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Vernebelte Vision

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Eine Vision muß her: In dieser Forderung gipfelten viele Wortmeldungen beim Delegiertentag in Salzburg vor zweieinhalb Wochen, als die „Perspektiven der Hoffnung“ für den Katholikentag diskutiert wurden. Das am 14. Mai in St. Pölten versammelte Katholikentagskomitee verfing sich in den Fallstricken dieses (begründeten) Wunsches.

Dabei stecken im „Perspekti- ven“-Papier einige Visionen, die sicher weiterreichen als jene früherer Katholikentage.

Es ist eine Vision, Krieg nicht länger als unentrinnbares Natur-

ereignis zu akzeptieren, sondern zu seiner Eindämmung ernsthaft anzutreten. Es ist eine Vision, eine „neue Gemeinschaft von Männern und Frauen“ anzuvisieren, in der „alle Diskriminierungen überwunden sind“.

Es ist eine Vision, den Menschen als „Partner Gottes“ in der Fortführung des Schöpfungswerkes zu sehen und ihn gleichzeitig zu einem „sparsamen und schonenden Umgang“ mit den Gütern dieser Erde zu verpflichten.

Es ist eine Vision, den Christen die Begegnung zwischen Kirche und zeitgenössischer Kunst aufzutragen. Es ist eine Vision, die Kirche als „Ort der Freiheit und der Brüderlichkeit, der Barmherzigkeit und der Versöhnung“ festzunageln, die sich auch selbst „stets neu dem Ruf nach Umkehr zu stellen hat“.

Trotzdem ist es nicht gelungen, die Realutopien dieses „Perspek- tiven“-Papiers in einer griffigen

Präambel voll bewußt zu machen. Die statt dessen gebotene Theologie des Kreuzes besticht theologisch, reißt aber naturgemäß nicht mit.

So kam es, daß sich die Mehrheit des Katholikentagskomitees auf visionäre Formulierungen von unbestritten literarischer Qualität stürzte, die der Wiener Studentenseelsorger Joop Roe- land entworfen hatte, und sie als Abschluß den „Perspektiven“ beifügte. Das brachte freilich die Katholikentagsteilnehmer um die in Salzburg in Auftrag gegebene „Kurzfassung des Inhalts in Thesenform“.

Es, schadet aber sicher nichts, wenn jetzt noch mehr Menschen das ganze (knapp 28 Schreibma- schinseiten umfassende) Papier lesen. In St. Pölten ist es letzten Samstag noch einmal mit in vielen mühsamen Abstimmungen eingefügten Zusätzen angereichert worden.

Auf Kosten einer Einheitlichkeit des Stils nahm die Substanz dabei noch einmal zu. Daß zu zwei heißen Eisen — Frauenordination und viri probati — einige Bischöfe hinter verschlossenen Türen Abänderungen durchgesetzt hatten,

betrübte viele Komiteemitglieder erkennbar — und zwar nicht das Faktum als solches, sondern daß die Bischöfe nicht den Weg offener Wortmeldungen beim Delegiertentag gewählt hatten, die gewiß auch im Plenum nicht überhört worden wären.

Nun heißt es, daß „erweiterte Möglichkeiten des kirchlichen Dienstes für Frauen erneut geprüft werden sollen“ und daß „die Bischöfe gebeten werden, in Anbetracht des Priestermangels die Vorbedingungen für die Priesterweihe neu zu bedenken und mit dem Heiligen Vater zu besprechen“ (was sogar ein sehr erfreulicher Zusatz ist).

Beschlossen wurde auch, das Sammelergebnis beim Katholikentag (erwartet werden drei bis fünf Millionen Schilling) drei Zwecken zuzuführen: einer

Wohnstätte für schwangere unverheiratete Frauen, einem Lehrwerkstättenprogramm für jugendliche Arbeitsuchende und einem Flüchtlingsasylprojekt.

Hier nun die neuen „Thesen“:

Unsere Hoffnung ist Jesus Christus: der Gekreuzigte ist auch der Auferstandene.

Unsere Hoffnung ist die unzer-

störbare Würde des Menschen: die Würde įer Frau, die Würde des Mannes, die Würde des Kindes; die Würde aller, die jetzt noch verspottet sind und mißachtet, verfolgt und ohne Namen.

Unsere Hoffnung sind Kinder, die von uns verlangen, daß Zukunft anfängt.

Unsere Hoffnung sind junge Menschen, die nicht zufrieden sind mit dem, was ist; die träumen von einer Welt, wo Hände teilen und Worte Wahrheit sind..

Unsere Hoffnung sind Familien, wo nicht unterdrückt und nicht verraten wird, wo eine Sprache der Menschen gesprochen wird.

Unsere Hoffnung ist, daß Kindern behutsame Wege gezeigt werden. Wege der Menschen, Wege zu Gott.

Unsere Hoffnung ist, daß Menschen ihre Konflikte nicht mit Gewalt lösen. Unsere Hoffnung ist, daß Feinde ihre Waffen niederlegen und versuchen, miteinander zu sprechen.

Unsere Hoffnung ist, daß Frieden geschenkt wird, weil sich versöhnt der Mensch mit sich selbst, der Mann mit der Frau, der Feind mit dem Feind, der Mensch mit Gott.

Unsere Hoffnung ist, daß der Mensch wieder lernt, für diese Erde ein guter Gärtner zu sein, ein Hüter des Lebens, einer, der baut und gestaltet, verbunden mit allem, was lebt.

Unsere Hoffnung sindKünstler, die warnen, Künstler, die fragen; Künstler, die ahnen, wo Ursprung und Zukunft ist.

Unsere Hoffnung ist Kirche, die nicht mehr zerspalten und nicht mehr zerteilt ist. Unsere Hoffnung ist die Einheit der Kirche.

Unsere Hoffnung ist Kirche als Ort der Verheißung, als Ort, wo der Mensch spricht mit Gott wie mit einem Freund.

Unsere Hoffnung ist, den Weg zu gehen, den Maria gegangen ist, die unter dem Kreuz gestanden war. Sie war auch die, die mit den Jüngern den Geist Gottes erwartet hat.

Unsere Hoffnung ist Jesus Christus: der Gekreuzigte ist auch der Auf erstandene.

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