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Verstimmung und Stimmungsmache

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Beim „rollenden Einsatz” zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Israel und Österreich wurden auch Fragen aufgerollt, die mit den Kriegsjahren nichts zu tun haben.

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Beim „rollenden Einsatz” zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Israel und Österreich wurden auch Fragen aufgerollt, die mit den Kriegsjahren nichts zu tun haben.

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Nicht zufällig besuchten Anton Benya, Walter Schwimmer (FURCHE 27/1987) und ich vor einigen Wochen Israel. Es gab da alte Einladungen für Benya von der Histadrut und dem Präsidenten der Knesset. Die einen wollten sich von ihm als ehemaligem Parlamentspräsidenten mit Verspätung verabschieden, die anderen als Präsident des österreichischen Gewerkschaftsbundes etwas verfrüht.

Walter Schwimmer nahm an einem Kongreß für die Befreiung der Sowjetjuden teil, und ich hatte Einladungen, über Gemein-schaftsforschungsprojekte von österreichischen und israelischen Wissenschaftern zu berichten. Dann gab es Einladungen zu einigen Vorträgen und natürlich auch eine Einladung des israelischen Gewerkschaftsbundes. Mit einigem Geschick im Timing - so dachten wir — könnte versucht werden, im „rollenden Einsatz” etwas für die Verbesserung des Verhältnisses Israel—Österreich zu tun, das ja durch die „Affäre Waldheim” schwer belastet schien.

Daß das Verhältnis Österreich— Israel nicht problemfrei sein kann, liegt auf der Hand. Man darf nicht vergessen, wie eine dieser Gemeinschaftsstudien von Professor Yehoshua Liebermann gezeigt hat, daß 40 Prozent der in Israel lebenden Einwanderer aus Europa nahe Verwandte im Holo-kaust verloren haben.

Am Ende der Kreisky-Ära geriet auch das Verhältnis zu den arabischen Staaten und arabischen Organisationen außer Kontrolle. Was ursprünglich als Besänftigungsaktion und Ablenkungsmanöver gedacht war, um .die sowjetischen Juden gefahrlos über Österreich nach Israel bringen zu können, hatte sich verselbständigt. Umarmungen mit Jassir Arafat und Muammar el Gadhafi wurden von den Fernsehgesellschaften amerikanischen und israelischen Familien ins Haus geliefert — auch gerade kein Beitrag zur Verbesserung des Verhältnisses Österreich—Israel und Österreich-USA.

Benya, Schwimmer und Kienzl wurden in Israel äußerst freundlich aufgenommen. Von Haß, Ablehnung oder auch nur hemmungsloser Kritik war keine Spur. Freilich, als ich im Rahmen der Forschungsprojektpräsentation in einer Pressekonferenz mit etwa zwanzig Vertretern von Printmedien und elektronischen Medien, wie es heute so schön heißt, über die Probleme der Inflation in Israel, die Technologie-phobie in unseren beiden Ländern, die Möglichkeiten der Arbeiterpartizipation im Dienstleistungssektor und im warenproduzierenden Sektor und über andere Forschungsprojekte sprach, am Rande auch eine Studie über den Antisemitismus in Österreich erwähnte, wurde mit keiner einzigen Frage der Hauptgegenstand, nämlich das zukunftsträchtige Forschungsprogramm, aufgegriffen, aber fast eine Stunde über Antisemitismus in Österreich diskutiert. Das Interesse war enorm und zeigte mir wieder einmal, wie offen die Wunden sind, die das verbrecherische NS-Regime geschlagen hat.

Klarerweise kann man als Österreicher nicht nach Israel fahren und noch dazu dort Vorträge halten, ohne auf das „Problem Waldheim” angesprochen zu werden. Vorweg sei festgestellt, daß ein brennendes Interesse an den Ergebnissen der Historikerkommission besteht. Ich habe mit ungefähr 100 Personen gesprochen, vom Präsidenten des israelischen Gewerkschaftsbundes bis zu Ex-Österreichern in Haifa, keiner hat Kurt Waldheim für einen Kriegsverbrecher gehalten, und trotzdem stehen sie ihm ablehnend bis feindselig gegenüber. Wie erklärt sich das?

Natürlich nicht aus der Tatsache, daß Waldheim über seine Tätigkeit am Balkan geschwiegen hat oder bei der Reiter-SA war, vielleicht um nicht aus der Schule hinauszufliegen, beim Reichsstudentenbund, um wahrscheinlich Befürwortungen für Studienurlaube zu bekommen.

Es war der ehemalige Generalsekretär der UNO, der durch seine Äußerungen und Handlungen in dieser Funktion die Gefühle der Juden in der ganzen Welt schwer verletzt hat, vielleicht ohne es wirklich zu wissen und wahrscheinlich auch nicht aus eigenem Antrieb. Da gab es die Verurteilung der Befreiungsaktion jüdischer Geiseln arabischer Terroristen in Entebbe als völkerrechtswidrig, da hat er die Zionismus-Rassismus-Resolution präsentiert, dann gab es den Einzug mit Jassir Arafat in der UNO und das Betreten von Yad Washem ohne Kopfbedeckung.

Vielleicht dachte Waldheim als Katholik, daß man einen den Juden so heiligen Ort ohne Kopfbedeckung betreten müsse, vor dem Felsenstück von Golgatha setzt man sich ja auch keinen Hut auf. Aber die Juden haben das als schwere Beleidigung empfunden. Ich gebe zu, als NichtJude und Nichtkatholik kann ich das nur verstehen, aber nicht nachempfinden.Kurt Waldheim machte den Fehler, in seiner Biographie seine Kriegsjahre am Balkan auszulassen. Was immer die Gründe gewesen sein mögen, seine Gegner und auch seine skeptischen Beurteiler mußten natürlich denken, „Aha, da hat er etwas zu verbergen, vielleicht Kriegsverbrechen”. Und dann wurde nach den Kriegsverbrechen des Kurt Waldheim geforscht.

Die amerikanische Sensationsjournalistik, die ja wie eine Wolfsmeute jeden Politiker, den sie einmal zu hetzen begonnen hat, auch killen möchte, peitschte die Emotionen gewaltig auf. Auch jene Personen, die wahrscheinlich gutgläubig einen Feind Israels und einen Feind der Juden aufgespürt zu haben glaubten, der

Kriegsverbrechen begangen hatte, konnten oder wollten diese Position nicht aufgeben und bastelten, nachdem die angekündigten Dokumente nie beigebracht werden konnten, eine Rechtfertigungsideologie. Äußerungen von Parteifreunden des Bundespräsidenten und auch seine eigenen Handlungen und Stellungnahmen lieferten dafür eine vortreffliche Basis.

Wenn man die Problematik Juden und Waldheim, Israel und Waldheim richtig beurteilen will, darf man nämlich eines nicht übersehen: Für die Juden der ganzen Welt ist Israel zumindest eine Art Fluchtburg, ein Staat, der einen aufnimmt, wenn man verfolgt wird. Das grauenhafte Erlebnis der Judenverfolgung, vor allem in der Nazi-Zeit, sitzt allen, auch den Nachkommen, in den Knochen, und auch die arabischen Juden wurden — was man ja in Israelkritischen Kreisen zu gerne vergißt — aus den arabischen Ländern vertrieben und konnten oft gerade mit Mühe und Not durch heillose Flucht ihr Leben retten. Ich kenne einige derartige Schicksale. Wer nun die Existenz dieser Fluchtburg, und sei es auch nur durch papierene Resolutionen oder Reden, in Frage stellt, muß mit feindseligen Gegenaktionen rechnen.

Was nun die westeuropäische Presse anbelangt, ihre Haltung zu Österreich und natürlich zu Waldheim, nicht zuletzt aber die der USA und Kanadas, spielen da auch die eigenen Schuldkomplexe eine gewisse Rolle. Das reicht von der Behauptung, „das Boot ist voll”, die die Schweizer auch nicht ihrer jahrhundertelang gerühmten Tapferkeit nachlebend gegenüber den Flüchtlingen aus dem Großdeutschen Reich aufstellten, bis zu den kanadischen Gewerkschaften, die erklärten, sie könnten die Juden nicht ins Land hereinlassen, da es an Arbeitsplätzen mangle.

Und dann gab es auch noch die USA, die arme Juden nicht ins Land lassen wollten und den Nachweis verlangten, daß jemand für die Flüchtenden sorgen müsse.

Mit solchen eigenen Schuldkomplexen wird man natürlich am leichtesten fertig, wenn man einen Hauptschuldigen findet, und der sind natürlich die Österreicher und die Deutschen der späten dreißiger und frühen vierziger Jahre. All das soll nicht die relativ geringe Schuld der Europäer und Nordamerikaner der späten dreißiger und frühen vierziger Jahre vergrößern und vermindert nicht die Schuld der Deutschen und Österreicher dieser Generation, es ist nur eine Erklärung für die Reaktionen.

Der Autor ist Generaldirektor der Osterreichischen Nationalbank.

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