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Versöhnung mit der Geschichte

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Worin liegen diese Gemeinsamkeiten, die im Volke das so notwendige Staatsbewußtsein untermauern? Die übergroße Mehrheit der Österreicher bekennt sich zur demokratischen Republik Österreich in ihrer Eigenstaatlichkeit in den bestehenden Grenzen ...

Diese Gemeinsamkeit in der wichtigsten Frage unserer Innenpolitik wird unseres Erachtens den so ersehnten Schlüssel zu einer der wichtigsten Fragen, ohne deren Lösung ein wirklich gesunder und echter Patriotismus nicht entstehen kann, liefern. Wir meinen damit das Entstehen einer gemeinsamen Würdigung unserer eigenen Vergangenheit. Es wird allen Österreichern möglich sein, mit Stolz auf eine große Vergangenheit zurückzublicken, wenn sie sich über die gemeinsamen Grundlagen der Gegenwart einig sind.

Auch andere Völker haben ähnliche Schicksale gehabt wie wir. Nehmen wir doch das Beispiel Schwedens, das einmal die nordische Großmacht war und heute mit seiner Bevölkerung von 8.000.000 die Existenz eines innerlich gefestigten Kleinstaates führt. Wir sind überzeugt davon, daß man in den Schulen Schwedens den Kindern ein leuchtendes Bild des großen Königs Adolf gibt.

Warum soll man sich bei uns der historischen Leistungen der Habsburgerkaiser schämen? Warum soll man nicht endlich auch anerkennen, daß die Monarchie unter Kaiser Franz Joseph trotz aller Schwierigkeiten eine letzte Periode des äußeren Glanzes erlebt hat? Nicht mehr, aber auch nicht weniger verlangt die Gegenwart von uns.

Ein zweiter Punkt, über den wir alle einig sind, betrifft die Stellungnahme zur uneingeschränkten Freiheit des Individuums, zum Rechtsstaat mit allen seinen Konsequenzen und der Ablehnung jeder wie immer gearteten Diktatur.

Des weiteren scheint es uns, daß die übergroße Mehrheit des österreichischen Volkes sich zu den Grundgedanken des Wohlfahrtsstaates bekennt; das Recht aller Interessensgruppen und Klassen der Gesellschaft auf einen entsprechenden Anteil am Volkseinkommen ist anerkannt, die Verpflichtung der Gemeinschaft, für die Alten und Kranken zu sorgen, wird von keiner ernstzunehmenden Gruppe bestritten. Das Recht auf Arbeit oder staatliche Unterstützung ist unbestritten. Der Gedanke der Verstaatlichung erregt keine grundsätzliche Opposition mehr, wiewohl es gewiß Meinungsverschiedenheiten über die Art und Weise der Verwaltung und Finanzierung der „Nationalindustrie" gibt und geben wird.

Und last but not least das Verhältnis zwischen Kirche und Staat stellt für die große Masse des österreichischen Volkes keinen Streitpunkt mehr dar.

Man könnte verlockt sein zu fragen, wenn man diesen wirklich imponierenden „Katalog der Gemeinsamkeiten" liest, warum wir nicht die Schaffung einer „Einheitspartei" propagieren. Wir sind weit entfernt, dies zu tun.

Die Existenz einer Anzahl von Gemeinsamkeiten bedeutet keineswegs, daß die politische Auseinandersetzung überflüssig wird. Gerade das Gegenteil ist richtig. Sie ermöglicht erst einen sinnvollen politischen Kampf. Auch wenn man die Grundgedanken des Wohlfahrtsstaates akzeptiert, bleiben die entscheidenden Fragen nach der Verteilung des Sozialprodukts offen und müssen in täglicher Auseinandersetzung gelöst werden. Aber auch andere konkrete Probleme und Fragen harren der Lösung. Wer könnte doch wohl behaupten, daß unser Wohnungswesen nicht reformbedürftig ist oder unser Gesundheitsdienst, oder die durch die ständig komplizierter werdenden Formen der Verwaltung bewirkte Ohnmächtigkeit des Staatsbürgers nicht nach Reformen heischt, die den Menschen das größte Maß an Freiheit im Rahmen der Gemeinschaft sichern...?

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