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Vernunft ist noch nicht angesagt
Als heuer die Wiener Polizei bei der Chaoten-Demonstration anläßlich des Opernballs hart gegen die Sachbeschädiger vorging, heulte man in Prag Krokodilstränen. Besorgt wandte sich das Prager Regime an das Wiener Außenamt mit der Frage, wie ernst es denn Österreich mit den Menschenrechten nehme.
Die Scheinheiligkeit des Prager Regimes entlarvt sich aber jedesmal von selbst, wenn in der Tschechoslowakei bei bestimmten Gedenktagen, die den Herrschenden schwer im Magen liegen, weil die Bevölkerung die Legitimationsfrage stellt, die Knüppel der Ordnungshüter auf jene niedersausen, die nach mehr Freiheit rufen. „Anarchisten“ nennen die Machthaber die Swoboda-Befürworter.
Ordnung ist in der Tschechoslowakei damit nichts anderes als beinharte Unterdrückung jeder nicht abgestimmten und unangenehmen Meinungsäußerung. Ein Meinungsbildungsprozeß wird erst gar nicht geduldet. Wo sich Gruppen frei artikulieren wollen, ist in der kommunistischen Propaganda sofort von Gewalt gegen die herrschende Ordnung die Rede.
Die eindrucksvollen Bilder vom gewaltlosen Protest am 21. August -dem 21. Jahrestag des Einmarsches der Warschauer Pakt-Truppen in die CSSR - gegen die Prager realsozialistische Ordnimg konterkarierten jene hysterischen Presseerklärungen der tschechoslowakischen Botschaft in Wien, die im Vorfeld des Gedenktages gewalttätige Konfrontationen der „sogenannten Opposition“ mit der Staatsmacht prophezeiten.
Die Arbeit der Auslandkorrespondenten am Prager Wenzelsplatz an diesem 21. August wurde nur des wegen behindert, weil niemand sehen sollte, von welcher Seite die Gewalt wirklich ausgeht
Eine immer wachsamer werdende Öffentlichkeit in unserem nördlichen Nachbarland steht verständnislos den Beteuerungen des Regimes gegenüber, zu „vollerer Demokratisierung“ gelangen zu wollen. In der Alltagsrealität entspricht kaum etwas diesem Anspruch. Trotzdem glaubt der tschechoslowakische Außenminister aus der Dubcek-Ära, Jifi Hajek, an die Lernfähigkeit der Prager Führungsschicht. Auch am Hradschin, so meinte er in einem ORF-Interview, werde sich einmal die Vernunft durchsetzen.
Vorläufig deutet wenig darauf hin. Die Betonköpfe in der Prager Führung sind in Abwehrkämpfe verstrickt. Ängstlich registriert man die Umbewertung des 68er Einmarsches durch die Bruderländer Ungarn und Polen und sogar durch Moskau. Wie absurd die Lage in der CSSR gegenwärtig ist, zeigt sich schon darin, daß die Absage von Warschauer-Pakt-Staaten an die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Bruderlandes von Prag als Einmischung in eben diese Angelegenheiten zurückgewiesen wird. Die Vernunft läßt grüßen.
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