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Verkrüppelte Seelen und Medien-Verstärkereffekt

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Da gab es in der letzten Zeit drei Attentate, die zwar Personen unterschiedlicher Bedeutung betrafen, die jedoch eines gemeinsam haben, nämlich krause Motivationen, die sie so schwer verständlich machen. Man gewinnt den Eindruck, demnächst könnten ein paar Ainus nach Österreich kommen, um den Bezirksvorsteher von Döbling oder Margarethen zu erschießen - mit einer italienischen Pistole, die in der CSSR gekauft wurde, während die Patronen aus Bolivien stammen.

Hinter solchen makabren Skurrilitäten fehlt offenkundig jedes differenzierte politische Denken, da es zum eisernen Bestand solchen Denkens gehört, für den Gegner keine Märtyrer zu schaffen. Nicht nur die Kirche weiß, daß „das Blut der Märtyrer Same des Glaubens“ ist.

Tote sind eine arge Waffe. Da sie nicht mehr reden können, ihr Werk abgeschlossen ist, kann man sie stilisieren, modifizieren, interpretieren, glorifizieren etc.

Die Nationalsozialisten, die sicherlich nicht zu den Gehemmten gehörten, was die Anwendung von Gewalt gegenüber ihren Gegnern betrifft, versuchten etwa, Märtyrertum auf eine gewiß niederträchtige Art zu verhindern, der man jedoch politische Rationalität, ja Raffinesse nicht absprechen kann.

So hängte man bei den Prozessen gegen „Hochverräter“, also politische Gegner, immer auch ein zusätzliches kriminelles Delikt an, das sie in den Augen der Öffentlichkeit herabsetzeri sollte. So wurden katholische Priester mit Vorliebe als homosexuell, Nonnen als Devisenschmugglerinnen, Arbeiter als Gewohnheitstrinker etc. hingestellt.

Wer jedoch eine Person öffentlich erschießt, macht sie zum Märtyrer und nützt vor allem jener Gruppe, der sich der Ermordete zugehörig fühlt.

So hat denn auch Herbert Marcuse wiederholt gegen den Terrorismus Stellung genommen, nachdem man ihm nicht ganz ohne Grund vorgeworfen hatte, er hätte mit seiner Theorie der „Gegengewalt“ den Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland geistig mitbegründet.

Marcuse meinte, die Terroristen würden „objektiv“ das Geschäft ihrer Gegner betreiben, obwohl sie „subjektiv“ das Gegenteil wollten. Eine solche dialektische Denkweise setzt nun einiges an Denkniveau voraus, zu dem sich jedoch politische Fanatiker kaum durchzuringen vermögen.

Hiezu kommt, daß die Medien heute eine ungleich größere Wirkung haben als in der Vergangenheit. In der Zeit, als es nur Zeitungen gab - wenig bebildert -, mußte man des Lesens kundig sein, um sie gewinnbringend verwerten zu können. Nunmehr haben die Tuaregs Transistorradios und alsbald - wenn nicht schon - Transistorfernsehgeräte.

Hier muß man nur sehen und hören können. Man kann ein Attentat auf einen amerikanischen Präsidenten kurz danach im Fernsehen bewundern und erfährt, wie sich buddhistische Mönche mit Benzin selbst verbrennen.

Das hat einen unerhörten Verstärkereffekt. Aus der inneren Gesetzlichkeit der Medien entspringt die natürliche Tendenz der Journalisten, gerade das Extreme zu zeigen, das Ausgefallene etc., da es einen expressionistischen Effekt hat - so aber erhält dies einen sehr großen Wirkungsgrad. Es wird im Rahmen der Medien überrepräsentiert.

Da es immer einen gewissen Raum oder eine gewisse Zeit für Schlagzeilen (was für einen Blödsinn gibt es dabei gelegentlich!), für Nachrichten, die Frauenseite etc. gibt, entsteht auch dort, wo gutwilligster Journalismus am Werke ist, die Notwendigkeit, Raum zu füllen.

Dabei erhält heute etwas völlig Belangloses einen so großen Raum wie am Tag zuvor ein Ereignis von epochaler Bedeutung. So entsteht ein Wertegemisch, dem die innere Bedeutungsabstufung weitestgehend abgeht, was nicht gerade zu einem geordneten und klaren Weltbild erzieht.

Was für ein Glück für die Medien, wenn endlich ein Attentat passiert mit geheimnisvollen Hintergründen etc. So gewinnt man Leser, Zuhörer, Zuschauer ...

Nun gab es irre Morde schon früher. Denn wem sollte etwa der Mord an der Kaiserin Elisabeth nützen? Aber solche Morde kamen vielleicht weniger in

Mode. Mit dem Verstärkereffekt der Medien werden jedoch wahrscheinlich viel mehr Phantasien erweckt, daß Täter eine welthistorische Rolle spielen können. Dabei läßt sich Größenwahn befriedigen, gleichzeitig ist es jedoch politisch zu rechtfertigen.

Dies trifft wahrscheinlich auf das Attentat auf den Papst zu, denn es ist schwer zu erkennen, inwiefern der Papst den „Grauen Wölfen“ bei der Eroberung Eurasiens im Wege stehen könnte.

Die durch das Papstattentat in den Schatten geratenen Attentate auf zweit- bzw. drittrangige Politiker haben eine noch dunklere Motivation. Aber man kann auch einen Genuß aus der Geheimniskrämerei ziehen; etwa im Märchenstil: „Ach, wiegut.daßnie- mand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß!“

Man mag es als nicht angemessen ansehen, solche Infantilismen im Rahmen der Motive von Mördern zu sehen. Aber ein reifer Mensch ist kein Killer. Der bei Mozartmusik weinende Himmler, der „gewissenhaft“ glaubhaft zwei schlaflose Nächte verbrachte, als er damit rang, ob ein paar SS-Führer ihren Rang behalten könnten, obwohl sie zu Beginn des 18. Jahrhunderts einen Juden im Stammbaum hatten, war kein seelisch gerade gewachsener Mann, sondern ein seelisches Wrack.

Wir täten den Mördern nur einen Gefallen, wenn wir ihnen menschliche Größe zubilligten. Da berührt sich - leider - Tragik und Komik.

Der Verfasser ist Psychologe.

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