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Versuchung der Macht

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Politiker und Journalisten unterliegen oft der Versuchung der Macht. Eine freie Berichterstattung verlangt aber hohes Verantwortungsbewußtsein aller Mitarbeiter in den Medien.

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Politiker und Journalisten unterliegen oft der Versuchung der Macht. Eine freie Berichterstattung verlangt aber hohes Verantwortungsbewußtsein aller Mitarbeiter in den Medien.

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Wir stehen in einem in seiner Intensität wechselnden, aber in der Regel doch sehr ernsten Spannungsverhältnis zueinander. Wir, das sind Sie, die Verantwortung in den Medien tragen, und das sind wir, die in einer politischen Verantwortung stehen. Wir alle haben eine gemeinsame Basis, auf die wir stolz sind: Es ist das Wissen um die absolute Notwendigkeit der Freiheit der Meinungsäußerung in allen Medien, als Wesensmerkmal unserer Staaten. Die Gemeinsamkeit dieser Basis unterscheidet uns von anderen gesellschaftlichen Systemen. Den hohen Wert dieser gemeinsamen Basis glaube ich aufgrund eigener Lebenserfahrung in den Jahren 1934 bis 1938 in Österreich, 1938 bis 1945 im nationalsozialistischen sogenannten Dritten Reich und 1967 bis 1970 in einem Staat des kommunistischen Gesellschaftssystems zu kennen.

Der Spannungszustand, den wir trotz dieser beglückenden Gemeinsamkeit oft sehr stark fühlen, scheint somit entweder in einer verschiedenen Deutung des Begriffes der Freiheit oder im Gebrauch dieser Freiheit zu liegen. Es ist dabei für uns wohl nur ein geringer Trost, daß diese Erkenntnis nicht neu ist. Goethe schrieb in seinen Reflexionen, daß „die Deutschen der neueren Zeit“ — er meinte damit natürlich seine Generation — „nichts anderes für Denk- und Redefreiheit halten, als daß sie sich einander öffentlich mißachten dürfen“.

Quillt ein erheblicher Teil der Medien nicht auch heute noch — oder heute mehr denn je — über von diesem öffentlich-mißachten-Dürfen? Natürlich ist die Kritik am Bestehenden, an Zuständen wie an Personen, ein Wesentliches Attribut der Freiheit. Ich zähle auch bedingungslos zu jenen, welche die Auffassung vertreten, daß eine allgemeine, durch Gesetz erfolgte Grenzziehung etwa über den Umfang einer sogenannten sachlichen Kritik unmöglich ist und den Weg zum Ende der Freiheit vorbereiten würde; aber ich zähle zusätzlich zu jenen, die nicht zuletzt aus der Erfahrung der dreißiger Jahre die Gefahr kennen, die in einer permanenten Darstellung des Nur-Negativen — gleichsam als Norm des täglichen Lebens — für ein Volk, für die Demokratie und für den Staat gelegen ist. So stupid das Bild von dem Manne sein mag, der kontinuierlich an dem Aste sägt, auf dem auch er sitzt, so fern der Wirklichkeit ist dieses Bild nicht!

Ich bin mir natürlich bewußt, daß wir weder mit gängigen Gleichnissen noch mit Zitaten die bestehende Spannung entschärfen können. Dies ist wohl deswegen so schwer, weil es sich offenbar um ein Problem der Macht handelt, weil also vermeintliche oder tatsächliche Machtansprüche aufeinanderprallen. Macht ist und bleibt für viele eine tägliche Versuchung, sie uneingeschränkt zu genießen — für Politiker ebenso wie für Medien. Und manche mit großem medialen Aufwand geführte Kampagne, so sagten mir Insider, werde nur zu dem Zweck geführt oder fortgeführt, um zu zeigen, wer nun wirklich der Mächtigere sei, die Regierung oder eine Zeitung bzw. eine Rundfunkanstalt.

Das Thema „Politik und Macht“ kann heute hier nicht behandelt werden. Ihnen aber, den Vertretern der Massenmedien, will ich gerne gleichsam vom gegenüberhegenden Ufer her bezeugen: Man macht es Ihnen schwer, ein natürliches, nicht überdimensioniertes Gefühl zur Macht zu bewahren. Dies vor allem aus zwei Gründen:

Politiker ebenso wie Persönlichkeiten des Wirtschafts- und Kulturmanagements buhlen wohl fast täglich um Ihr Wohlwollen in einem Maß, daß es Ihnen nicht ganz leicht werden mag, persönlich nicht zu einem Zyniker, Spötter oder Menschenver-achter zu werden. Das aber hieße Ihre Macht voll zu genießen.

Die zweite ständige Versuchung, der manche von Ihnen ausgesetzt sind, ist die Reaktion Ihrer Leser. Die Sensation und die Anprangerung von Menschen, die man zumindest dem Namen nach kennt, ist ein Nervenkitzel, den der kontaktärmer gewordene Mitmensch nicht gerne missen möchte. Und so kommt eine Spirale der Manipulation in Gang, bei der erst die Zeitung für den Leser und dann der Leser für die Zeitung inhalt- und niveaubestimmend wird. Gestatten Sie mir dazu ein Beispiel:

Im Herbst 1973 erfolgte in Österreich ein Terroranschlag auf einen jüdischen Emigrantenzug aus der Sowjetunion. Die Bundesregierung versprach zur unblutigen Beendigung des Geiseldramas, daß das Durchgangslager Schönau geschlossen werde. Gleichzeitig bestand aber die Entschlossenheit, den jüdischen Emigrantentransfer weiterzuführen. Es erhob sich dennoch ein Aufschrei in den vielen Medien der freien Welt. Ich war damals als Außenminister bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York und erlebte das sogenannte Kochen der Volksseele vor dem österreichischen Generalkonsulat. Ich empfand es damals als einen für mich wenig glücklichen Zufall, daß ich bereits vor der Schönau-Affäre zu einem Press-Luncheon in New York eingeladen hatte, der etwa eine Woche nach dem Vorfall stattgefunden hat. Ich muß Ihnen die anfängliche Kälte der Atmosphäre nicht beschreiben. Schließlich gelang mir anhand von Unterlagen der Nachweis, daß durch österreichische Mitwirkung bis zu diesem Tag allein 117.000 jüdische Emigranten aus der Sowjetunion und anderen kommunistischen Staaten über Österreich in das Land ihres Wunsches, also nach Israel, aber auch nach den Vereinigten Staaten von Amerika gekommen waren. Ich konnte auch glaubhaft machen, daß Österreich auch weiterhin—und so ist es auch tatsächlich geschehen — zu aktiver Mithilfe für die Ausreise jüdischer Emigranten insbesondere aus der Sowjetunion bereit war. Schließlich bot sich mir aber auch die Möglichkeit, die österreichische Asylpraxis überhaupt darzustellen, die sich von der Asylpraxis des Zweiten Weltkrieges sehr stark abhob und aufgrund deren Österreich von der Wiedererlangung seiner Unabhängigkeit vom Jahre 1955 an bis zum Jahre 1973 rund 438.000 politischen Flüchtlingen als Erstasylland Zuflucht gegeben hat.

Daraufhin wich die ursprünglich frostige Stimmung einem fast harmonischen Gesprächsklima. Als am Ende noch drei Journalisten zu einem kleinen ergänzenden Gespräch bei mir blieben und mir versicherten, daß die ihnen gegebenen Fakten für sie neu gewesen seien und daß sie diese wertvoll fänden, da fragte ich aus einem vorschnellen Erfolgsgefühl heraus: „Werden Sie das auch morgen schreiben?“ Darauf kam die Antwort: „Nein, jetzt können wir das unseren Lesern nicht bringen, das wollen sie jetzt nicht lesen, aber in zwei Wochen, dann werden wir es tun.“ Ich gestehe, für mich ist damals ein Bild der freien Presse in einem freien Staat brüchig geworden. Ich habe lange gebraucht, darüber hinwegzukommen, vielleicht bin ich es noch immer nicht ganz.

Können Sie meiner Diagnose zumindest teüweise zustimmen, daß Aufeinanderprallen tiefgehender Machtinteressen eine der Ursachen für die bestehende Spannungssituation ist, dann kann ein Ausweg aus dieser Situation wohl nur dadurch gefunden werden, daß aufgrund eines freien Entschlusses von der Macht nur maßvoll Gebrauch gemacht wird, und zwar von allen Seiten her. Dies bedeutet gleichzeitig eine verantwortliche Nutzung der Freiheit. Die Grundwahrheit, daß es keine Freiheit ohne Verantwortung gibt, gilt eben auch im Medienbereich.

Der Beitrag ist ein Auszug aus der Rede von Bundespräsident Dr. Rudolf Kirchschläger anläßlich der 35. Generalversammlung des International Press Institute in Wien.

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