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Verteilter Dilettantismus

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Vor kurzem war die Bundesrepublik noch strahlender Gastgeber der Welt: trotz mancher Pannen in und um Olympia verzeichnete sie einen kräftigen Sympathiezuwachs. Auch die innenpolitischen Probleme und den Wahlkampf schien man zumindest für die Zeit der Spiele los zu sein. Nun aber, nach dem Terrorüberfall und der mißglückten Geiselbefreiung, steht dieses Land vor einem außenpolitischen Scherbenhaufen, dem sich fast auch ein innenpolitischer dazugesellt.

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Vor kurzem war die Bundesrepublik noch strahlender Gastgeber der Welt: trotz mancher Pannen in und um Olympia verzeichnete sie einen kräftigen Sympathiezuwachs. Auch die innenpolitischen Probleme und den Wahlkampf schien man zumindest für die Zeit der Spiele los zu sein. Nun aber, nach dem Terrorüberfall und der mißglückten Geiselbefreiung, steht dieses Land vor einem außenpolitischen Scherbenhaufen, dem sich fast auch ein innenpolitischer dazugesellt.

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Zum internen Konflikt trugen Äußerungen Bundeskanzler Brandts bei, die allerdings bald wieder dementiert wurden, aber doch zeigten, welche Sprengkraft dem Münchner Desaster auch im Inneren zukommt: Brandts Vorwürfe an die bayerische Regierung und ihre Sicherheitsbehörden, sie hätten bei der Befreiungsaktion Fehler gemacht und ein intensives Handeln von Bundesbehörden verhindert, wurden zwar später abgestritten und sind auch angesichts der Vorfälle — der Bundesinnenminister war ständig an der Aktion entscheidend beteiligt — nicht besonders logisch, zeigen aber, daß eine hektische Suche nach Schuldigen so kurz nach dem tragischen Geschehen mehr Schaden anrichten kann, als sie zur Klärung des Sachverhalts beiträgt.

Brandts später erhobene Forderung nach einer völligen sachlichen Aufklärung der Geschehnisse zeigte dann nicht nur, daß Brandt wieder seine Fassung gefunden hatte, sondern entsprach weitgehend der Meinung der besonnenen Beobachter und Kommentatoren des Vorfalls. Der Ruf nach einer solchen Untersuchung, die wohl von einer unabhängigen Kommission durchgeführt werden soll und in einem „Report“ ihren Niederschlag finden wird, ist bereits so stark geworden, daß an ihrem Zustandekommen kaum mehr zu zweifeln ist. Nur eine solche objektive Prüfung der Vorfälle kann, nachdem der erste Schock abgeklungen ist, die nun auch in der Bundesrepublik aufkommende Kritik an den Verantwortlichen und den von ihnen angeordneten Aktionen, aus dem Bereich des Emotionalen heraushalten.

Die ersten Reaktionen von Politikern nach den Münchner Vorfällen lassen es aber als unwahrscheinlich erscheinen, daß eine solche Untersuchung verhindern könnte, daß das Münchner Blutbad aus dem innenpolitischen Streit, und dieser ist in den nächsten Monaten ein überaus harter Wahlkampf, ferngehalten werden kann. Der unsichere Wahlausgang verleitet bereits jetzt die Wahlkämpfer, zu jedem erreichbaren Mittel zu greifen. Rainer Barzel hat bereits angekündigt, daß man „zu einem späteren Zeitpunkt“ den Fall erörtern werde. Auch ist es bekannt, daß in der CDU die Absicht besteht, den „Fall München“ in das Parlament zu bringen.

Die politische Konstellation, die bei den Münchner Entscheidungen gegeben war, läßt es allerdings als unwahrscheinlich erscheinen, daß der

Streit ein Suchen nach Schuldigen sein wird. Ein CSU-Landesinnenminister, ein FDP-Bundesinnenminister und ein SPD-Polizeipräsident gehörten dem Krisenstab an. Aus ihrem Fehlverhalten parteipolitisches Kapital zu schlagen, dürfte schwerfallen, da die Entscheidungen in Übereinstimmung fielen. Schließlich hatte sich zuletzt auch noch CSU-Vorsitzender Franz Josef Strauß dem Krisenstab angeschlossen, was den Christdemokraten und Strauß' eigener Partei Angriffe auf dieses Gremium, das die Verantwortung für das Vorgehen der Polizei trug, schwer, wenn nicht unmöglich macht. Eher schienen Brandts später zurückgezogene Äußerungen auf einen solchen parteipolitischen Streit hinzudeuten, da sie deutlich gegen die CSU und sogar den Innenminister der eigenen Koalitionsregierung gerichtet waren. Seither bemühen sich jedoch alle Seiten, diesen von Brandt in einer Phase der Erschütterung unüberlegt angezettelten Konflikt beizulegen. Nicht auszuschließen ist hingegen, daß die Oppositionsparteien die Aktion der arabischen Terroristen dazu benützen, die nach dem Erfolg der Baader-Meinhof-Fahndung etwas abgeklungene Debatte über die innere Sicherheit wieder aufleben zu lassen. Die Vorwürfe, daß die Regierung unfähig sei, den Terrorismus zu bekämpfen, wurden bereits wieder laut. Nur eine gewisse Solidarität wegen der Gastgeberrolle der Bundesrepublik während der Olympischen Spiele sowie die Verwicklung christlich-sozialer Politiker in die Affäre haben es verhindert, daß der Vorwurf der Schwäche und Unfähigkeit gegen die sozial-liberale Regierung neuerlich laut erhoben wird.

Eine gewisse Solidarität war es auch, die bisher verhindert hat, daß die Kritik von Seiten der Medien und der Bevölkerung am Mißlingen der Geiselbefreiung heftig wurde. Mit der zeitlichen Distanz zu den Ereignissen mehren sich zwar die Stimmen, die auf die offensichtlichen Fehler bei der Polizeiaktion hinweisen. Auch drängt sich Kritik angesichts des völligen Versagens auf. An der Grundsatzentscheidung, die Geiseln nicht in Händen der Terroristen außer Landes bringen zu lassen und zu versuchen, sie mit allen Mitteln zu befreien, wird kaum Kritik geübt.

Es ist in der Bundesrepublik bekannt, daß die hiesige Polizei nach anfänglichen Pannen dm Umgang mit Terroristen in den letzten Jahren geübter geworden ist. Allerdings wird hier vielleicht deutlicher als im Ausland auch der Unterschied zu allen diesen Fällen gesehen. Diesmal handelte es sich um politisch motivierte Fanatiker, die weder ihr eigenes

Leben noch das ihrer Geiseln zu schonen bereit waren. Alle ihre Handlungen zeigen in der Rekonstruktion eine Perfektion, die die Grundsatzentscheidung des Krisenstabes in den Augen der meisten Kommentatoren verständlich macht, den Dilettantismus in der Ausführung durch deutsche Polizisten aber schmerzlich erkennen läßt. An dieser unzureichenden Ausführung wird denn auch die meiste Kritik geübt und dieses Versagen wird, um so mehr Details bekannt werden und desto mehr Abstand zu den Ereignissen gewonnen wird, möglicherweise noch für die Verantwortlichen Folgen haben.

Den Vorwurf des Auslands, daß in Fürstenfeldbruck jedoch wieder einmal „typisch deutsch“, nämlich brutal und unverhältnismäßig hart und undifferenziert gehandelt wurde, empfindet man in der Bundesrepublik als ungerecht. Eher wird darauf verwiesen, daß der Dilettantismus der Polizeiaktion so gar nicht dem entspricht, was mit dem Wort „deutsch“ assoziiert wird: Sie war nicht gründlich vorbereitet, sie war alles andere als perfekt, sie war nicht vom Einsatz gigantischer Mittel geprägt (nur fünf Scharfschützen) und sie war in den Details schlecht durchdacht.

Geteilt wird hingegen die Kritik an der unglücklichen Informations-politik, die von der Bundesregierung (Konrad Ahlers) betrieben wurde. Besonders nachteilig wird bemerkt, daß mit optimistischen Äußerungen und Hinweisen auf ein Gelingen der Aktion das eigene Image kräftig aufpoliert werden sollte. Der Versuch, Wahlkampfmunition zu besorgen, war deutlich erkennbar. Die im nachhinein geradezu euphorisch anmutenden Äußerungen von Regierungsseite gehören hier ebenso dazu wie das Mitmischen von Strauß im Krisens'tab, in dem er als Parteivorsitzender reichlich wenig zu suchen hatte. Nur die allgemeine Beteiligung an der Aktion und das gemeinsame Verstricktsein in ihr Scheitern hat es bisher verhindert, daß diese unverantwortlich falsche Informationspolitik zum Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen wurde.

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