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Vernichtungskrieg gegen Kurden

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FURCHE: Was wollen die Kürden heute: Autonomie in den fünf Staaten, in denen sie leben, oder volle staatliche Souveränität?

JALAL TALABANI: Wir sind realistisch genug, Endziel und momentane politische Forderungen nicht zu verwechseln. Uber die Demokratisierung der einzelnen Länder scheint eine Autonomie bis hin zu einem konföderativen System möglich zu sein. Das Endziel des kurdischen Volkes ist natürlich die Wiedervereinigung Kurdistans zu einem Staat.

FURCHE:Ist das nicht ein stark nationalistisch geprägtes Anliegen?

TALABANI: So kann man das nicht sehen. Wenn es in der Türkei und im Irak zu einer Demokratisierung kommt und wenn Gleichberechtigung zwischen den Völkern eines Staatsgebietes herrscht, dann ist das natürlich für uns besser als der jetzige Zustand. Die Völker des Mittleren Ostens sind durch gemeinsame Geschichte miteinander verbunden. Von Geschichte und Kultur her gibt es Voraussetzungen, die Herausforderungen der Gegenwart - insbesondere die technologischen, die kleine Länder allein nicht bewältigen können — gemeinsam anzunehmen.

FURCHE: Wie soll das gehen bei dem Haß, der zwischen Kurden und Türken oder zwischen Kurden und dem Irak herrscht?

TALABANI: Da haben Sie schon recht. Dieser Haß existiert - vor allem unter den Kurden in der Türkei. Die Maßnahmen der türkischen Regierung haben das kurdische Volk in die Ecke gedrängt, sodaß es keine andere Möglichkeit als die Loslösung von der Türkei sieht. Der Kampf der Kurden ist eine Reaktion auf die Repression der türkischen Regierung. Das Schicksal der Völker wird aber nicht durch Gefühle gelöst, sondern durch Tatsachen. Trotz der Bedenken, die Sie eben geäußert haben, halten wir ein Zusammenleben der Völker für machbar - aufgrund von wirtschaftlichen imd gesellschaftlichen Vorteilen.

FURCHE: Was hat momentan für die Kurden Priorität: politischer oder bewaffneter Kampf?

TALABANI: Der Schwerpunkt liegt bei politisch-organisatorischen Aufgaben zur Mobilmachung unserer Bevölkerung, um klarzumachen, was wir überhaupt wollen. Weil es in den genannten Staaten keine Demokratie gibt, wird das kurdische Volk gezwungen, zum letzten Mittel, dem bewaffneten Kampf, zu greifen.

FURCHE: Wie sind die Kurden international verankert?

TALABANI: Das Kurdenproblem wird immer mehr internationalisiert. Erstens, weil die irakische Regierung chemische Waffen im irakischen Kurdistan, in Halabja, eingesetzt hat — was den Kurden in der ganzen Welt Aufmerksamkeit verschaffte. Zweitens, weil wir jetzt erstmals auch Beziehungen zu den USA herstellen.

Enge Verbindungen gibt es zum Europäischen Parlament und den nationalen Regierungen Europas. Die Kurden nehmen an Sitzungen der Sozialistischen Internationale teil. Jetzt sind wir einen Schritt weitergegangen und haben auch Kontakte zu Christdemokraten und Liberalen hergestellt. Programmatische Beziehungen gibt es zu humanitären Organisationen wie Amnesty International.

Wir sind sehr zufrieden mit der Haltung der jeweiligen Völker und Parlamente gegenüber den Kurden. Wir müssen aber die Regierungen von Tokio über Moskau, Wien, Bonn, Paris, London bis Washington kritisieren: Wir Kurden sind Opfer ihrer kommerziellen Politik. Ich meine sowohl sozialistische als auch konservative Regierungen. Sie respektieren ihre Menschenrechtsprinzipien hinsichtlich der Kurden nicht.

FURCHE: Von überallher kommen Waffen in den Irak - auch chemische Waffen. Beliefern Ihrer Meinung nach auch österreichische Firmen Chemiewaffenfabriken im Irak?

TALABANI: Wir glauben, daß an der Einrichtung solcher Fabriken - von der Technologie über die Basis-Chemie bis zur Produktion - alle europäischen Staaten beteiligt sind. Osterreich hat dem Irak Kanonen geliefert, die gegen uns eingesetzt wurden, daher halten wir es für möglich, daß auch auf dem Gebiet der Chemiewaffenproduktion Verbindungen bestehen. Auch Österreich betreibt eine kommerzielle Politik. Diese ist überhaupt einer der Engpässe westlicher Demokratien.

FURCHE: Uber welche organisatorischen Strukturen verfügen die Kurden, um dem auf fünf Staaten verteilten Volk politisches Selbstbevmßtsein zu geben?

TALABANI: Unser ganzes Volk ist stark politisiert. Im Irak wird gegen uns im wahrsten Sinn des Wortes ein Vernichtungskrieg geführt. Die Menschen wurden in die Großstädte evakuiert. Wir haben aber überall unsere Organisationen. Es gibt eine Radiostation, die sechs Stunden am Tag sendet. Die Guerillakämpfer halten jeden wach. Dazu kommen Auslandssender, die überall gehört werden. Wichtig ist, daß das ganze Volk hinter der Revolution steht.

Im irakischen Kurdistan existiert eine Front mit fünf kurdischen Organisationen. Wir von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) unterhalten Beziehungen zu allen kurdischen Organisationen im Irak und im Iran. Momentan sind wir dabei, eine Konferenz im Frühjahr für alle Vereinigungen zu organisieren. Der Konferenzort steht noch nicht fest.

FURCHE: Wer unterstützt dįe. Kurden finanziell? Womit finanzieren sie ihre Waffen?

TALABANI: Uns hilft niemand. Wir sind primär auf die Bevölkerung angewiesen, auf die Erbeutung von Waffen der Regierungstruppen. Bis jetzt haben wir keine einzige Waffe gekauft. Aufgrund guter Beziehungen kurdischer Kräfte zum Iran und zu Syrien haben wir von diesen Ländern Waffen erhalten.

FURCHE: Wie schätzen Sie die Lage der Kurden in der Türkei, in Syrien, im Irak, im Iran und in der Sowjetunion ein?

TALABANI: In allen Staaten hat sich unsere Situation verschlechtert. Gorbatschows Glasnost verdanken wir das Wissen, daß es den Kurden in Aserbei-dschan auch nicht gutgeht In allen diesen Staaten sind die Kurden von den nationalen Rechten ausgeschlossen. Türken und Aser-beidschaner anerkennen die Kurden nicht einmal als Volk. Im Irak wird zugegeben, daß es Kurden gibt. Im Iran beginnt man bezüglich der Kurden umzudenken. Momentan glauben wir, daß unsere Lage im Irak am schlechtesten ist, weil wir dort wirklich in unserer Existenz bedroht sind.

Die kurdische Bevölkerung im Irak ist in großen Städten und in Konzentrationslagern zusammengefaßt. Es gibt kein einziges Dorf mit einer funktionierenden Agrarstruktur, der Viehbestand ist verschwunden. In den Lagern ist niemand seines Lebens sicher. Von zwei Lagern wissen wir definitiv, daß dort bakteriologische Waffen eingesetzt wurden.

FURCHE: Gibt die neue US-Administration den Kurden Hoffnung?

TALABANI: George Bush hat im Wahlkampf die Vernichtung chemischer Waffen während seiner Amtszeit versprochen. Wir haben ims in dieser Angelegenheit schon an ihn, an Außenminister James Baker tind Verteidigungsminister John Tower gewandt. Wir hoffen, daß das Versprechen gehalten wird.

Mit dem Kurdenführer, der sich „zu Privatgesprächen mit Freunden“ dieser Tage in Wien aufhielt, sprach Franz Gansrigier.

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