hier tatsächlich vor Neuland, in den westlichen Bundesländern und vor allem in Vorarlberg gehört die Vielfalt der Programme allerdings schon zum Fernsehalltag. Die Stadt Feldkirch etwa ist seit 1960 „verkabelt“. Seit 18 Jahren hat die Bevölkerung dieser Stadt die Möglichkeit, aus 6 Programmen zu wählen (zwei österreichische Programme, aus Deutschland ARD, ZDF und SWF III sowie das schweizerische Programm).
Aus langjährigen Beobachtungen und zahlreichen Gesprächen mit Schülern und Eltern ergaben sich folgende Erkenntnisse: Der Fernsehkonsum bei Kindern zwischen. vier und acht Jahren beträgt täglich durchschnittlich eine Stunde, bei den Acht- und Dreizehnjährigen sind es im Durchschnitt zwei Stunden. Diese Zahl entspricht in etwa auch dem Verhalten der Erwachsenen.
Die Hauptsehzeit liegt bei den Kindern zwischen 17.30 Uhr und 20 Uhr. Bevorzugt werden vor allem unterhaltende Programme wie Krimiserien, Tierfilme, Stummfilme, Musiksendungen sowie Abenteuer- und Zeichentrickfilme, die vor allem von den deutschen Sendeanstalten angeboten werden. Sendungen mit einer erzieherischen Funktion werden von den Vier- bis Achtjährigen akzeptiert, von den älteren Kindern eher abgelehnt. Sie reagieren eben wie Erwachsene.
Auffällig ist, daß die Kinder über das Programmangebot ziemlich genau informiert sind. Durch die Vielfalt der Angebote sind sie auch ge-
zwungen, eine Entscheidung zu treffen und mit Geschwistern Programmkompromisse zu schließen. Dies führt in vielen Fällen dazu, daß die Kinder nicht wahllos konsumieren, sondern nach einer gewissen Gewöhnungszeit bewußt auswählen und sich nach dem Anschauen ihres Programms anderen Interessen zuwenden.
Die Vergleichsmöglichkeiten führen auch zu einem besseren Qualitätsbewußtsein. Allerdings bezieht sich dieses Bewußtsein weniger auf den Inhalt oder die Aussage einer Sendung, als vielmehr auf die technische Qualität. Da die Vorabendsendungen auch von Erwachsenen gern gesehen werden, sind die Kinder selten allein vor dem Bildschirm und haben dadurch Gelegenheit, Fragen zu stellen. Eine Forderung, die von den Medienpädagogen seit jeher gestellt wird.
Eine interessante Feststellung konnte bei älteren Jugendlichen und auch bei Erwachsenen hinsichtlich der Nachrichtensendungen getroffen werden. Durch die zeitliche Verschiebung der Nachrichten in den einzelnen Sendeanstalten (ZDF 19 Uhr, ARD 20 Uhr, ORF 19.30 Uhr) wird die Möglichkeit geboten und auch genutzt, die Berichterstattung über das aktuelle Zeitgeschehen zu vergleichen.
Unbewußt gewinnt dadurch der Zuseher Einbück in die unterschiedliche Berichterstattung der einzelnen Sendeanstalten, erkennt die Schwerpunkte und erhält oft über ein und dasselbe Thema verschiedene Interpretationen. Dies führt dann im Laufe der Zeit doch dazu, Nachrichten etwas zu relativieren und vor allem in der eigenen Meinungsbildung unabhängiger zu sein.
Ein weiterer Vorteil des größeren Programmangebotes ist zweifellos auch die Einsicht in die Probleme anderer Länder und Landschaften und deren Menschen. Wenn, um nur ein Beispiel zu nennen, bei der Frage des Atomkraftwerkes Zwentendorf die Vorarlberger mit großer Mehrheit dagegen waren, so ist dies nicht nur auf eine Tageszeitung zurückzuführen, sondern vor allem auf die deutschen Sendeanstalten, die schon seit längerer Zeit sehr ausführlich diese Frage behandelten und eine Vielzahl von Informationen boten. Natürlich besteht dabei die Gefahr, die Probleme des eigenen Landes zu übersehen, doch zeigte sich in den 18 Jahren, daß die Fernseher sehr wohl zu unterscheiden wissen, was im eigenen Land zu lösen ist und welche Fragen über die Grenzen hinaus-oder hereinwirken.
Programmvielfalt zwingt zur gezielten Auswahl
Die Vielfalt des Programmangebotes durch das Kabelsystem ist sicher ein erster Weg, das Fernsehen zu einer Selbstverständlichkeit werden zu lassen. Die Programmvielfalt zwingt den Seher aber auch zur gezielten Programmauswahl. Für die Sendeanstalten bedeutet dies Konkurrenz, und zwar in erster Linie Qualitätskonkurrenz. Wie sich in der verkabelten Kleinstadt Feldkirch bisher gezeigt hat, kann der ORF mit seinen Sendungen durchaus bestehen. Oder rührt das überwiegend positive Urteil der ORF-Sendungen daher, daß man bei Nichtgefallen umschalten kann?
(Der Autor ist Vorsitzender der Katholischen Fernsehkommission Österreichs)
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