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Vernachlässigter Dialog

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Wer, wie jüngst der ehemalige Nationalratsabgeordnete Herbert Kraus in den „Berichten und Informationen“ (XI/ 82), einen bemerkenswert engagierten Beitrag zum Thema Liberalismus und Religion veröffentlicht (FURCHE Nr. 49/82, Presse- Echo), findet in dieser Öffentlichkeit kaum Aufmerksamkeit. Hätte er sich über Sozialismus und Christentum geäußert, dann wäre die Resonanz wohl eine größere gewesen.

Daran ist nicht nur der stets vorhandene und teilweise sogar legitime Opportunismus schuld, der etwa die SPÖ veranlaßt, sich um christliche Wählerstimmen zu bemühen, und kirchlichen Amts-

trägem nahelegt, ein möglichst gutes Verhältnis zu den jeweils Mächtigen im Staat zu pflegen. Die Hauptursache liegt vielmehr darin, daß noch viel zu wenig Klarheit darüber herrscht, wi® sehr die heutige Situation der Kirche in Österreich von der im 19. Jahrhundert begonnenen Auseinandersetzung mit dem Liberalismus bestimmt wird.

In den meisten westlichen De mokratien gibt es zwar keine großen „liberalen“ Parteien mehr; aber das signalisiert weniger eine Niederlage als eine Verbreitung des Liberalismus, dessen Prinzipien sich in politischen Gruppierungen wiederfinden, die eben nicht das Eigenschaftswort „libe ral“ ausdrücklich in ihr Namens schild aufgenommen haben. So verwalten beispielsweise die SPÖ ein Gutteil Kulturliberalismus, die ÖVP mindestens ebensoviel Wirtschaftsliberalismus und die FPÖ das Erbe des Nationallibera

lismus aus der österreichischen Geschichte.

Gegen den Liberalismus zu sein, erscheint vor allem politisch inopportun: verdanken wir doch zahlreiche Errungenschaften wie die staatliche Demokratie, die Freiheitsrechte der Person, den marktwirtschaftlichen Wohlstand und manches andere dem bürgerlichen Liberalismus.

Gleichzeitig mit diesem haben sich freilich auch Haltungen anfechtbaren Wertes und zweifelhafter Gültigkeit bis tief in christliche Kernschichten hinein eingebürgert“: etwa die Überzeugung, daß Religion Privatsache sei, daß Recht von religiöser Moral getrennt werden müsse, weil sonst der Staat zum verlängerten Arm der Kirche degradiert werde u. a. m. Das alles sind Grundsätze, gegen die sich unsere christlichen Vorfahren im vorigen Jahrhundert mit Zähnen und Klauen zu wehren trachteten.

Herbert Kraus würde sie vielleicht als „konservative Gläubige“ gegenüber den „liberalen Gläubigen“ abtun, obwohl man seinen „programmatischen“ Leitsätzen beim ersten Hinsehen vorbehaltlos zustimmen möchte. Man erkennt den Jesuitenschüler, wenn er — von der Erwartung ausgehend, eine neue Diskussion könne „die Religion aus einer drohenden Ghetto-Situation und den Liberalismus aus den Gefahren menschlicher Überheblichkeit herausführen“ — den liberalen Gläubigen als einen „weltaufgeschlossenen, dem angemessenen

Fortschritt verpflichteten Menschen“ schildert,

• der seine Anlagen und seine Persönlichkeit zu höchster Entfaltung bringen will, aber die Grenzen seiner Berufung erkennt;

• der vorurteilsfrei und tolerant die Urinstinkte der „Ablehnung des Fremden“ überwindet;

• derinKonfliktsituationenauf- geschlossen sich mit dem Standpunkt des anderen zu befassen und zu Verzichten aufzuraffen vermag und

• der als kritischer Skeptiker jeder irdischen Heilslehre, jeder Modeweisheit und jedem Allheilmittel zunächst mit Zurückhaltung begegnet.

Welcher „moderne“ Christ möchte nicht ein solcher Mensch sein? Und wer wollte Kraus widersprechen, wenn er postuliert, der (liberale) „Gläubige unterscheidet zwischen göttlichem und menschlichem Gesetz sowie zwischen unabänderlicher Grundwahrheit und zeitbedingter Sittenlehre …“? ‘

Ebenso wird man seinen kritischen Anmerkungen — wie etwa gegen „aggressiven Cliquengeist“ oder das „die Hierarchie dem Liberalen nicht die letzte, sondern nur die vorletzte Instanz“ ist — durchaus beipflichten dürfen. Wer hätte nicht schon an „sich elitär gebärdenden Zirkeln“ innerhalb der Kirche Anstoß genom

men oder wer ist nicht „trotz“ und weniger „wegen“ dieses oder jenes Amtsträgers bis hinauf zu seinem Diözesanbischof oder gar Papst kirchentreu geblieben?

Wie gesagt: Man ist versucht, Herbert Kraus geradezu vorbehaltlos zuzustimmen, wenn man nicht allzu genau hinsieht. Aber das ist ja der Fluch jeder intellektuellen Auseinandersetzung, daß sie redlich nur geführt werden kann, wenn man auf griffige Formulierungen verzichtet ünd die Akzente auf Nuancen setzt. Und da stellen sich doch einige tieferschürfende Fragen.

Zunächst fällt auf, daß Kraus mit gebotener Gründlichkeit zwischen dem Altliberalismus, der historisch längst ausgedient hat, und dem von ihm bejahten Neoliberalismus unterscheidet, während er andererseits nicht konkret vom Christentum oder gar von der Kirche, sondern nur ganz allgemein von „Religion“ spricht. Ist also der „liberale Gläubige“ jener Nathan der Weise, der nicht mehr nach dem echten Ring sucht, weil er die Motivation eines Ringbesitzes an sich tür ausreichend hält?

Wie so oft steckt auch beim „liberal Gläubigen“ der Teufel im Detail: Dieser ist nach Kraus

• dem „angemessenen Fortschritt“ verpflichtet (aber wer bestimmt, was angemessen ist und was nicht?)

• einer, der „tern von jeder nivellierenden Gleichmacherei die Verschiedenheit der Menschen

genauso akzeptiert wie die Vielfalt der Natur“ - (aber müßte nicht die Gleichheit aller Menschen vor Gott zur Beseitigung „naturbedingter“ Verschiedenheiten aufrufen?);

• der „unentwegte Anwalt der Freiheit, der die immer wieder gefährdete demokratische Ordnung zu sichern … sucht“ (aber wo bleiben die notwendigen Einschränkungen der Freiheit im menschlichen Zusammenleben und in der staatlichen Ordnung?);

• jener, der schließlich „den Nachbarn nach seiner Fasson selig werden läßt“ (aber kann ein sozial verantwortlicher Mensch, der sich im Besitz der Wahrheit wähnt, den Nachbarn einfach in die Irre gehen lassen?)

Die Wahrheit ist - und diese Disharmonie der Welt sollte Herbert Kraus auch nicht mehr stören als den Verfasser — bis zu einem gewissen Grade intolerant! Dem Dilemma der Entscheidungspflicht trotz menschlicher Unzulänglichkeit begegnete Pilatus mit der resignierenden Frage „Was ist Wahrheit?“ und entflieht der aufklärerische Agnostizismus spätbürgerlicher Dekadenz mit der Behauptung, es gäbe überhaupt keine Wahrheit, sondern nur eine Pluralität von Meinungen, die man gleichberechtigt nebeneinander bestehen lassen müsse.

Demgegenüber aber verheißt die Bibel: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen!“ (Joh. 8,32)

Der Autor ist Parlamentsdirektor.

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