6825740-1974_11_04.jpg
Digital In Arbeit

Verschwendung als Prinzip

19451960198020002020

Bedeutende Ereignisse werfen ihre Schatten voraus: Noch ist das Assanierungs- und Bodenbeschaffungsgesetz nicht beschlossen, aber die Assanierungsgesellschaften schießen schon wie Pilze aus dem Boden, um ja das große Geschäft nicht zu versäumen. Hinter ihnen stehen sehr einflußreiche Persönlichkeiten und Organisationen, und wir können sicher sein, daß sie die ihnen jeweils nahestehenden Parteien drängen werden, den Regierungsentwurf möglichst schnell und unverändert anzunehmen.

19451960198020002020

Bedeutende Ereignisse werfen ihre Schatten voraus: Noch ist das Assanierungs- und Bodenbeschaffungsgesetz nicht beschlossen, aber die Assanierungsgesellschaften schießen schon wie Pilze aus dem Boden, um ja das große Geschäft nicht zu versäumen. Hinter ihnen stehen sehr einflußreiche Persönlichkeiten und Organisationen, und wir können sicher sein, daß sie die ihnen jeweils nahestehenden Parteien drängen werden, den Regierungsentwurf möglichst schnell und unverändert anzunehmen.

Werbung
Werbung
Werbung

Daß die Assanierung für gewisse Gruppen, speziell für solche, die den Kommunalverwaltungen nahestehen, ein Monstergeschäft sein wird, steht außer Zweifel. Für die bereits jetzt unter dem Steuerdruck stehende Bevölkerung wird sie allerdings ein sehr dubioses Geschenk sein.

Sehen wir von dem Gesetzestext ab, von dem es schon heute heißt, daß er Dutzende von höchstgerichtlichen Entscheidungen notwendig machen wird, bis die rechtliche Situation einigermaßen geklärt sein wird, sondern überlegen wir lieber die ökonomischen und sozialen, gesellschaftspolitischen und ideologischen Konsequenzen dieses als soziale Großtat gepriesenen Gesetzes.

Der Haupteinwand ist und bleibt, daß dessen Grundidee Verschwendung ist, Verschwendung von Steuermitteln, von Arbeitskraft, von Material und von Energie — lauter Dinge, die immer knapper werden und daher optimal eingesetzt werden müßten. Darüber hinaus läuft das Ganze auf eine systematische Zerstörung des Stadtbildes hinaus, die sämtliche Bemühungen um eine Ensemblepflege immer wieder unterlaufen wird.

Das Gesetz geht von dem Gedanken aus, die Assanierung könne nur durch Demolierunig der bestehenden Bausubstanz und die Errichtung von Neubauten gelingen. Dies zeigt sich am deutlichsten darin, daß als Assanierungskriterium die Zahl der Innenklosetts und der Badezimmer in einem Hause und in einem Stadtviertel gewählt wird. Hingegen wird nicht danach gefragt, ob eine Sanierung bestehender Häuser durch ganz einfache Mittel — wie Verstärkung der Licht-, Gas- und Wasserleitungen, Einziehen von ein bis zwei neuen Abfallsträngen und durch teilweise Zusammenlegung von Wohnungen — nicht mit einem Bruchteil jenes finanziellen Aufwands erfolgen könnte, der für Demolierung und Neubau notwendig sein wird. Sicherlich ist die Situation nicht überall gleich günstig, aber bei einem großen Teil der Althaussubstanz wäre diese Möglichkeit gegeben.

Selbstverständlich genügen keine verbalen Bekenntnisse zur Althaussanierung, wie sie jetzt in Mode kommen, sondern es bedarf ganz konkreter legistischer und finanzieller Maßnahmen. Davon ist aber weder im Entwurf des Assanierungs-gese'tzes noch in der geplanten Mietenreform die Rede, die beide darauf abzielen, die derzeitige Situation im Altbau noch mehr zu zementieren, diesen auszuhungern und seinen Verfall voranzutreiben.

Gerade heute, da eine immer größere Ernüchterung hinsichtlich des Neubaus zu beobachten ist, der weder architektonisch noch städtebaulich, noch auch qualitativ den Minimalforderungen entspricht, ist das geplante Assanierunigsge9etz — das ganz von der Mentalität der totalen Stadterneuerung und einem naiven Glauben an die Unfehlbarkeit der modernen Architektur beherrscht wird — antiquiert, ja geradezu reaktionär. Wegen seiner schlechten Schall- und Wärmedämmung, seiner Kasernenhaftigkeit, seiner schlechten Raumeinteilung und -proportionierung, seinen schlecht eingepaßten Fenstern usw. erweist sich ein nicht unbeträchtlicher Teil der Neubauten als Fehlkonstruktionen, deren nachträgliche Sanierung wahrscheinlich teurer käme als die Modernisierung vieler Althäuser.

Wenn auch ein oder der andere Fehler bei künftigen Bauten angeblich unterbleiben wird, so haben wir deshalb noch lange keine Garantie dafür, daß der Neubau von nun an so hochwertig sein wird, um die De-tnolierung einer durchaus sanier-baren Althaussubstanz um seinetwillen zu rechtfertigen. Wahrscheinlieh ist vielmehr, daß auch in Hinkunft der Neubau zum Großteil ebenso billig und unzulänglich wie bisher sein wird.

Diese Mängel sind ja nicht dadurch entstanden, daß im Wohnbau — wie heute manchen Leuten scheinen mag — lauter Idioten und Kor-ruptionisten am Werk waren, sondern sie sind dem ganzen Baukonzept immanent. Und wenn tatsächlich da und dort eklatante Inkompetenz in der Bauführung und gewisse Unregelmäßigkeiten bei der Abwicklung eingetreten sein sollten, so wurde dies durch das falsche Konzept entschieden begünstigt.

Dieses falsche Konzept ist aber gerade die Idee der Totalerneuerung, die zum Bau von Quantität statt von Qualität zwingt: Es muß möglichst rasch eine möglichst große Wohnbauleistung realisiert werden, um erstens den Politikern zu ihren Erfolgszahlen zu verhelfen und um zweitens das berechtigte Streben breiter Bevölkerungsschichten nach mehr modernem Wohnkomfort zu befriedigen, dessen Einbau in Althäuser durch die herrschende Gesetzgebung geradezu verhindert wird. Nur durch Revitalisierung der Althaussubstanz könnte die Neubautätigkeit so entlastet werden, daß das Augenmerk von der Quantität auf die Qualität verlagert werden könnte.

Eine Stadterneuetung durch Neubau würde aber eine Vervielfachung der bisherigen Bauleisturiig — und Budgetbelasturug — erfordern, sofern auf diese Weise der qualitative Wohnbedarf in absehbarer Zeit einigermaßen, wenngleich letzten Endes erst wieder unzulänglich, gedeckt werden soll. Schon aber die jetzige Bautätigkeit belastet Staatshaushalt und Arbeitsmarkt aufs äußerste und ist ein gravierender Inflationsfaktor.

Das wahrscheinlichste ist daher, daß das Assanierungsgesetz an der bisherigen Entwicklung nichts ändern wird. Sein wahrer Zweck ist auch kein sozialer, sondern ein Stück Gesellschaftspolitik: Die Entprivati-sierung des Haus- und Grundbesitzes soll noch rascher und noch effektiver als bisher vorangetrieben, die Abhängigkeit des Staatsbürgers von den Beherrschern des staatlichen und kommunalen Apparats noch weiter verstärkt werden.

Die Opposition sollte es sich daher gründlich überlegen, zum Handlanger solcher Aspirationen zu werden. Sie sollte es lieber der Regierungspartei überlassen, ein reduziertes Gesetz im Alleingang ohne Verfas-isunigsbestimmungen zu beschließen, als ihr Placet zu — noch dazu unbefristeten — Verfassungsklauseln zu geben, die dann so gut wie nie mehr zu eliminieren sein werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung