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Digital In Arbeit

VERSTECKTE GEFAHR AM SCHREIBTISCH

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Die Auffassung, wonach bei Büroarbeit keine gesundheitlichen Schäden entstehen können, ist längst überholt. Durch Mängel in der Arbeitsorganisation bedingt durch Streß, kann die Gesundheit der Arbeitnehmer ebenso geschädigt werden, wie durch Schadstoffe, die von Büromöbeln und verwendeten Materialien ausgehen.

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Die Auffassung, wonach bei Büroarbeit keine gesundheitlichen Schäden entstehen können, ist längst überholt. Durch Mängel in der Arbeitsorganisation bedingt durch Streß, kann die Gesundheit der Arbeitnehmer ebenso geschädigt werden, wie durch Schadstoffe, die von Büromöbeln und verwendeten Materialien ausgehen.

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In den sechziger Jahren waren „Bürosäle” hoch im Kurs. Mit Argumenten, wie Abbau von Hierarchien, mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit, wurde diese Idee, aus Amerika kommend, in Europa verkauft. Die erhofften Erfolge mit den Großraumbüros sind nicht eingetreten.

Das Großraumbüro ist aufgrund des höheren Ausstattungsstandards meist in Verbindung mit dem Erfordernis einer Klimaanlage in der Anschaffung teurer als andere Büro typen. Die Betriebskosten sind durch allfällig notwendige Klimatisierung und zusätzliche Beleuchtung höher.

Aus einer deutschen Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung geht hervor, daß nur 1,7 Prozent aller befragten Arbeitnehmer bei der Wahl ihres Arbeitsplatzes auch in einem Großraumbüro arbeiten würden.

Das kommt nicht” von ungefähr, denn das Großraumbüro birgt eine Fülle von Problemen in sich. Die fehlende Intimsphäre und das Gefühl der ständigen Überwachung beeinträchtigen die Arbeitszufriedenheit. Ebenso ist die individuelle Regelbarkeit der klimatischen Bedingungen, wie sie zum Beispiel durch das Offnen der Fenster erfolgen kann, zumeist wegen der Klimaanlage nicht möglich. Die insgesamt schlechteren Arbeitsbedingungen und der Mangel an Arbeitszufriedenheit beeinflussen den Gesundheitszustand. Atem- und Verdauungsbeschwerden, häufige Kopfschmerzen und so weiter sind die Folgen.

Die Büroarbeit ist im Großraum nicht effizienter, nicht rationeller und auch nicht wirtschaftlicher geworden. Großraumbüros sind heute funktional überholt.

„Chemie” im Büro

Die Diskussion über die Verwendung und Einwirkung von chemischen Arbeitsstoffen hat auch den Verwaltungsbereich erfaßt. Durch die Umweltdiskussion hellhörig geworden, werden sich auch Angestellte mehr und mehr der Gefahr bewußt, die schädliche Arbeitsstoffe für ihre Gesundheit darstellen.

Die meisten Kopierverfahren benötigen Stoffe wie Ruß, thermoplastische Kunstharze und Eisenoxidfarben. Ruß kann aromatische Kohlenwasserstoffe enthalten. Pro Fotokopie werden zu Kühlzwecken bis zu

100 Liter Luft durch das Gerät gesaugt. Durch die Ultraviolett-Strah-lung bei der Belichtung und durch die benötigte Hochspannung entsteht beim Kopiervorgang Ozon.

Als Vorsorgemaßnahmen empfehlen die Wissenschafter:

□ Die Hersteller sollen in einem Sicherheitsdatenblatt die Inhaltsstoffe genau bezeichnen.

□ Der Kopiervorgang soll in einem geschlossenen System erfolgen, um das Einatmen von schädlichen Stoffen und den Hautkontakt mit ihnen zu verhindern.

□ Die Kopiergeräte müssen in gut durchlüfteten und ausreichend großen Räumen aufgestellt werden.

□ Die Geräte sind mit einem Ozonfilter auszurüsten und mit einer Absauganlage zu versehen.

Toxische Materialien

Bei Kopierleistung bis zu 30.000 Kopien pro Tag, schlechten Raumbedingungen und unzureichender Lüftung treten Befindensstörungen der Beschäftigten auf; Geruchsbelästigungen, trockener Mund, trockene Nase, Kopfschmerzen und so weiter.

Klebstoffe, Korrekturstoffe samt Verdünner und Faserstifte mit wasserunlöslichem Bindemittel sind auf fast jedem Schreibtisch in Verwendung. In diesen Materialien finden sich viele versteckte Gefahren. Lösungsmittel wie 1.1.1-Trichlorethan, Toluol, Xylol sind auch in kleineren Mengen gefährlich. Sie alle wirken entfettend auf der Haut und unter Umständen schleimhautreizend. Beim Einatmen können sie auch toxische Wirkungen zeigen.

Bei Produkten, die aromatische Kohlenwasserstoffe enthalten, wie beispielsweise Xylol, Toluol oder chlorierte Kohlenwasserstoffe (zum Beispiel 1.1.1-Trichlorethan), muß damit gerechnet werden, daß sich die Kohlenwasserstoffe zersetzen. So kann aus 1.1.1-Trichlorethan, das Bestandteil in einigen Korrekturflüssigkeiten ist, in der Flamme einer Kerze oder in Zigarettenglut Phosgen und Salzsäuregas werden. Phosgen gilt als starkes Reizgas und wurde im Ersten Weltkrieg als Kampfgas eingesetzt.

Die Packungsaufschrift „enthält 1.1.1 -Trichlorethan, unbrennbar” legen viele Arbeitnehmer dahin aus, daß das Rauchen nicht verboten sei.

Als Vorsorgemaßnahmen empfehlen die Wissenschafter:

□ Ersatz der lösungsmittelhaltigen Büromaterialien durch Produkte auf wäßriger Basis. Oft erfüllen Klebstoffe auf Natur-Leim-Basis oder auf der Basis natürlicher Harze den gleichen Zweck. Auch Korrekturstoffe und Faserstifte auf Wasserbasis mit etwas längeren Trocknungszeiten sind bereits auf dem Markt.

□ Arbeiten mit lösungsmittelhaltigen Produkten dürfen nur in gut durchlüfteten Räumen durchgeführt werden.

□ In diesen Räumen sollte nicht geraucht und offene Flammen (zum Beispiel durch Adventkranzkerzen) sollten vermieden werden.

□ Die Gefäße, Tuben, Stifte und so weiter sind nach Gebrauch immer zu verschließen.

□ Das Einatmen von Lösungsmitteldämpfen und der Hautkontakt mit lösungsmittelhaltigen Produkten ist zu vermeiden. Das bedeutet auch, daß Klebstoffe nicht mit den Fingern verstrichen und daß Verdünner nicht zum Reinigen von Korrekturflecken auf Haut oder Kleidung benutzt werden dürften.

In den letzten 20 Jahren hat das Reaktionsdurchschreibepapier, auch Selbstdurchschreibepapier genannt, breite Verwendung gefunden.

Arbeitnehmer, die täglich längere Zeit mit Sortier-, Zähl- oder Ablegearbeiten von Belegsätzen oder Reaktionsdurchschreibepapier beschäftigt sind, klagen über verschiedentliche Befindens- und Gesundheitsstörungen. Diese sind: Hautreizungen unspezifischer Art mit Rötungen und Juckreiz an den Händen, Unterarm und Gesicht, Reizungen der Schleimhäute an Augen und oberen Atemwegen sowie Hustenreiz. Eine Analyse am Institut für Hygiene an der Universität Äarhus in Dänemark ergab, daß diese Papiere über 40 schädliche Stoffe enthalten. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, welche Inhaltsstoffe oder Stoffkombinationen für die verschiedenen Symptome verantwortlich gemacht werden können.

Papier ist nicht gleich Papier

Vorsorglich ist durch organisatorisch-technische Lösungen zu vermeiden, daß Arbeitnehmer besonders lange oder gar ausschließlich mit solchen Papieren arbeiten müssen. Ist das nicht möglich, ist sicherzustellen, daß Papiere verwendet werden, die frei von schädlichen Stoffen sind.

Zusammenfassend ist zu sagen, daß die Summe der Einzelbelastungen durch Schadstoffe im Büro unterschätzt werden. Leider werden gefährliche Arbeitsmittel allzu häufig recht sorglos eingekauft und auch verwendet.

Fachleute schätzen, daß bereits die Hälfte aller Arbeitnehmer in den entwickelten Industrieländern regelmäßig an Bildschirmgeräten arbeitet. Zahlreiche Untersuchungen weisen auf die vielfältigen Belastungen und Beanspruchungen hin, die mit der Bildschirmarbeit- verbunden sind (siehe nebenstehenden Kasten). Ernsthaft wird vor gesundheitlichen Schäden gewarnt, die dann eintreten, wenn der Arbeitsplatz, die Arbeitsumgebung und die Arbeitsorganisation nicht menschengerecht gestaltet sind.

Alles in allem zeigt sich, daß das „gesunde” Büro beileibe noch keine Selbstverständlichkeit ist. Der Autor ist Leiter der Abteilung für Arbeitnehmerschutz in der AK Wien. •

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