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Verkehr(t) konzipiert

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2.659 Tage und drei Minister hat's gebraucht — von der ersten Arbeitskonferenz für ein österreichisches Gesamtverkehrskonzept bis zur Präsentation eines ministeriellen Erstentwurfes. Eine Langfassung mit einem umfangreichen Analyseteil und ein verkehrspolitischer Ergebnisband ziehen vorerst den Schlußstrich unter ein wenig ruhmreiches Kapitel ministerieller Planungsarbeit.

Denn das neue österreichische Gesamtverkehrskonzept ist nicht ein Konzept der gesamten Bundesregierung, wie es das Gesamtverkehrskonzept von 1969 war, sondern lediglich ein Konzept des Verkehrsministers. Ob dadurch den immer deutlicher sichtbar werdenden Abstimmungserfordernissen, die von der Umweltproblematik über die knapp gewordenen finanziellen Spielräume bis hin zu den Integrationsbestrebungen in die EG Rechnung getragen wird, bleibt offen.

Wenig durchdachte, aber Milliarden einzementierende Verkehrsbauten, ungelöste Verkehrsprobleme in Ballungsräumen oder der Österreich überrollende Transitverkehr rufen geradezu nach einem sektorübergreifenden Gesamtplan. Die mit der hektischen Mobilitätsentwicklung verbundene Beeinträchtigung der Lebensqualität erfordert nicht nur eine nüchterne Büanzle-gung über die Verkehrsentwicklung, eine schonungslose Schwachstellenanalyse und die Auflistung von Handlungsalternativen, sondern auch die Verabschiedung eines in sich schlüssigen Maßnahmenka-taloges mit abgesicherten Zeit- und Finanzplänen.

Mit 111 Milliarden Schilling entfällt immerhin ein Fünftel der gesamten Bundesausgaben auf den Verkehrsbereich. In den letz-, ten 20 Jahren ist das Gewicht der Verkehrsausgaben am Verbraucherpreisindex um nahezu die Hälfte auf 15,8 Prozent gestiegen; jeder sechste Konsumschilling fließt in den Verkehr.

Um den Anliegen des Gesamtverkehrskonzeptes, „die harmonische Einbindung des Verkehrs mit allen seinen Auswirkungen in die Gesamtheit humaner Lebensansprüche“ (Zitat des Konzeptvaters Karl Lausecker), gerecht zu werden, wurde ein verkehrsträgerübergreifender, systemanalytischer Ansatz gewählt. Zur Verkürzung des mühsamen Abstimmungsprozesses verschrieb man sich dem Grundsatz partizipativer Planung. Aber weder der Grundsatz einer breitestmöglichen Einbeziehung konnte aufrecht erhalten, noch konnte die Struktur selbst mit Leben erfüllt werden.

Uberlagert wurden die gravierenden Schwächen der Arbeitsanlage, also des Konzeptes für das Gesamtverkehrskonzept, von personellen Fluktuationen an der Spitze des Verkehrsressorts: Dem sich hinter das Partizipationsmodell verschanzenden Lausecker folgte der eher makroökonomisch orientierte Ferdinand Lacina. Tausende Seiten mitunter disperser Vorarbeiten fand letztlich Bundesminister Rudolf Streicher vor, der seinerseits wieder die Hauptzielrichtung auf Vorgaben für die einzelnen Leistungsbereiche und auf betriebswirtschaftliche Effizienz korrigierte.

„Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“ dürfte auch Bundesminister Streicher inspiriert haben: In 25 Abschnitten gegliedert sind jeweils bis zu 15 und mehr Maßnahmenvorschläge aufgezählt. Den mitunter kaum auffindbaren roten Faden bildet dabei das Bestreben nach verkehrsträgerübergreifenden Vorschlägen - eine Gesamtoptimierung des Verkehrssystems. Mehr noch, die Indienststellung des Verkehrssystems zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung.

Daß eine Reihe von Maßnahmen bereits realisiert ist, wie etwa die Aufhebung der Mineralölsteuer-Zweckbindung für den Straßenbau oder die Einführung bleifreien Benzins, dürfte in der Dauer der Planungsarbeiten begründet hegen. Auch die Abkehr vom bevorzugten Ausbau des hochrangigen Straßennetzes läßt eher auf Budgetnöte als auf neue verkehrspolitische Weichenstellungen schließen.

In der Speisekarte verkehrspolitischer Vorschläge fehlen natürlich weder die Nebenbahnenfrage noch das Projekt „Neue Bahn“. Auch die Transitverkehrsproblematik wird mit einer Reihe von Maßnahmenvorschlägen angesprochen. Tunlichst vermieden wurde dabei eine Bezugnahme auf die schon 1984 festgelegten Verlagerungsziele: Bis 1989 sollten 9,7 Millionen Tonnen Straßen-transitvolumen auf die Schiene verlagert werden. Wenn nun von einem mittelfristigen Konzept bis 1992 die Rede ist, kann die Bildassoziation von den Karawanen, die weiterziehen, während die Hunde bellen, nicht unterdrückt werden.

Als Evergreen findet sich die Förderung des öffentlichen Verkehrs — allerdings ergänzt um die Auflage nach Effizienz — im verkehrspolitischen Ergebnisband; dabei ist es noch keine Woche her, daß österreichische Städte in einer Resolution an Bundeskanzler Franz Vranitzky und Verkehrsminister Streicher Befürchtungen eines völligen Zusammenbruches der Nahverkehrskonzepte äußerten.

Verkehrspolitischer Handlungsbedarf ist zweifelsfrei gegeben. Ob das vorliegende Konzept zum Credo wird, bleibt offen. Gilt nicht in Anlehnung an den Faust'schen Theaterdirektor: Der Konzepte sind genug gewälzt, laßt mich auch endlich Taten sehen?

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