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Verklärung -Verdrängung

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In den letzten beiden Jahren ist wohl nicht mehr zu übersehen gewesen, daß dieses Österreich eine Vergangenheit hat, die trotz aller Verdrängungsversuche noch nach 50 Jahren überaus lebendig ist. Die Schatten der Vergangenheit enthüllen immer deutlicher ein „häßliches Österreich“, das bis vor kurzem durchaus mit Erfolg einer Diskussion um Schuld und Verantwortung am Nationalsozialismus ausgewichen ist.

Allerdings gibt es immer noch ein Refugium der historischen Erinnerung, das unbeschädigt die Zeiten überdauert zu haben scheint: die k. u. k. Monarchie. Mit der „seligen“ Kaiserzeit, in der die Welt vermeintlich noch in Ordnung war, schuf sich das öffentliche Geschichtsbewußtsein ein Surrogat für die belastende und belastete NS-Vergangenheit, die nur unangenehme Erinnerungen zu bieten hatte.

Der „Österreich-Mythos“, den Claudio Magris in seinem bereits 1970 erschienenen Buch beschrieben hat, hat nichts an Attraktion verloren und vermag noch immer die Phantasie des allgemeinen Geschichtsbewußtseins zu beschäftigen. Österreich-Ungarn hat (ebenso wie der Nationalsozialismus) immer noch eine „gute Nachrede“, und dies trotz der „Niederlage“ des Ersten Weltkrieges.

Die schreckliche Wirklichkeit dieses Krieges, der — um in der Sprache der Zeit zu bleiben - einen hohen „Blutzoll“ gefordert hat, ist drei Generationen später nahezu vollkommen aus dem Gedächtnis verdrängt.

Ausgehend von dem mehr oder minder akzeptierten Konsens, daß Kriege (immer) schrecklich, aber auch (immer) unvermeidlich seien, beschränkt sich die Erinnerung in der Regel auf ein ereignisgeschichtliches Schulwissen, wobei dieses Osterreich (was immer nun im Detail darunter verstanden werden mag) als „Opfer“ der Umstände beschrieben wird.

Die Geschichte Österreichs im Ersten Weltkrieg ist im allgemeinen Bewußtsein im wesentlichen die Geschichte der kaiserlichen Familie und des unglückseligen Kaisers, der den Krieg vergeblich zu beenden und „alles“ für „Seine“ Völker zu tun versuchte, aber schließlich vor den gegebenen Umständen kapitulieren mußte.

Ausgespart blieb die Frage nach der Schuld und der Verantwortung der alten Eliten der Donaumonarchie; ausgespart blieb die Erörterung der politischen Parteien ebenso wie die der Kirche (siehe Kasten), die jede auf ihre Weise sich zunächst mit dem Kriege zu arrangieren versuchten und ihn als gegebene Tatsache hinnahmen; ausgespart bleiben vor allem aber auch die vielen Opfer, die dieser Krieg gefordert hat.

Wer den Kriegs-„Ausbruch“ 1914 lediglich auf das Attentat von Sarajevo zurückführt und die diplomatisch-militärischen Reaktionen Österreich-Ungarns als „Vergeltungsmaßnahme“ versteht und damit auch rechtfertigt, dem bleibt letzten Endes auch das Unrecht verschlossen, das dieses

Österreich in Ost- und Südosteuropa angerichtet hat.

Dort, wo im Zweiten Weltkrieg „ostmärkische“ Einheiten mit erbarmungsloser Härte gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen sind, haben schon einmal Österreicher ihre schrecklichen Spuren hinterlassen.

Reihenweise Gehängte

In den Erinnerungen des ehemaligen Chefs des k. u. k. Nachrichtendienstes, Generalmajor Maximilian Ronge, ist nachzulesen, mit welcher selbstverständlichen Brutalität österreichische Truppen in den von ihnen besetzten Gebieten, aber auch in der „Heimat“ gegen „Spione“, Verräter und Unbotmäßige vorgegangen sind.

Fotos, auf denen reihenweise Gehängte zu sehen sind, sind ein Zeugnis für die Untaten einer Armee, die immer noch mit den Fe-schaks der k. u. k. Feldherrnhü-gelromantik assoziiert wird (siehe Kasten). Allein auf dem Gebiet der späteren Republik Österreich wurden 1914 bis 1918 162.000 Personen vor Militärgerichten zur Verantwortung gezogen.

österreichische Militärärzte haben ähnlich ihren deutschen Kollegen mit erschreckender Un-barmherzigkeit und medizinischen Strafmitteln jene Soldaten wieder „normalisiert“, die den Belastungen des mörderischen Krieges an der Front nicht standhalten konnten.

Jede Auseinandersetzung mit der k. u. k. Vergangenheit steht immer noch vor der Aufgabe, Klischees, Wunsch- und Traumbilder aufzudecken und damit auch bearbeitbar zu machen. Es gilt, diese Geschichtsbilder als Ausdruck eines Geschichtsbewußtseins ernstzunehmen, das in lebenslangem Lernen und im Zuge der Sozialisation, sicherlich auch als Ergebnis von Schulunterricht und öffentlicher Information in den Medien, geprägt worden ist.

Dies gilt auch für die Geschichtswissenschaft. Auch sie geschieht im Rahmen konkreter gesellschaftlicher Zusammenhänge und auf dem Hintergrund allgemeiner Geschichtserfahrungen.

Typisch dafür mag es sein, daß es Historikern in der Regel schwer fällt, den „Zusammenbruch“ der Donaumonarchie zu akzeptieren: Bedrohungsängste, eine irrationale Furcht vor der nun aufziehenden „Anarchie“ und dem drohenden Chaos prägen auch die Sprache historischer Arbeiten.

Konzentriert auf diplomatiegeschichtliche und verwaltungstechnische Fragestellungen, sind der Geschichtswissenschaft bislang immer noch die „Innenansicht“ dieses Krieges, die konkreten Verhältnisse der Kriegsgesellschaft und die Auswirkungen des Krieges auf die Lebensverhältnisse und Lebensgeschichten aus dem Blickfeld geraten. Weltgeschichtliche Zusammenhänge blieben ebenso unbeachtet wie die lebensgeschichtlichen Erfahrungen vor Ort.

Die Konstruktion eines Osterreich, das unbelastet und daher auch unschuldig die Zeiten überdauert hat, macht es möglich, die österreichische Vergangenheit nahtlos von der k. u. k. Monarchie über die Erste Republik, den „Ständestaat“ und auch die NS-

Herrschaft in das Geschichtsverständnis der Zweiten Republik zu integrieren.

Entstanden ist auf diese Weise eine überaus wehleidige Geschichtsdarstellung, die wesentliche Fragen mit Geschick beiseite läßt oder anderen zuschiebt und immer noch einer vergangenen „Größe“ nachtrauert. Margarete Mitscherlich hat in ihren Reflexionen über „Erinnerungsarbeit“ darauf hingewiesen, daß dieses melancholische Nach-Trauern nicht mit „Trauerarbeit“ gleichzusetzen ist.

Gewiß ist der Erste Weltkrieg für die heute Lebenden Vergangenheit. Als Teil unseres Geschichtsbewußtseins „lebt“ er jedoch weiter — in seinen Ausblendungen und Verharmlosungen, seinen Verzerrungen und Glorifizierungen.

Der Jahrestag des „Untergangs“ und des Zusammenbruchs der Monarchie nach einem mörderischen Krieg, den Österreich entscheidend mit zu verantworten hat, sollte Anlaß sein, diesen Verdrängungsmechanismen nachzugehen und sie bewußt zu machen.

Der Autor ist Bibliothekar am Institut für Zeitgeschichte.

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