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Vermutungen über das Glück

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Die folgenden Prosatexte sind Teile einergrößeren Sammlung, die unter dem Titel „Menschen-Kompaß" erscheinen soll.

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Die folgenden Prosatexte sind Teile einergrößeren Sammlung, die unter dem Titel „Menschen-Kompaß" erscheinen soll.

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Reiche

In dieser Angelegenheit ist cs mir nicht möglich, im Ornat des Wissens aufzutreten. Ich streife das Vogelkleid der Vermutung über und fliege hinaus über die krummen Vorstädte zu den Vierteln der Reichen. Von fern mag ich etwa der Elster gleichen: diebisch, doch elegant; von schlechten Angewohnheiten, aber mit gutem Auftreten. Rauchsäulen steigen aus den Gärten der Reichen. Ihre Häuser stehen versteckt. Ich kenne das. Auch ich habe mein Nest im Verborgenen gebaut. Gemein darf ich mich mit den Besuchten aber nicht machen: Ich bin bloß ein Gauner. Sie sind reich.

Dabei beneide ich die Reichen. Ich muß das hier anmerken. Von dem, was man Gewissen nennt, bin ich nicht bedrückt. Zumindest spricht mein Gewissen nicht: Ich habe ein stummes Gewissen. Wer möchte nicht reich sein? Die Reichen haben Gewissen. Manche machen sich gar aus dem Reichtum ein solches. Das finde ich dumm. Man könnte ja den Reichtum verteilen. Aber im Reichtum sitzen und Gewissen haben, das ist verlogen. Was sage ich? Dumm? Sollte das gar nicht so dumm sein? Gemein wäre das. Gemein bin ich selber, reich nicht.

Dumme, dumme Elster! Du mußt lernen! Deine Augen schauen nicht ungescheit. Schön schwarz ist dein Rock, dein Schuh. Weiß die Hemdbrust. Dein Schnabel kann zupacken. Er könnte es. Schön spitz ist er. Was hindert dich, reich zu sein oder zu werden? Abends fliege ich zu den Reichen hinüber. Vielleicht läßt sich ein weniges abgucken.

Wer hat nur diesen Reichtum gemacht? Hell und still stehen die Häuser der Reichen. Wie Kirchen, bloß bescheidener; ich meine: Kostbar sind sie schon, diese Villen. Was ihnen fehlt, ist das Himmelstürmende. Breit stehen sie da im Dunklen. Die Fenster strahlen. ‘ Wie vielverheißend das strahlt! Kleine Himmel sind diese Fenster. Wie das sein mag: durch sie hinausschauen?

In der Früh schlafe ich ja. Ich bin Langschläfer. Das ist Elsternart. Die Reichen sollen geschäftig sein, höre ich. Man hat mich zu den Fabriksschloten hinübergewiesen: Dort sollen die Reichen tagsüber zu sehen sein. Das verstehe ich nicht. Was sollten die Reichen mit Fabriken zu schaffen haben? Wie verträgt sich das? Ich liebe diese Fabriken nicht. Mir ist dort alles zu laut, zu schmutzig, zu trüb. Gearbeitet wird auch. Elstern mögen das nicht: arbeiten. Deshalb wünsche ich ja, reich zu sein. Nachts strahlen Leuchtschriften von den Fabriksgebäuden. Weit über die Stadt hin leuchten sie. Manchen der Namen fand ich just an den Tafeln, die an den Auffahrtstoren der Villen befestigt sind. Hat das Bedeutung?

Welche Verwirrung! Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Aber was sind das schon: rechte Dinge? Ich bin ein rechter Galgenstrick. Soviel ist recht.

Wenn die Nacht aus den Bäumen rauscht, ist meine Zeit. Zu den Villen hinüber! Zu den Gärten und Türmchen! Die Stille schreckt mich nicht. Schatten sind der eigentliche Ort meines Wesens. Finde ich ein offenes Fenster, schlüpfe ich hinein. Ich träume davon. Reiche sind vorsichtig. Sollten sie furchtsam sein? Schlau bin ich selber. Hasse ich Reiche? Ich bestehle sie, will es tun. Ich brauche die Reichen. Aber wer, frage ich manchmal, braucht sie noch?

Dumme

Ich werde dumm Sterben müssen, aber das macht mir nichts aus. Ein Kieselstein, ein Baum, eine Butte voll Lehm. Aus Lehm soll Gott den Menschen gemacht haben..Ich war gern ein Stück Lehm. Joyce hat eine Geschichte geschrieben, mit dem Titel: Clay, was Lehm heißt. Mir gefällt der Titel. Das macht mir Hoffnung: in den Lehm zurück gehen, in eine Mauer von Lehm hinein. Die Lehmgruben. Das Grab.

Früher dachte ich, man könnte fortschreiten im Wissen. Man kann das. Aber wohin? Wenn man von einem gegründeten, obzwar nicht ausgeführten Gedanken anfängt, den uns ein anderer hinterlassen, so kann man wohl hoffen, es bei fortgesetztem Nachdenken weiter zu bringen, als der scharfsinnige Mann kam, dem man den ersten Funken dieses Lichts zu verdanken hatte: so Kant über Hume. Der Satz leuchtet ein. Er spricht vom Denken, das wesensmäßig ein Weiterdenken ist. Er spricht vom Fortschreiten im Denken. Was hat dies mit dem zu tun, was wir Welt nennen?

Uns fehlt der Optimismus: Kant spricht vom Funken eines Lichts. Wir verstehen das, ja, wir lieben diese Vorstellung, aber wir zweifeln sie an. Wenn es so wäre, daß das, was wir Denken nennen, sich zu dem, was wir Welt nennen, so verhielte wie die Landkarte zur Landschaft: Wir zweifeln. Und wir sind recht allein in dem Zweifel. Viele glauben gar, die Landkarte sei schon die Landschaft. Wenn es nur gelänge, die Landkarte immer genauer, detailpräziser zu machen: Da verabschieden wir uns. Andere mögen sich hiemit beschäftigen, Klügere, Scharfsinnigere. Wir machen Platz.

Nur ein Dummer kann nach dem verlangen, was wir bezeichnen als: das Glück. Vom Denken wird uns das Glück vorgestellt. Das Denken sagt: Dies ist Glück! Jenes ist Unglück! Aber die Welt? Im Denken wissen wir um die Wege ins Glück. Es ist wie im Märchen: Klopf dreimal an die Tür! Sie wird sich öffnen. Geh hinein in die Höhle! Weiter! Fürchte dich nicht!

Der Abschied vom Denken: Ob das ein Weg wäre? Das Märchen vom Denken, vom Nicht-Denken: Es ist kein Unterschied: Ich sah ein schweres Motorrad, eine Harley Davidson, auf einem Parkplatz stehen. Vorne war, leicht über den Lenker gewölbt, eine Windschutzscheibe angebracht. Darauf war ein Schriftzug in lustigen Farben aufgeklebt. Es sagte: It’s only Rock V Roll.

Dann war eine Planke rund um den Parkplatz. Dort waren Plakate angeschlagen. Auf einem davon war nur ein großer Kopf zu sehen: ein bartloser Männerkopf mit Brille. Darunter war eine Schrift, die sagte: Doktor Soundso. Als ich dann dieses andere Plakat sah mit der Keksrolle darauf, bekam ich Hunger und betrat eine Gaststätte. Dort war es ganz still, keine Gäste. Ja, sagte ich, es stimmt: It’s only Rock ‘n’ Roll. Später kam Doktor Soundso zur Tür herein und legte, nachdem er Platz genommen hatte, seine Brille auf den Tisch.

Die Dummen sterben nicht aus. Aber das ist kein Trost. Nehmen wir ihn an! Nimm ihn doch an!! Gestern stieg Rauch aus dem Kamin des Nachbarhauses, und erst dachte ich, daß es ganz nebelig sei, draußen. Dann aber bog der Wind die grünen Äste des Baumes zum Fenster herein; ich sah, wie grün und schlank und lebendig sie waren. Es war also nicht neblig: das freute mich, es freute mich ganz wild, wunderbar, daß die Sonne schien, obschon ich mich geirrt hatte.

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