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VERPACKUNGSVERORDNUNG: TESTFALL FÜR KONSUMENTEN

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Rund 30 Prozent oder 620.000 Tonnen Hausmüll gehen allein auf Konto der Verpackungen. Das sind 83 Kilogramm pro Kopf. Wenigstens dieser Anteil soll jetzt durch eine neue Verpackungsverordnung aus dem Hausmüll verschwinden.

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Rund 30 Prozent oder 620.000 Tonnen Hausmüll gehen allein auf Konto der Verpackungen. Das sind 83 Kilogramm pro Kopf. Wenigstens dieser Anteil soll jetzt durch eine neue Verpackungsverordnung aus dem Hausmüll verschwinden.

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Nach Inkrafttreten dieser Verordnung im Juli dieses Jahres dürfen in Zukunft Verpackungen jeglicher Art nicht mehr einfach in den Hausmüll geworfen werden. Handlungsbedarf besteht dann bei Industrie und Handel, denn diese werden dazu verpflichtet, die schützenden und aufwendigen Umhüllungen, sowie Einweggeschirr und -besteck zurückzunehmen und zu verwerten.

Aber auch der Konsument kommt nicht ungeschoren davon. Jeder einzelne muß die Verpackungsmaterialien an die Verkaufsstelle zurückgeben. Obwohl das Abfallwirtschaftsgesetz für Verstöße gegen diese Bestimmungen Geldstrafen von 5.000 bis 100.000 Schilling vorsieht, will Umweltministerin Ruth Feldgrill-Zankel die Bürger nicht vor den Kadi schleppen. Sie setzt auf entsprechende Information und Öffentlichkeitsarbeit, „um das Bewußtsein und Verständnis für die Ziele und die Durchführung der Verpackungsordnung zu vermitteln". Wolfgang List, Leiter der Abteilung Abfall- und Altlastenrecht im Bundesministerium für Umwelt und Familie bezeichnet die Verpak-kungsverordnung als „Meilenstein der Abfallvermeidung". Denn sie trage dem für die Umwelt so wichtigen Prinzip der Kostenwahrheit für Produkte Rechnung.

Mit den Müllgebühren bezahlen heute alle Verbraucher für den hohen Verpackungsaufwand einzelner, während diejenigen, die es in der Hand haben, welche Produkte in welchen Verpackungen auf den Markt kommen, keine Konsequenzen zu tragen haben, heißt es. Daher sollen künftig die Kosten für Sammlung und Verwertung der entsprechenden Verpackungseinheit direkt zugerechnet werden, im Sinne einer „vorgezogenen Müllgebühr", so List weiter. Daß damit auch die Kaufpreise steigen, liegt auf der Hand, kommen doch zu. den Kosten für Erzeugung und Vertrieb noch Kosten für Sammlung und Verwertung dazu. Wettbewerbsvorteile sieht List jedoch dort, wo die Produkte weniger aufwendig verpackt werden und wo man sich Mehrwegsystemen (Pfandflaschen) bedient.

Wie die Theorie in die Praxis umgesetzt werden soll, ist noch offen. Vor allem die Wirtschaft fühlt sich mit der Müllproblematik überfordert. Dazu die Umweltministerin: „Der Verordnungsentwurf räumt jedem ein, sich Dritter zu bedienen. Es liegt am Handel und an der kommunalen und privaten Entsorgungswirtschaft, die nötige Infrastruktur aufzubauen und .entsprechende Verträge abzuschließen."

Das Verordnungsbündel will die Unternehmen aber nicht nur zur Rücknahme und bloßen Entsorgung des Verpackungsmaterials verpflichten, sondern einen; hohen Grad von Wiederverwertung oder zumindest einer stofflichen Verwertung erreichen. Verordnetes Ziel: 80 Prozent. Sollte diese Quote nicht erreicht werden, wird ein Pfandsystem eingeführt.

Derart unter Zugzwang wurde als gemeinsame Initiative von Industrie und Handel die Arbeitsgemeinschaft Verpackungsverwertung (ArgeV) gegründet. Die ArgeV, die im September vergangenen Jahres mit der Sammeltätigkeit und Verwertung von Getränkedosen aus Aluminium und Weißblech sowie Getränkeflaschen aus Kunststoff begann, geistert seither immer wieder durch die Medien. Kritik wurde vor allem am Verwertungsbeitrag geübt (30 Groschen bis ein Schilling), den der Importeur oder Hersteller muß, zur Finanzierungeines Sammelsystems an die ArgeV abführen. Daß dieser Beitrag letztlich auf den Normalpreis aufgeschlagen wird und somit dem Konsumenten auf die Geldbörse drückt, erboste die Konsumentenschützer.

Die Arbeiterkammer wiederum warf der Getränkewirtschaft vor, durch die Sammeltätigkeit die unbestritten sinnvollere Pfandflasche zurückdrängen zu wollen. In Wahrheit, so Franz Buchal, Geschäftsführer der ArgeV, ist der Mehrweganteil bei Limonaden seit 1. September 1991 -dem Beginn der Sammeltätigkeit -von weniger als der Hälfte auf über 60 Prozent angestiegen.

Eine weitere Forderung der Arbeiterkammer ist „die völlige Transparenz und öffentliche Kontrolle bei allen vorgeschlagenen und praktizierten Rücknahme- und Entsorgungssystemen der Wirtschaft". Diese Durch-schaubarkeit garantiert, so Buchal, ein in den Statuten der ArgeV verankertes Kontrollorgan, ein Beirat, der sich aus Vertretern sämtlicher Interessens-gruppen zusammensetzt und in den nächsten Wochen erstmals tagen soll.

Bis Ende vergangenen Jahres umfaßte das Sammelsystem der ArgeV 9.000 Standorte. Das fertig ausgebaute Netz soll letztendlich 15.000 Sammelstellen umfassen. In der ersten Hälfte dieses Jahres wird die Sammeltätigkeit der ArgeV auch auf Lebensmitteldosen, sowie Milch- und Molkereiverpackungen ausgeweitet werden.

Die Sinnhaftigkeit der Sammeltätigkeit ist mit folgenden Zahlen zu belegen: Jährlich wandern 450 Millionen Einwegverpackungen aus dem Getränkebereich, sowie 1,5 Milliarden Einwegverpackungen aus dem übrigen Nahrungs- und Genußmittelsektor oder 54.000 Tonnen mit einem Volumen von 1,2 Millionen Kubikmetern in den Hausmüll.

Die Wiederverwertung und Entsorgung dieser Mengen verschlingt 400 Millionen Schilling jährlich aus dem kommunalen Budget. Ein hoher Wie-derverwertungsanteii über die ArgeV würde die Kommunen zwar entlasten, den „Schwarzen Peter" hat aber dann der Konsument. Ist es wirklich so - die Wirtschaft argumentiert damit -, daß Einwegverpackungen von den Kunden bevorzugt werden? Auch wenn diese mehr kosten?

Die Stunde der Wahrheit schlägt mit dem Inkrafttreten der Verpak-kungsverordnung.

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