6986224-1986_27_03.jpg
Digital In Arbeit

Verletzte Gefühle

19451960198020002020

Dürfen wir mit unserem Verständnis für die Ängste der Opfer des Holokaust warten, bis sie für so manche Reaktionen in den letzten Wochen Verständnis haben?

19451960198020002020

Dürfen wir mit unserem Verständnis für die Ängste der Opfer des Holokaust warten, bis sie für so manche Reaktionen in den letzten Wochen Verständnis haben?

Werbung
Werbung
Werbung

Im österreichischen Fernsehen hatte ich noch gesehen, wie in der Knesseth eine rotweißrote Fahne zerrissen worden war, harte Wor-,te nicht nur gegen den neugewählten Bundespräsidenten, sondern gegen Österreich insgesamt waren im israelischen Parlament gefallen.

Wenige Tage später saß ich im Restaurant ebendieser Knesseth und sprach mit Abgeordneten, die in der erwähnten Debatte das Wort ergriffen hatten, war ich (gemeinsam mit meinem Klubkollegen Fritz König) bei Außenminister Yitzhak Shamir, der auch nicht gerade sanfte Worte gegen uns gewählt hatte, aber

auch beim Jerusalemer Bürgermeister Teddy Kollek, der spontan die von einer anderen israelischen Stadt abgesagte Ausstellung meines Freundes Ernst De-gasperi übernommen hatte, und wurde von Staatspräsident Chaim Herzog empfangen.

Ich war dieses Mal mit sehr gemischten Gefühlen in das von mir geliebte Land gekommen. Ich war schließlich nicht nur der Präsident der Freundschaftsgesellschaft, sondern auch ein österreichischer Politiker, der sich für die Wahl Kurt Waldheims eingesetzt und gegen bestimmte Aussagen, auch aus Israel, zum Teil von meinen Gesprächspartnern, zur Wehr gesetzt hatte.

Dieser Israelbesuch konnte keiner wie jeder andere werden.

Natürlich hatte auch ich mich geärgert, so wie viele meiner Freunde in Österreich. Natürlich wollte ich einigen, über die ich mich geärgert hatte, meine Meinung sagen, vor allem unsere Sicht der Dinge darstellen, mich über die Stimmung im Lande informieren, mich aber auch bei jenen, die schon zuvor für uns mehr Verständnis gezeigt hatten, bedanken.

Bei jenen, die für uns mehr Verständnis gezeigt hatten — und wie stand es und steht es mit uns? Haben wir uns, habe ich mich bemüht, Verständnis für die israelischen, für die jüdischen Stimmen zu haben, die ich nicht hören wollte?

Nicht für Israel Singer oder gar den extremistischen, rassistischen Knesseth-Abgeordneten Meir Kahane, der für das Zerreißen eines selbstangefertigten rot-weißroten Blattes Papier vom Parlamentspräsidenten gerügt und von den Kollegen ebenso wie von den israelischen Medien mit

Nichtbeachtung „gestraft“ worden war, aber für alle anderen.

Nein — es wurde mir immer stärker bewußt, daß wir uns bemühen müssen, die israelisch/jüdische Betroffenheit zu verstehen, auch wenn wir sie nicht als a priori berechtigt ansehen, daß es notwendig ist, sich in den anderen hineinzudenken.

Es fängt dies zweifellos mit einer besseren gegenseitigen Information an.

Für mich war es genauso überraschend, in Israel über die Reaktionen auf den Außenseiter Kahane und über die Tatsache, daß die Knesseth keinen Beschluß über eine Verurteilung der Wahl Waldheims gefaßt hatte, zu erfahren, wie etlichen meiner Gesprächspartner die besonders starke Unterstützung Waldheims durch die jungen Wähler völlig neu war.

Einige hatten sogar wirklich geglaubt, die „Jetzt-erst-recht“-Pa-role hätte sich darauf bezogen, daß der Präsidentschaftskandidat als Nazi überführt worden sei, und daraufhin wollte man ihn „erst recht“ wählen.

Zuerst war ich bestürzt, dann betroffen, aber schließlich verstand ich mehr von den Reaktionen.

Zuvor hatte ich zeitweise geglaubt, wir lebten auf verschiedenen Planeten, deren Globusoberfläche wohl die gleichen Länder zeigen müsse, die aber vom jeweils änderen Land auf dem anderen Globus nichts wissen können.

Vielleicht waren es wir, die auf dem ganz eigenen Planeten saßen, beschäftigt mit den eigenen Angelegenheiten, die uns keine Zeit für den Blick, geschweige denn das Gefühl für die anderen ließen.

Schließlich betrifft es nicht nur Israel, nein, auch von unseren jüdischen Mitbürgern haben wir uns zeitweise auf einen anderen Planeten abgesetzt.

Die Anschuldigungen gegen den Präsidentschaftskandidaten und jetzt gewählten Bundespräsidenten Kurt Waldheim sind für

uns unbegründet, das ist die eine Seite.

Die Betroffenheit der Angehörigen des von den Nazis grausamst verfolgten jüdischen Volkes allein von Anschuldigungen in Zusammenhang mit diesen Verbrechen, ihre Ängste vor jeder Form des Antisemitismus, ihre Vorsicht gegenüber jeder, vielleicht auch nur vermeintlichen Gefahr des Wiedererstehens jener abscheulichen Ideologie sind die andere Seite.

Sicher, auch „wir“ fordern Verständnis, für unsere Haltung, für eine Wahlentscheidung, die nichts mit Neonazismüs und Antisemitismus zu tun hat, für die Ablehnung ausländischer Einmischung, für die Zurückweisung ungerechter Anschuldigungen.

Aber dürfen wir mit unserem Verständnis für die Opfer der Vernichtung (und der vorangegangenen zweitausend Jahre langen Verfolgung) warten, bis sie für uns Verständnis haben?

Auch und weil ich die Anschuldigungen gegen unseren neugewählten Bundespräsidenten für unbegründet halte, muß zuerst ich Verständnis dafür aufbringen, daß Uberlebende von Auschwitz (wie zwei Abgeordnete, die in der Knesseth-Debatte sprachen) nicht mit der gleichen historischen Unbefangenheit und Objektivität an die Beurteilung von Ereignissen aus der Kriegszeit herangehen wie ein christlicher Österreicher des Jahrgangs 1942 ...

Selbst die Solidarität mit Angegriffenen, die zuerst selbst die Angreifer waren, gewinnt einen anderen Stellenwert bei einem Volk, das stets gemeinsam verfolgt wurde.

Und schließlich mag uns manches weit entfernt von Antisemitismus erscheinen, das den zu oft einfach als Juden Verfolgten wegen der Verbindung des Adjektivs .jüdisch“ mit einem Angriff auch auf einen einzelnen schon bedrohlich erscheint.

Ich bin nachdenklich nach Israel gefahren und bin nachdenklicher zurückgekehrt. Ich habe nachdenklich Gespräche mit jüdischen Mitbürgern begonnen und noch nachdenklicher beendet. Nur dann, wenn wir Verständnis aufbringen, werden wir selbst mit mehr Verständnis rechnen können.

Der Autor ist Präsident der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft und Abgeordneter zum Nationalrat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung