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Verratene Revolution

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Durch die Flucht des Diktators Jean-Claude Duvalier hat sich wenig geändert. Das alte Regime konnte vorläufig gerettet werden. Doch wie die bettelarme Republik wirtschaftlich überleben soll, ist unklar.

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Durch die Flucht des Diktators Jean-Claude Duvalier hat sich wenig geändert. Das alte Regime konnte vorläufig gerettet werden. Doch wie die bettelarme Republik wirtschaftlich überleben soll, ist unklar.

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Mit der Rückkehr zur blauroten Nationalflagge hat die neue Regierung der karibi-schen Republik Haiti einen symbolischen Akt der Vergangenheitsbewältigung gesetzt. Blaurot, das sind die Farben, die von der französischen Tricolore übrigblieben, als Jean-Jacques Dessalines 1804 das Banner der besiegten Kolonialmacht zerfetzte und die erste Negerrepublik der Welt gründete.

Francois Duvalier, der Gründer der Dynastie des vor wenigen Wochen gestürzten Diktators Jean-Claude Duvalier, hatte die Farben durch das Rot-Schwarz des Vou-dou ersetzt, jenes in Haiti verankerten afro-karibischen Geisterkultes, dessen sich „Papa Doc“ bedient hatte, um die Bevölkerung zu kontrollieren.

Der aus drei Militärs und zwei Zivilisten zusammengesetzte Regierungsrat hat freie Wahlen angekündigt, will die Bildung freier Gewerkschaften und die Arbeit politischer Parteien zulassen und hat, was vielleicht das Wichtigste ist, wenige Tage nach der Flucht des Diktators die berüchtigten

Tontons Macoutes aufgelöst - die wegen ihrer Brutalität gefürchteten Privatmilizen des Präsidenten auf Lebenszeit. Während „Baby Doc“ und seine Familie noch über dem Atlantik schwebten, empfing die noch vom scheidenden Diktator eingesetzte Regierung bereits das diplomatische Korps im Nationalpalast.

Die USA deuteten gleichzeitig an, sie würden 26 Millionen Dollar an Wirtschaftshilfe, deren Auszahlung suspendiert worden war, bald freigeben. Washington gab sich wenig Mühe, seine Beteiligung am Machtwechsel in der Karibik zu verbergen.

Der diskrete Druck, den Präsident Reagan auf seine Freunde in der Dritten Welt in Sachen Menschenrechte ausübt, hatte in Haiti, dem ärmsten Land des Kontinents, vorerst nichts gefruchtet. „Die USA haben seit zwei Jahren versucht, Duvalier zum Abdanken zu überreden“, berichtet ein Diplomat in Port-au-Prince. Das einzige Zugeständnis, das sich der füllige Autokrat im vergangenen Jahr abringen ließ, war eine Amnestie für politische Gefangene und die Zulassung von Oppositionsparteien. Voraussetzung: die Politiker mußten einen Eid auf die Verfassung ablegen, in der das vererbbare Recht auf Präsidentschaft auf Lebenszeit verankert war. Als „Baby Doc“ sich dann im Juli vergangenen, Jahres sein lebenslängliches Mandat durch ein dreist manipuliertes Referendum mit 99,98 Prozent Zustimmung absegnen ließ, wurde offenkundig, daß es für Haiti nur eine radikale Lösung geben könne.

Im November kam es zu ersten Protesten in Gonai'ves, der Stadt der Unabhängigkeitserklärung. Drei Studenten wurden ermordet. Während Duvaliers Frau Michele mit ihrem Hofstaat per Concorde nach Paris flog, um für Tausende Dollar Möbel und Schmuck zu kaufen, rationierte „Baby Doc“ in Haiti das Benzin und rief das Volk zu „Sparmaßnahmen“ auf. Ein Prozent der Bevölkerung steckt dort nach Angaben der Weltbank 40 Prozent des nationalen Einkommens ein, während rund zwei Drittel nicht einmal ihre grundlegendsten Bedürfnisse befriedigen können.

Die Demonstrationen rissen nicht mehr ab. Sie griffen auf Cap Haitien im Norden über, auf die Hauptstadt Port-au-Prince und auf Jeremie im Süden — alles Städte, in denen katholische Priester und Laienhelfer bewußtseinsbildende Arbeit geleistet hatten. Die Haitianer verlangten den Rücktritt Duvaliers, und dieser antwortete mit immer brutalerer Gewalt. Gerard Gourgue von der haitianischen Menschenrechtsliga, der jetzt als Justizminister fungiert, schätzt, daß mindestens 2000 Menschen in den letzten Wochen der Diktatur getötet wurden.

Ende Jänner verhängte „Baby Doc“ den Ausnahmezustand und erklärte grinsend über das Fernsehen, er sitze so fest wie der Schwanz eines Affen.

Wenige Tage später war der Affenschwanz ab. Dem vereinten Druck der USA und Frankreichs war es gelungen, den unbequemen Diktator ins vergoldete Exil zu schicken. Wolle Duvalier eine radikale Entwicklung in seinem Land verhindern, dann müsse er gehen, machte ihm US-Botschafter McManaway klar. Dann bestellte der Diplomat in Washington die geräumige C-141 Transportmaschine der US-Luftwaffe, die die Präsidentenfamilie nach Frankreich bringen sollte, und machte sich mit den Offizieren, denen „Baby Doc“ die Macht übergeben hatte, an die Erstellung der neuen Kabinettsliste.

Die halbverhungerten Menschen aus den stinkenden Elendsvierteln feierten den Tag des Sieges über die verhaßte Dynastie auf ihre Weise, indem sie sich über Lebensmitteldepots hermachten und alles kurz und klein schlugen, was den Bennerts, der schwerreichen Familie von Duvaliers Frau Michele, gehörte. Die Begeisterung verebbte vollends, als die Ministerliste bekannt wurde. Die Ernennung zahlreicher Vertrauter der Duvaliers ließ bei der Bevölkerung erste Zweifel aufkommen, ob die Regierung ihren neuen Kurs ernst meinte.

So wurde mit Odonel Fenestor ausgerechnet jener Mann Handels- und Industrieminister, der als Chef des Finanzamtes für „Baby Doc“ Gelder gewaschen und auf Nummernkonten in der Schweiz verschoben hatte. Agrarminister Montaigu Cantave, der denselben Posten im Vorjahr wegen Korruption niederlegen mußte, wurde im Ministerium von den Angestellten ausgepfiffen, als er sein Büro beziehen wollte.

Aber auch in der fünfköpfigen Regierungsjunta selbst hat nur der Anwalt Gerard Gourgue eine makellose Vergangenheit als Regimekritiker. General Henri Namphy, der neue starke Mann, ist ein Karriereoffizier, dem keine kompromittierenden Beziehungen zum Präsidentenhaus nachgesagt werden. Auch Innen- und Verteidigungsminister Oberst Wü-liams Regala war kein Duvalie-rist. Aber Oberst Max Valles, der neue Informationsminister, hat sich durch seine journalistischen Lobeshymnen auf „Baby Doc“ einen Namen gemacht. Und Juntamitglied Alex Cineas war auch früher schon Minister und galt als ergebener Verteidiger des alten Regimes.

Die neue Regierung muß nun bei jedem Schritt, den sie setzt, auf die größten Geldgeber schielen, die gleichzeitig die bedeutendsten Investoren sind: USA, Kanada, Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland.

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