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Vertrauen schützt vor Klagen nicht

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Da kennt man jemanden recht gut. - und unterschreibt bedenkenlos Papiere. Wenn sich ein solches als Wechsel entpuppt, kann es passieren, daß man hinterher aus allen Wolken fällt.

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Da kennt man jemanden recht gut. - und unterschreibt bedenkenlos Papiere. Wenn sich ein solches als Wechsel entpuppt, kann es passieren, daß man hinterher aus allen Wolken fällt.

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Wenn einer eine Unterschrift abgibt, dann kann er was erleben. Diese Erfahrung mußte die Gastwirtin Cacilia S. aus Graz machen, als sie von einem ihrer Gäste mit einem üblen Trick dazu gebracht worden war, „nur für die Steuer“ eine angebliche Spesenabrechnung zu unterschreiben. Dabei hatte ihr der Gast ein färbiges, teilweise zusammengefaltetes Papier vorgelegt und sie ersucht, am Rande dieses Papiers ihre Unterschrift hinzuschreiben. Da sie diesen Gast schon seit längerer Zeit kannte, hatte sie bedenkenlos, ohne sich das zusammengefaltete Papier näher anzusehen die gewünschte Unterschrift geleistet.

Das „färbige Papier“ war in Wahrheit ein Wechselfomular. Der Gast füllte es flugs über die

Summe von 39.000 Schilling aus, setzte sich selbst als Remittent ein, unterschrieb als Aussteller und gab den Wechsel einem Gläubiger weiter.

Cacilia S. dürfte wohl aus allen Wolken gefallen sein, als ihr vom nunmehrigen Wechselinhaber eröffnet wurde, daß sie ihm aus einem von ihr angenommenen Wechsel 39.000 Schilling schulde. Sie weigerte sich zu zahlen mit der einleuchtenden Begründung, sie sei niemandem einen solchen Betrag schuldig. Sie wurde auf Zahlung geklagt - und verlor. Daß der Betrüger in der Zwischenzeit strafrechtlich verurteilt worden war, dürfte ihr wohl nur mehr ein geringer Trost gewesen sein.

Hinter diesem Anlaßfall steht eine Problematik von weitreichender Bedeutung: Wie kann es sein, daß die Gastwirtin 39.000 Schilling bezahlen muß, obwohl doch überhaupt kein „Grundgeschäft“ existiert, aus dem sie etwas schulden würde? Wie ist es möglich, daß aus einer betrügerisch herausgelockten Unterschrift eine Zahlungspflicht für die Betrogene resultiert, deren Höhe im freien Belieben des Betrügers steht (er hätte ja auch jeden anderen Betrag einsetzen können)? Und dennoch hat der Oberste Gerichtshof die Gastwirtin dazu verurteilt, 39.000 Schilling zu bezahlen, denn der Erwerber des Wechsels hat von dem Betrug nichts gewußt.

Im Wechselrecht stellt der Schutz des gutgläubigen Erwerbers den zentralen Angelpunkt des ganzen Systems der umlauffähigen Wertpapiere dar. Mit der Weitergabe des Wechsels „löst sich“ die Wechselforderung von der Forderung aus dem „Grundgeschäft“ (dessentwegen der Wechsel überhaupt ausgestellt

wurde) und gewinnt ein Eigenleben. Sie wird „abstrakt“. Demgemäß verweist auch der Oberste Gerichtshof in der Begründung seines Urteils einerseits auf die Redlichkeit des Gläubigers beim Erwerb des Wechsels und andererseits auf die Bestimmung des Artikels 17 Wechselgesetz, wonach Einwendungen, die sich auf die Beziehungen des Schuldners zum Wechselaussteller gründen, einem weiteren Erwerber nicht mehr entgegengehalten werden können.

Mit anderen Worten: Daß die

Gastwirtin betrogen wurde, kann sie nur dem Betrüger selbst, nicht aber einem späteren redlichen Erwerber des Wechsels entgegenhalten.

Im Anlaßfall liefert die Abstraktheit der Wechselschuld gemäß Artikel 17 Wechselgesetz jedoch nur vordergründig eine Rechtfertigung für das Urteil. Denn das, was die Gastwirtin unterschrieben hat, war bloß ein (einstweilen noch leeres) Wechselformular, also ein Blankowechsel. Daß mit der Unterfertigung eines Blankowechsels ein Risiko verbunden ist, weiß wohl jeder. Denn es könnte sein, daß der Wechsel anders vervollständigt wird, als es der Vereinbarung zwischen Blankettzeichner und Blankettnehmer entspricht (daß beispielsweise ein höherer als der wirklich geschuldete Betrag eingesetzt wird), und dann wäre der Blanko-Akzeptant einem gutgläubigen dritten Erwerber des Wechsels gegenüber verpflichtet,

die Wechselschuld nach Maßgabe des Inhalts des Wechsels zu bezahlen. Nur wenn der Erwerber grob fahrlässig gewesen sein sollte, weil er bei Erwerb des Wechsels aus irgendwelchen Umständen hätte Verdacht schöpfen müssen, könnte er keine höhere als die tatsächlich geschuldete Summe fordern.

Die Besonderheit im Anlaßfall ist, daß die Gastwirtin gar nicht wußte, daß sie ein Wechselblan-kett unterfertigte. Die einschlägige gesetzliche Bestimmung Artikel zehn Wechselgesetz setzt je-

doch immer einen Wechsel voraus, der abredegemäß, das heißt im Einverständnis zwischen Blankettzeichner und Blankettnehmer, unvollständig gelassen wurde. Denn nur wenn er vereinbarungsgemäß unvollständig war, kann er vereinbarungswidrig vervollständigt werden — und diesen Fall regelt Artikel zehn Wechselgesetz.

Was aber soll gelten, wenn von einer Zustimmung der Gastwirtin, aus dem unterfertigten Papier einen gültigen Wechsel zu machen, keine Rede sein konnte? Die Auffassungen darüber sind geteilt.

Manche sehen darin nicht eine vereinbarungswidrige, sondern eine unbefugte Vervollständigung des von der Gastwirtin unterschriebenen Formulares. Der Betrüger habe den vorgedruckten Text durch Ausfüllung verändert, also verfälscht. Dafür sehe jedoch das Wechselgesetz in Artikel 69 einen

Schutz des redlichen Erwerbers nicht vor! Jeder, der einen Wechsel unterschrieben hat, ohne seine Zustimmung zu einer nachträgli^ chen Veränderung gegeben zu haben, solle gemäß Artikel 69 Wechselgesetz (nur) nach dem Inhalt der Urkunde zum Zeitpunkt der Unterschriftsleistung haften!

Die Anwendung des Artikel 69 Wechselgesetz ergäbe für den Anlaßfall ganz absonderliche Konsequenzen. Füllt der Betrüger den Wechsel über 39.000 Schilling vollständig aus, bevor er die Unterschrift der Wirtin herauslockt, so haftet sie dem gutgläubigen Dritten nach dem Inhalt der von ihr unterschriebenen Urkunde — also für 39.000 Schilling. Füllt der Betrüger dagegen den Wechsel erst später aus, nachdem er die Unterschrift der Gastwirtin bereits herausgelockt hat, so haftet sie dem gutgläubigen Dritten nach dem Inhalt eines leeren Wechselformulars — also überhaupt nicht. Pikanterweise ist für den redlichen Wechselerwerber der Unterschied überhaupt nicht zu erkennen!

Der Oberste Gerichtshof hat -zu Recht — die Entscheidung nicht von der Zufälligkeit abhängig gemacht, ob der Betrüger das Wech-selformular vor oder nach Herauslockung der Unterschrift ausgefüllt hat. Jedoch sind die tragenden Grundsätze der Entscheidung nicht so deutlich geworden, wie dies notwendig wäre, um für zukünftige Fälle eine rechtliche Prognose zu ermöglichen. Immerhin bleiben noch genug Abgrenzungsprobleme offen.

Wie ist das nämlich, wenn Spitzensportler oder Filmschauspielerinnen massenhaft auf irgendwelchen Papieren Autogramme geben und sich dann ebenso massenhaften Wechselklagen gegenübersehen? Wie ist das, wenn der Käufer eines neuen Autos bei der Versicherung seine Blankounter-schrift hinterläßt, damit ein Versicherungsvertreter die polizeiliche Anmeldung des Fahrzeugs durchführen kann, und irgendjemand macht einen Wechsel daraus?

Diese ohne rechtsgeschäftliches Erklärungsbewußtsein abgegebenen Unterschriften sind in der Praxis und in der Rechtstheorie noch Gegenstand höchst unterschiedlicher Auffassungen. Besondere Vorsicht ist daher geboten.

Frau Cacilia S., Gastwirtin in Graz, wird jedenfalls keine Urkunde mehr ungelesen und blanko unterschreiben.

Der Autor ist Universitätsdozent am Institut für Handels- und Wertpapierrecht in Graz.

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