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Vertrauen wie anno dazumal

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Die jungen Marktwirtschaften des Ostens haben bestimmte Bedürfnisse und eigene Wege des Marktzuganges, über die sich neue Möglichkeiten für Österreichs Wirt- schaft eröffnen. Der Unternehmer muß sich diesen Anforderungen stellen, will er erfolgreich das Po- tential nutzen und in einem neuen Europa bestehen.

Bisher hat sich die Warenstruk- tur des Osthandels nicht wesent- lich geändert, auch wenn sich bei Konsumgütern eine Zunahme von 20,7 Prozent verzeichnen läßt. 13,8 Prozent unserer Ostexporte beste- hen aus Vorprodukten industriel- ler Fertigung, 86,2 aus Fertigwa- ren. Mit einer Gesamtexportquote von 8,6 Prozent (1989) haben die Ostmärkte für Österreich eine etwa dreimal so hohe Bedeutung wie im westeuropäischen Durchschnitt. Eine Studie des Wirtschaftsfor- schungsinstitutes hält eine reale Zunahme der Ostexporte um acht bisneunProzent 1990 und 1991 für möglich.

Als Ursache für die unveränderte Handelsstruktur sieht Günther Richter, Osteuropareferent der Bundeskammer für gewerbliche Wirtschaft, die Finanzierungs- schwierigkeiten. Der marktwirt- schaftliche Prozeß konnte sich nicht wie erwartet entwickeln, das alte Kompensationsgeschäft feiert eine Auferstehung, da sich die Beschaf- fung der notwendigen Devisen durch freien Verkauf und eigenen Export als unmöglich erweist. Die neuen Mitspieler der Marktwirt- schaft müssen erst lernen, mit wel- chen Produkten und welchen Stan- dards sie auf ihren Zukunfts- und Zielmärkten ankommen können.

Richter vergleicht die Situation unserer Nachbarn mit jener vieler afrikanischer Staaten, die auf Abnehmer angewiesen sind, die sowohl die Produkte als auch die Absatzmärkte kennen. Dazu kommt, daß zwar die Planwirtschaft aufgehört hat zu existieren, die Marktwirtschaft jedoch nur in je- nen Bereichen funktioniert, wo bereits gewisse Strukturen und wettbewerbsfähige Produkte vor- handen sind. Diese Faktoren ze- mentieren alte Strukturen ein. Die Zerschlagung der »großen staatli- chen Kombinate in kleine Einhei- ten nach marktwirtschaftlichen Prinzipien braucht seine Zeit. Das große Problem besteht darin, daß die rasante politische Entwick- lung - Politiker sind schnell aus- wechselbar und Programme rasch zu erstellen - wirtschaftlich nicht so schnell nachzuvollziehen ist. „ Nur Idealismus ohne Professiona- lismus ist zu wenig", stellt Richter fest, „sie haben zwar das wirtschaft- liche Know how, aber nur soweit es die alten Strukturen betrifft." Der Weg vom Befehlsempfänger, dem Waren, Qualitäten und Preise vor- gegeben werden, zum marktorien- tierten Manager, der es im Gegen- satz zum östlichen Verkäufermarkt mit einer Überflußgesellschaft zu tun hat, ist weit.

Richter stellt fest, daß zwar der gute Wille besteht und viele Theo- rien existieren, „doch es gibt keine Literatur, wie man die Planwirt- schaft auf eine Marktwirtschaft umstellt." Für unsere Unternehmer sieht er das große Problem, daß sie von Voraussetzungen ausgehen, die noch gar nicht vorhanden sind. Weder ist irgendeine Infrastruktur vorhanden, noch sind billige Ar- beitskräfte das entscheidende Kri- terium, wenn qualitative Anforde- rungen nicht erfüllt werden kön- nen.

Klein- und Mittelbetriebe müs- sen nach Auflösung der Großstruk- turen den Motor der Wirtschaft bilden, dazu ist jedoch erst ein ent- sprechender Erziehungsprozeß notwendig. Zusätzlich ist eine Rehabilitation der alten Anlagen zu teuer, ein Problem, mit dem auch Staaten wie Großbritannien und die USA zu kämpfen haben, jene Län- der, die nach dem Krieg nicht neu anfangen mußten, wie Mitteleuro- pa und Japan.

Eine große Chance sieht er in der Tatsache, daß der Ostmarkt Pro- dukte nachfragt, mit denen unser Markt bereits gesättigt ist. Gewis- sermaßen sind also Ladenhüter noch in den Markt hineinverkauf- bar. Österreichische Unternehmen, die den Technologiesprung noch nicht geschafft haben, könnten mit diesem zusätzlichen Geschäft den Vorstoß in höhere Bereiche finan- zieren.

Grundsätzlich bestehen für alle Branchen gute Möglichkeiten, ge- rade für die Konsumgüterindustrie und den Telekommunikationsbe- reich ergeben sich die größten Marktpotentiale. Ebenso gute Möglichkeiten bestehen für die Maschinenbauindustrie, da die veralteten Produktionsanlagen als Export- und damit Devisenbringer unbrauchbar sind. Zusätzlich müs- se der Osten beginnen zu rationali- sieren, analysiert Richter.Eine Entwicklung, die zu Laste*n des Humankapitals geht. Die Vorteile einer in sich geschlossenen Gesell- schaft wären nun weggefallen und damit sowohl die untergeordnete Bedeutung einer geringen Produk- tivität in einem abgegrenzten Markt als auch das soziale Auffangnetz. In dieser Situation müßten sich un- sere Unternehmen die zukünftige Position sichern, indem sie vor Ort präsent sind und sich wettbewerbs- fähige Partner aufbauen. Die Fi- nanzierung ihrer Leistungen müsse im Wege des Austausches gegen marktfähige Produkte geschehen. Kompensationsauflöserfirmen be- ginnen also wieder zu arbeiten, ein wesentlicher Faktor für die öster- reichische Wirtschaft.

Die östlichen Regierungen sind natürlich darauf bedacht, Joint- Ventures zu forcieren. Auf diesem Weg wollen sie die vorhandenen Rohstoffe mit dem entsprechenden Wertzuwachs ausstatten. Dadurch könnte es auf schnelle Art gelingen, den Devisenmangel zu beheben, lokale Arbeitskräfte einzubinden und den entsprechenden Know- how-Transfer zu bekommen, der sie in die Lage versetzt, Märkte aus eigener Kraft aufzubauen.

Die momentanen Bedürfnisse sind allerdings vor allem kurz- und mittelfristig. Die Bevölkerung er- fährt die Versuchung bisher nicht vorhandener Produkte, trotz der hohen Preise ist die Attraktivität gegeben. Die Frage ist nur, wie lange die Menschen dieser Gegenüber- stellung angesichts der starken Inflation standhalten. Es muß also zu einer schnellen Produktionsstei- gerung kommen, die nur durch Joint Ventures möglich scheint.

Der größte Teil der etwa 800 öster- reichischen Kooperationsfirmen arbeitet jedoch nicht im notwendi- gen Produktionssektor, sondern im Dienstleistungsbereich. Diese Lei- stungen gehen in den Konsum und den Tourismus. Diese Branchen sind natürlich leichter zu finanzieren, der Handel läßt im Westen produ- zieren und pumpt in den Markt, was absetzbar ist. Aus den jungen Marktwirtschaften wird herausge- holt, was nicht vorhanden ist.

Richter sieht entscheidende Ge- schäftsvorteile für den österreichi- schen Unternehmer. Nicht nur aus Zeiten der Monarchie lasse sich das Vertrauen erklären, vielmehr zähle die Tatsache, daß wir es als kleines Land geschafft hätten und außerdem eine große staatliche Industrie privatisiert haben. Ne- ben diesen Gemeinsamkeiten ge- schichtlicher und wirtschaftlicher Entwicklung erkennt Richter auch in der verwandten Mentalität einen wichtigen Faktor, verständlicher als jene anderer Europäer, der Japaner und Amerikaner. Das Erschwernis der Reperationslieferungen kehre sich nun zum Vorteil, die Sowjet- union kenne unsere Wirtschaft und wir ihre. Kontakte, die hoch oben angesiedelt sind und uns den Sprung erleichtern.

Nicht vergessen sollte die öster- reichische Wirtschaft vor allem die ehemalige DDR, warnt Richter, den riesigen Nachholbedarf dieses Landes sollten wir nicht über west- deutsche Firmen befriedigen, denn dann könnten wir Möglichkeiten „nur nach deren Willen wahrneh- men". Außerdem hätten wir sehr gute Kontakte mit „dem zweiten Deutschland", diewir zur Erschlie- ßung neuer Märkte nutzen müßten.

Die traditionelle Drehscheiben- funktion Österreichs im Osthandel könnte allerdings bald der Vergan- genheit angehören. Viele Ostländer haben bereits Assoziationsabkom- men mit der EG geschlossen oder werden es tun, eine reine Vermitt- lerfunktion gibt es dann nicht mehr zu erfüllen. Deshalb sei auch unser eigenes Verhältnis zur EG von ent- scheidender Bedeutung, meint Richter, denn 80 Prozent Export in den europäischen Raum stelle die „EG-Reife" unserer Produkte zwar außer Zweifel, der Außenzoll des Binnenmarktes und neue Bürokra- tiehemmnisse könnten uns in Zu- kunft jedoch schwerwiegende Wett- bewerbsnachteile bringen. Außer- dem würden Österreichs Unterneh- mer noch immer viel zu sehr vom Bürotisch aus arbeiten, ein Punkt, den die Situation in Osteuropa günstig beeinflussen könnte, weil die Menschen hinaus müßten.

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