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Versteht man unter Europäischer Gemeinschaft die Tatsache, daß eine Deutsche mit einem Engländer ineinem französischen Bett schläft? Zarko Petan

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Von Marion Jerschowa

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Von Marion Jerschowa

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Wir haben es geliebt. Seine Farben! Seine Gerüche! Vor allem aber sein unvergleichliches Meer! Das ganze Jahr über haben wir uns hingeträumt, und wenn es dann soweit war, dann konnten wir nicht schnell genug unten sein. Unten, das war dort, wo man für seine sauer verdienten D-Mark und Schillinge so ziemlich alles haben konnte, was der Mensch des Nordens vom Urlaub im Süden erwartete: Segeltöms, Nobelhotels, einsame Buchten, ordentliche Campingplätze, idyllische Landschaft, gute Straßen, volle Geschäfte, Gastfreundschaft.

Wir konnten also nicht schnell genug unten sein. Die viele hundert Kilometer lange Straße, die sich wand durch liebliche Weinberge erst, durch knochenweißen Karst später, Stunde um Stunde, Pässe hinauf, Pässe hinunter, immer karger das Grün, immer magerer das weidende Vieh. Und doch, wie vertraut die staubigen Ortsdurchfahrten, die klapprigen Pferdefuhrwerke, die verlotterten Läden. Da und dort ein Minarett, Frauen in Pluderhosen, Männer mit Betschnüren zwischen den schwieligen Fingern. In einer Raststätte schnell schnell ein Scha-schlyk frisch vom Grill hinuntergewürgt, und weiter: Kinder mit Käselaibchen am Straßenrand, Melonenberge, handgeschriebene Pappschilder an Gartenzäunen, die zum Eintreten und Bleiben aufforderten, wenigstens für eine Nacht: Cima! Cima!...

Selbst der Dreck hat uns gerührt, die Schlamperei, die Schummeleien am Markt. Auch die fremde Sprache. Die breiten, perlenden Laute, die an uns abglitten, ohne uns zu berühren, sie hatten etwas von der Sprödigkeit der sonnenverbrannten Erde, ihrem Geruch an sich, und dem Trotz der Fe-stungsmauem uralter Küstenstädte.

Wir haben Freundschaften geschlossen, Kaffee geschmuggelt, Häuser gekauft. Wir sind zu verfallenen Gehöften aufgestiegen, vor denen alte Frauen wie große schwarze Vögel hockten und aufs Meer hinunterschauten, haben einsame Inseln in Besitz genommen und den Fischern beim Knüpfen ihrer Netze zugesehen. Am liebsten aber saßen wir abends weintrinkend in den kleinen Tavernen, und wenn die Einheimischen ihre manchmal ausgelassenen, manchmal sentimentalen Volksweisen anstimmten, dann wurde uns so warm ums Herz, wie schon lange nicht mehr. Dann beneideten wir diese Menschen um ihr herrliches Land und träumten davon, uns einmal, vielleicht in der Pension, hier niederzulassen.

Ja, so war das noch bis vor kurzem. Und jetzt? Panzer in unseren Straßen! Soldaten in unseren Hotels! Bomben auf unseren Traum! Es darf nicht wahr sein! sagten wir und liefen ins nächste Reisebüro. Wir wollten doch auf Urlaub fahren!... Bedaure, sagt die junge Angestellte. Aber wir haben Jugoslawien aus unserem Programm genommen. Nein sowas! Ach, sagte die Angestellte und reichte uns mit charmantem Lächeln den Reisekatalog. Sie müssen deswegen doch nicht auf Ihren Urlaub verzichten. Wir haben genug Alternativen im Angebot.

Schüsse statt Lieder Nein, wir ließen uns nicht mit Alternativen abspeisen. Wir dachten daran, wie schön es dort unten jetzt sein mußte so ganz ohne Touristen und machten uns auf eigene Faust auf den Weg. Wir kamen nicht weit. Denn was uns hinter der Grenze erwartete, hatte nichts mit Urlaub zu tun. Das waren Barrikaden und Flüchtlinge und Ruinen. Waren Schüsse statt Liedern, war Blut statt Meer.

Wieder zu Hause, liefen wir ins Reisebüro und buchten diesmal eben ein anderes Land, eine andere Küste. Irgendwo muß der Mensch doch Urlaub machen. Zwei Wochen später ist die Welt wieder in Ordnung. Segeltöms, Nobelhotels, einsame Buchten, in denen sich zwar halb Europa tummelt, aber zumindest sind die Leute friedlich und werden nur rabiat, wenn an der Strandbar das kalte Bier ausgeht, während die da unten...

Die dort unten... Wovon lebt unser Branko eigentlich jetzt, wenn ihm niemand mehr seine mickrigen Fische abkauft? Und was macht Zoran, kann er denn überhaupt noch zu seinem Inselhaus, er hat doch sein letztes Geld da hineingesteckt? Die Abende auf seiner Terrasse!... Die Anica von nebenan, ihr Lachen war im ganzen Dorf zu hören... Und was ist mit Vesna? Ist ihr Sohn eingezogen worden? Sprach sie nicht einmal davon, wenn es losginge, würden sie abhauen, irgendwohin. Wurde nicht immer davon gesprochen, lag nicht immer schon diese Angst in der Luft? Die Worte Militärputsch, Bürgerkrieg, wie oft eigentlich in all den Jahren gehört? Also jetzt, rückblickend...

Ach was, haben wir gedacht, es wird schon nicht so schlimm werden, Europa ist nicht Afrika, und uns vom Bauch auf den Rücken gedreht, damit wir ja schön gleichmäßig braun werden. Ja, und jetzt sind wir also vom Urlaub zurück. Vor uns liegt ein weiteres Jahr des sauren Geldverdienens. Bloß wovon sollen wir nun träumen? Die machen da unten doch tatsächlich unser Ferienparadies kaputt und kommen nun in Scharen herauf! Wie stellen sie sich das eigentlich vor?

Zum ersten Mal, seit er sich erinnern könne, hat ein Bekannter, der wegen der andauernden Seeblockaden wochenlang auf unserer Insel festsaß, unlängst geschrieben, hätten die Leute ihre Lavendelfelder nicht abgeerntet, den ganzen Sommer über hätte man überall bis hoch hinauf in die Felsen nur ihre gebückten Gestalten gesehen, alles Eßbare hätten sie gesammelt, eingelagert, eingelegt und getrocknet, Beere für Beere, Hainichen für Hälmchen, und wer einen Weinkeller besessen habe, der hätte ihn mit Sandsäcken zum Luftschutzkellerumfunktioniert wegen der Bomben. Der Anica ihren Mann habe es übrigens erwischt...

Bomben auf unsere Insel!... Das Meerblau unten und das Himmelblau oben, dazwischen, weißglühend, der Fels. Zikadengekreisch, Lavendelduft. O, wie haben wir es geliebt!...

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