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Verlorene Unschuld

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Am. 17. Mai hat der SPÖ- Parteitag grünes Licht für die rot-blaue Koalition gegeben. Sowohl die SPÖ wie auch die ÖVP müssen sich nun auf die neue Situation einstellen.

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Am. 17. Mai hat der SPÖ- Parteitag grünes Licht für die rot-blaue Koalition gegeben. Sowohl die SPÖ wie auch die ÖVP müssen sich nun auf die neue Situation einstellen.

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Drei Wochen nach der Wahl läßt der Trennungsschmerz langsam nach. Nach dem Verlust der Absoluten und dem Rücktritt von Bruno Kreisky als Bundeskanzler ist eine neue Beziehung — die rotblaue — bereits da.

Die SPO ist aber gut beraten, wenn sie in diese neue Beziehung nicht hineinstolpert, wenn sie sich Ruhe, und Zeit nimmt, wenn sie nachdenkt, was schiefgelaufen ist: Warum drei Prozent der österreichischen Wähler nach dreizehn Jahren nicht mehr auf dem insgesamt sehr erfolgreichen „österreichischen Weg“ mitgehen wollten.

Drei Prozent Verlust ist keine Katastrophe. 48 Prozent Zustimmung bedeuten in Europa für eine Sozialistische Partei eine Höchstmarke. Bescheidene 1,3 Prozent Zuwachs für die ÖVP nach langandauernder Talfahrt stellen kei ne Aufforderung der Wähler zum „Kurswechsel“ dar.

Trotzdem muß sich die SPÖ fragen, wo die drei Prozent geblieben sind. Dafür gibt es ein Bündel von Gründen, wobei die Ursache sicher nicht im personellen Bereich, bei Bruno Kreisky, gelegen ist. Im Gegenteil. Ohne Kreisky wären die 48 Prozent noch deutlich unterschritten worden.

Der Kern des Verlustes liegt beim Triple-A (AKH-AKW-Androsch) des Jahres 1980, Trendanalysen zeigen, daß die SPÖ an der Schwelle zu den achtziger Jahren ihre Unschuld, was moralische Integrität und Privilegien betrifft, verloren hat. Seit damals trägt die SPÖ ihr Privilegien- Binkerl mit. Zeigt moralische Sprünge. Glaubwürdigkeit ist abgebröckelt.

Dazu kommt, daß in einer Zeit der weltweiten wirtschaftlichen Krise — die in Österreich zwar nicht voll durchgeschlagen hat aber doch immer spürbarer wurde — immer Menschen nicht verstehen können, warum die große Masse der Lohnabhängigen den Gürtel enger schnallen soll, während sich privilegierte soziale Schichten mit Händen und Füßen dagegen wehren, bei zwei freien

Löchern um eines enger zu schnallen.

Die Sensibilität für die windschiefe Einkommensskala, für arbeitsloses Einkommen im Bereich der Politik, der Verstaatlichten, der E-Wirtschaft, der Sozialversicherungen usw. hat zugenom- nien. Die Witterung für die „Neue Klasse“ ist in Zeiten der wirtschaftlichen Turbulenz schärfer geworden.

Bundeskanzler und Parteivorsitzender Bruno Kreisky hat versucht, was er kann. Er hat aber die Privilegien und Isolierschicht nur ankratzen und nicht zur Wurzel Vordringen können.

Die „Neuen Klassen“, die flotten „Club 45“-iger, die Aufsteiger der siebziger Jahre haben die SPÖ teilweise verseucht. Sie sind der SPÖ wie ein Mühlstein um den Hals gehangen, Monetenjäger, Konjunkturritter und Opportunisten, denen vor dem SPÖ- Parteiprogramm in der Regel graust, haben sich zu Krankheitsherden entwickelt.

Die Wahlanalyse zeigt, daß die SPÖ in der sozialen Schicht der

Aufsteiger besonders stark verloren hat. Mit einem solidarischen Beitrag zur Arbeitsplatzsicherung war es in dieser Schicht nicht weit her. Inhaltliche Bindung hatten sie kaum zur SPÖ.

Besonders jüngere Menschen waren vom Verlust der moralischen Unschuld der SPÖ enttäuscht. Sie haben sich in einer Protestbewegung gesammelt.

Zum Kern Privilegien und „Neue Klasse“ kam die natürliche Abnützung einer Partei nach dreizehn Jahren, eine gewisse Versteinerung in bloßer Verwaltungsarbeit, die Schatten über dem Wohlfahrtsstaat und dem rein quantitativen Wirtschaftswachstum und der zunehmende Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie.

Macht in Summe drei Prozent. Nicht viel, aber es hat gereicht die Absolute und Bruno Kreisky zu verlieren.

Die Trauer über den Verlust muß jetzt vorbei sein. Die SPÖ muß sich im täglichen Geschäft auf den Fünf-Prozent-Partner einstellen. Sie muß dabei aus den ‘ Erfahrungen der SPD mit der FDP lernen, wobei die Ausgangspositionen für die SPÖ und die SPD für die rot-blaue Ehe unterschiedlich sind und waren.

Die SPÖ ist nach wie vor die weitaus stärkste Partei im österreichischen Parlament, während die SPD immer hinter der CDU/ CSU hergehinkt ist und damit auch in der Koalition mit der FDP eine schwächere Position gehabt hat.

Die SPÖ darf ihre Kernschichten trotz FPÖ-Partner nicht vernachlässigen. Sie wird der FPÖ bei den ersten Erpressungsversuchen auf die Finger klopfen müssen, will sie ihre Glaubwürdigkeit bei den Lohnabhängigen, bei den unteren und mittleren Einkom- mensschichteh nicht verlieren. Daher muß Arbeitsplatzsicherung Ziel Nummer eins bleiben, darf es zu keinem Sozialabbau kommen, der die Menschen spürbar trifft.

Auf der anderen Seite muß die SPÖ in Zukunft noch hellhöriger werden gegenüber den neuen sozialen Strömungen, gegenüber der Frauen-, der Friedens- und der Alternativbewegung. Mehr Grün ins Rot darf kein Schlagwort bleiben, sondern muß durchgesetzt werden. Deshalb darf die

SPÖ auch mit einem Partner FPÖ nicht auf eine aktive Friedens-, Abrüstungspolitik und Umweltpolitik verzichten.

Beides, die Kernschichten und Arbeiter und Angestellten und die neuen sozialen Strömungen, muß die SPÖ im Auge behalten, will sie nicht weiter reduziert werden. Ein schwieriger Balanceakt, aber ein überlebensnotwendiger.

Für diesen Balanceakt muß sich die SPÖ in nächster Zeit topfit machen. Durch eine vorurteilslose Analyse der Wahlniederlage und durch den Mut zu radikalen Problemlösungen. Dazu wird ein großes Ausmaß an Phantasie und Kreativität Voraussetzung sein müssen und die Schärfung des Prinzips der Kritik als Waffe, um zu programmatischen und organisatorischen Änderungen zu kommen. Das Parteiprogramm 1978 ist ein guter Ausgangspunkt für diese Diskussion.

Wenn eine Beziehung aus ist, nützt Verdrängen nichts. Nur ehrliche Analyse und solidarische Kritik und der Mut zu neuen Lösungen kann die Basis für eine neue Absolute sein.

Der Autor ist Pressesekretär des Klubs der sozialistischen Abgeordneten und Bundesräte in Wien.

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