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Vertrauen in Wetter und Wunder

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Jahrelang sind die Deviseneingänge aus dem österreichischen Fremdenverkehr viel stärker angestiegen, wie die Devisenausgängp für österreichische Touristen. So konnte die österreichische Fremdenverkehrswirtschaft maßgeblich dazu beitragen, die rasch wachsenden Handelsbilanzdefizite auszugleichen. Im Jahre 1970 nahmen beispielsweise die Mehreingänge aus dem Fremdenverkehr um 38 Prozent zu, im Jahre 1971 trotz Schillingaufwertung nocįi um 25 %.

Erstmals kam es im Jahre 1974 zu einer Stagnation der österreichischen Fremdenverkehrseinnahmen. Die Rezession in der BRD, die das Hauptkontingent der Touristen stellt, wirkte sich auf Österreichs Fremdenverkehrswirtschaft negativ aus. Nach einer kurzfristigen Erholungspause im Jahre 1975 gingen 1976 die Nettoeingänge aus dem Reiseverkehr wieder zürück, obwohl die Deviseneingänge aus dem Fremdenverkehr um 8 Milliarden Schilling angestiegen waren, die Devisenausgänge hatten aber noch stärker, nämlich um 8,3 Milliarden Schilling, zugenommen. Der starke Schilling machte für die Österreicher Auslandsreisen billig.

Die Nettoeingänge aus dem Fremdenverkehr konnten daher 1976 nur noch etwas mehr als die Hälfte des Handelsbilanzdefizits abdecken, während in früheren Jahren 80 bis 90 Prozent die Regel waren.

Diese Entwicklung setzt sich 1977 leider fort. In den ersten fünf Monaten vergrößerte sich das Handelsbilanzdefizit um 5 Milliarden Schilling, die Nettoeingänge aus dem Fremdenverkehr stiegen nur etwas in den ersten drei Monaten, fallen aber seit April 1977, im Mai allein um 38 Prozent. Ein Rückgang der Fremdenverkehrsüberschüsse im laufenden Jahr in einer Größenordnung von bis zu 5 Prozent wird damit immer wahrscheinlicher.

Die Strukturschwächen des österrei- ĮcttlScttjSh Fremdenverkehrs werde© iimmer offensichtlicher. Seit der stillen SchÜlingaufwertung des Jahres 1974 ist Österreich für das deutsche Sommerreisepublikum kein billiges Urlaubsland mehr.

Während es beispielsweise Italien und Jugoslawien durch permanente Abwertungen ihrer Währungen gelingt, selbst exorbitante Inflationsraten auszugleichen, ja sogar zu über kompensieren, eine Politik, die in jüngster Zeit auch Spanien verfolgt, hat Österreich seinen Schilling fest an die DM gebunden und vollzieht so die Aufwertung der DM gegenüber den Währungen fast der ganzen Welt pausenlos mit.

Eine touristenfeindliche Besteuerung der Getränke und das starke Ansteigen der Nebenkosten vervollständigen das Bild. Österreich verliert im Preiswettbewerb ständig Terrain und kann nur noch auf die Schönheit seiner Landschaft setzen. Letztere ist aber sehr wetterempfindlich. Dank der noch immer zunehmenden Mobilität dės Tourristenstromes werden die Deviseneinnahmen immer mehr vom Wetter abhängig. Die Konkurrenz, die Mittelmeerländer, sind im Sommer fast immer regenfrei.

Neben der Verschlechterung der österreichischen Position von der Angebotsseite her ist aber auch eine entscheidende Nachfrageverschiebung zu Lasten des österreichischen Fremdenverkehrs eingetreten.

Die Bevölkerung der BRD stagniert seit Jahren, so daß dem weiteren Anwachsen des deutschen Touristenstromes natürliche Grenzen gesetzt sind. Für die jüngere Generation in der BRD ist Österreich als Reiseland nicht mehr so attraktiv, wie es dies in den vergangenen zwanzig Jahren für die Elterngeneration war. Wer als Kind oder Jugendlicher mit der Familie mehr als einen Urlaub in Österreich verbracht hat, richtet seine Reisewünsche auf fernere Länder aus. Das starke Anwachsen von Flugreisen ist ein weiterer Grund dafür, daß in Zukunft viele deutsche Touristen Österreich nur noch aus der Flugzeugperspektive besichtigen werden.

Mittel- bis langfristig sind daher Österreichs Chancen als Fremdenverkehrsland nur noch im Winterreiseverkehr relativ leicht ausbaufähig. Die Umstrukturierung von einem Billigreiseland , zu. £«iem teuren, .exklusi- ,ven Ferįęnparadies in? Sommer, wie die Schweiz, ist durch die hohen Kosten und die Wetterabhängigkeit mit sehr hohen Risiken belastet.

Dem österreichischen Fremdenverkehr bleibt daher für das Jahr 1977 nichts Besseres mehr übrig, als sich vertrauensvoll an den heiligen Petrus zu wenden und auf ein Wunder zu hoffen.

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