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Verlierer sind die Palästinenser

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Der Beobachter des vierten arabisch-israelischen Krieges stieß, wenn er in den verflossenen beiden Wochen den Blick einmal von dem pulverdampf- und blutgeschwängerten Schlachtfeld abwandte, immer wieder auf einen merkwürdigen Umstand: diejenigen, für die dieser Krieg geführt wurde und die ihn in den letzten sechseinhalb Jahren am lautesten gefordert hatten, glänzten durch fast totale Abwesenheit. Die Palästina-„Fedaijjin“, die seit 1967 durch Kommandoaktionen über die Jordangrenze, auf die Golanhöhen und nach Nordgaliläa die israelische Bevölkerung, und durch Flugzeugentführungen, Bombenanschläge und Terrorüberfall die Weltöffentlichkeit in Atem gehalten hatten, beteiligen sich jetzt kaum am Kampf. Bei Ausbruch der Kampfhandlungen versetzte man die Flüchtlingslager im Libanon zwar in „Verteidigungszustand“, doch bislang kämpft kein einziger palästinensischer Soldat an der Seite seiner arabischen Brüder.

Einzige „Kampfhandlungen“ der Palästinenser, die bis jetzt bekannt wurden, waren Schießereien unter miteinander verfeindeten Guerillagruppen und, am letzten Donnerstag, ein Drei-Mann-Überfall auf die Beiruter Filiale der „Bank of America“ in der Scharia Riad es-Solh der libanesischen Hauptstadt. Obwohl die Terroristen zunächst siebenundvierzig Geiseln in ihre Gewalt bringen konnten, von denen siebzehn jedoch flüchteten, scheiterte der Überfall. Die Guerilleros der linksradikalen „revolutionären sozialistischen Organisation“ erhielten weder die geforderten zehn Millionen Dollar noch die Zusage der Freilassung politischer Gefangener, noch das verlangte Flugzeug zur Reise nach Algier oder Aden. Vierundzwanzig Stunden nach dem Überfall stürmten Einheiten der Sechzehnten (Anti-Terror-)Brigade das Bankgebäude und befreiten die Geiseln. Die Rotbarette der libanesischen Sicherheitskräfte lieferten dadurch auch gleich ein Musterbeispiel für den Umgang mit Terroristen. In Beirut, und nicht nur dort, stellt man seither die interessante Frage: „Sind die Guerilleros nur noch Hijacker und Bankräuber?“

Im Sechstagekrieg verfügte die „Palästinensische Befreiungs-Organisation“ (PLO) über eine gut ausgerüstete eigene Streitmacht von rund zehntausend Mann. Der Blitzangriff des Feindes ließ ihr zwar keine Chance, aber immerhin spielte sie eine militärische Rolle bei den Vorkriegsplanungen der arabischen Generalstäbe. Nach dem Sechstagekrieg schwollen die bewaffneten Einheiten der verschiedenen Guerrilla-gruppen zeitweilig auf zwanzig- bis dreißigtausend Mann an. Bis zum „Schwarzen September“, bei dem in Jordanien mindestens fünftausend Palästinenser aufgerieben wurden, machten sie den Israelis nicht wenig zu schaffen. Auch heute noch können die einzelnen Organisationen ein nahezu unerschöpfliches Rekrutenheer aus dem untätig herumsitzenden Zwei-Millionen-Reservoir der Lagerinsassen rekrutieren. Die Lager selbst starren zudem noch immer von Waffen aller Art. Was den „Fe-daijjin“ jedoch vor allem fehlt, ist eine Ausgangsbasis. Jordanien verweigert ihnen beharrlich die Rückkehr. Hier wurden die Guerilleros bis Herbst 1970 zum existenzbedrohenden „Staat im Staat“ und verursachten immer heftigere feindliche Vergeltungsschläge. Im Libanon läßt man sie aus dem gleichen

Grund nicht aus den Lagern. In Syrien legte man die einst in die Damaszener Armee integrierte Guerillagruppe „Essaika“ sozusagen „auf Eis“. Auf dem Golan kämpfen die syrischen Verbände ohne „es-Saika“.

Seit Ausbruch der Kämpfe veröffentlicht das PLO-Hauptquartier zwar tägliche „Kriegsbulletins“. Doch den Meldungen über angebliche Angriffe vom Südlibanon aus auf Nordisrael muß man mißtrauen. Sie waren offenkundig nicht stark genug, um Israel zur Gegenwehr zu veranlassen.

Das Verschwinden der Guerilleros von der militärischen und auch politischen Bühne des arabisch-israelischen Konfliktes hat zwei Ursachen: wichtigste ist die Einsicht der Lagerinsassen in die Ausweglosigkeit ihres Schicksales. Selbst auf dem Höhepunkt des Guerillakrieges in der Wende von den sechziger zu den siebziger Jahren solidarisierte sich immer nur eine Minderheit der Flüchtlinge mit den „Fedaijjin“. Die Mehrheit sehnt sich nach Ruhe, die Bequemen weiterhin in den Lagern, die Begabteren in ihrer Heimat oder in einem anderen arabischen Land. Dazu mag die israelische Besatzungspolitik in Ostpalästina und das bis heute nicht gestörte stillschweigende Einvernehmen mit dem Nachbarn Jordanien nicht unwesentlich beigetragen haben. Hunderttausende überzeugten sich inzwischen davon, daß sich sogar unter fremder Herrschaft nicht schlecht leben läßt und daß es unwichtig ist, wer die verlorene Heimat schließlich regiert. Natürlich wünscht man sich die Rückkehr Restpalästinas unter arabische Herrschaft. Aber man würde sich mit den Haschemiten genauso arrangieren wie bis jetzt mit den Israelis.

Dieser „Resignation“ zugrunde liegt eine doppelte Erkenntnis. Gerade diejenigen, die sich dank Moshe Dayans Politik der offenen Türen seit 1967 über den einstigen Todfeind Israel und die Entwicklung in den besetzten Gebieten persönlich informieren konnten, haben den Glauben daran verloren, daß man die Juden noch ins Meer treiben könne. Viele Palästinenser hegen auch Zweifel, ob ein unabhängiger Staat zwischen Tel Aviv und Amman wirklich lebensfähig wäre. Warum also nicht, so ihre unausgesprochene Hoffnung, die von König Hussein gebotene Konföderation akzeptieren und von den Vorteilen der Mittellage zwischen Jordanien und Israel profitieren?

Den „Fedaijjin“ den Boden völlig entzogen zu haben scheint der zuletzt in diesem vierten Nahostkrieg sichtbar gewordene Gesinnungswandel der arabischen Politiker. Syrien und Ägypten kämpfen in dieser vielleicht letzten bewaffneten Runde nicht mehr für die Palästinenser, sondern nur noch für das eigene besetzte Land. Am deutlichsten hat das Präsident Mohammed Anwar es-Sadat in seiner Kriegsrede in der Vorwoche ausgesprochen: Israel soll auf die Grenzen des 5. Juni 1967 zurückgehen, und wir akzeptieren seine Existenz. Friedensverhandlungen im Rahmen einer internationalen UN-Konferenz. Und ich werde mich für die Teilnahme der Palästinenser und für ihre Rechte einsetzen. Wie auch der noch immer tobende Krieg ausgeht, die „Fedaijjin“ gehören gewiß zu den Verlierern. Sie gehören, wie alle Anarchisten, um sich eines marxistischen Urteiles zu bedienen, auf den Müllhaufen der Geschichte...

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