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Verteidigung heute
„Menschenmassen lassen sich zur Zeit nicht für Ziele auf die Straße bringen, die Außenminister Genscher ähnlich f o rmuli ert wie der Koordinierungsausschuß der Friedensbewegung.“ Mit dieser ernüchternden Einsicht verordnete sich das Bonner Friedensplenum eine Arjbeitspause - vorerst bis Herbst.
Mann! Stänner, Hauptamtlicher der deutschen Friedensbewegung, präzisiert das Problem, „daß die Menschen ihre Anliegen in der Abrüstungsafrage eher bei Gorbi und den politischen Parteien als bei sich selbst aufgehobenfühlen“. Eine Einschätzung, die auch Robert Jungk teilt, um sie gleichzeitig als „einen ganz gefährlichen Irrtum“ zu bezeichnen. Während der INF-Vertrag über die Vernichtung der Mittelstreckenraketen suggeriert, daß abgerüstet werde, wird in Wirklichkeit verstärkt „umgerüstet. ..auf sogenannte konventionelle Waffen“.
„Abgerüstet worden ist meiner Ansicht nach nur die Friedensbewegung.“ Diese Analyse präsentierte Jungk kürzlich vor Mitarbeitern der deutschen Friedensgesellshaft/ Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG/VK) inNordrhein-Westfalen. 1892 von Arthur Wilhelm Fried und Bertha von Suttner gegründet, spiegelt sie von Anfang an das Grunddilemma einer Bürgerbewegung wieder, die ihren radikalen Forderungen („Die Waffennieder“) durch Kongresse, Demonstrationen und Appelle mit einer Massenbewegung Gewicht verleihen möchte. Die aber auch weiß, daß dazu auch unermüdliche Lobbyarbeit bei den Mächtigen dieser Welt - und ihren noch mächtigeren Pohtbürokraten - erforderlich ist.
75 Jahre nach dem Tode der „Friedens-Bertha“ hat sich viel geändert - oder doch nicht? „Ihre“ DFG hat noch immer einen Flügel, der - vor allem mit den Sozialisten, aber auch mit Grünen - „seriöse Realpolitik“ betreiben will. Gerade die Konzeption einer Sicherheitspartnerschaft zwischen Ost und West, die deutlich in ein „gemeinsames Haus Europa“ einmündet, hat durch die Aufbrüche in der UdSSR, in Polen und Ungarn ihre Chance bekommen.
Daß den traditionellen Anti-Kriegsbewegungen mit ihrer Waf-fenzählerei die Augen auch für andere Bomben geöffnet wurden, ist nicht zuletzt das Verdienst der anderen Bürgerbewegungen in Ost und West. Konnte Anfang der achtziger Jahre ein hoher Sowjetdiplomat bei einer Friedensdiskussion in Wien noch überzeugt feststellen, daß seine Landsleute die wirtschaftliche Bürde einer Nachrüstung mit einigem Zähneknirschen doch noch tragen würden, so ist es jetzt radikal anders geworden.
Die Folgen der „Totrüstungspoli-tik“ des Westens gegenüber dem wirtschaftlich schwächeren Osten mit seiner katastrophalen Wirtschaftspolitik zeigen sich nun mit all ihrer Brutalitat. Die Qual der Wahl zwischen einem Kampf um radikale Gesellschaftsveränderung im Heimatland und dem resignati-ven Auswandern in den Westen treibt in diesen Tagen Flüchtlingsströme zu uns. Eine Landesverteidigung, die durch ihre Folgen auf Wirtschaft, Soziales, Bildung, Umwelt zu einer „Landesvernichtung“ entartet ist, wird dieses Mal durch Fakten in Frage gestellt, die mit dem Überleben der Menschheit als Ganzes zu tun haben. In Ost und West zeigen sich neue Bedrohungsfelder, die auch nach neuen Konzepteneiner „umfassenden Landesverteidigung“ rufen.
Nicht eine militärische Verteidigungsdoktrin brauchen wir, sondern eine „gewaltfreie, nichtmilitärische Form der Selbstbehauptung“, wie sie Roland Vogt vom deutschen „Bund für Soziale Verteidigung“ nennt.
Das Fundament dieser gemeinsamen, solidarischen „Selbstbehauptung“ könnte aus vier Säulen bestehen: Sozial-, Wirtschafts-, Umweltsund Friedenspolitik.
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