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Vertrauens-Trip

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Die Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Chemieunfälle in Se-veso, Bhopal, Basel und Kairo waren — wie nicht anders zu erwarten — emotionell, kritisch und äußerst negativ für die chemische Industrie. Für den Laien aber eher überraschend ist das ungläubige Staunen, mit dem viele Exponenten der Chemie auf diese kritische Öffentlichkeit reagieren. Nicht selten stieß und stößt man nach wie vor auf völlige Verständnislo-sigkeit gegenüber den Befürchtungen der Bevölkerung.

In der Tat: Das Erwachen war für viele Chemie-Bosse bitter. Hubert Nachtsheim von der „Gesellschaft Deutscher Chemiker“ meint dazu: „Ob sich die Chemiker nun, wie ihnen zuweilen unterstellt wird, elitär abgeschottet oder ganz einfach nur in ihre Arbeit vergraben haben — die Öffentlichkeit hat ihnen ihr Mißtrauen ausgesprochen. Sie ist zur gnadenlosen Abrechnung mit einer Chemie angetreten, deren Nachteile aus der subjektiven Sicht vieler Menschen ihre Vorteile überwiegen.“

Wesentlich ist zweifellos der Umstand, daß es die Behörden offensichtlich verabsäumt hatten, einem sich ändernden Sicherheitsbedürfnis Rechnung zu tragen. „Die Schuld“, so Alfred Schmidt, Professor an der Technischen Universität Wien, „liegt aber nicht nur beim Gesetzgeber, sondern sicherlich auch bei den Vertretern der Wirtschaft, die Bedenken gegen neue und weitreichende Vorschriften haben.“ Der Schluß, den der Wissenschafter daraus zieht: Die Fachleute sollen sich gefälligst nicht nur mit Fragen der objektiven Sicherheit beschäftigen, sondern auch das wachsende subjektive Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft berücksichtigen. Darüber hinaus wären „vertrauensbildende Maßnahmen“ notwendig. Und — man muß wieder lernen, miteinander zu reden.

Verbal hat der Umweltschutz im Selbstverständnis aller Chemie-Multis heute seinen festen Platz. So erklärte etwa der Vorstandsvorsitzende der Hoechst AG, Wolfgang Hilger, kürzlich: „Sicherheit und Umweltschutz sind für uns ein Gebot vorausschauenden Handelns und eigener Verantwortung, Sicherheit und Umweltschutz stehen gleichrangig neben dem Ziel der Leistungsfähigkeit im internationalen Wettbewerb.“

Ähnliches hört man in letzter Zeit auch aus den Vorstands-Etagen von Bayer, Ciba-Geigy, Sandoz und anderen. Und man gibt zu, Fehler gemacht zu haben. Hoechst-Vorsitzender Hilger: „Es wurden Fehler gemacht, und es fiel manchmal schwer, sie einzugestehen. Damit haben wir aber ungewollt dazu beigetragen, daß die Vertrauensbasis zwischen Experten und Bevölkerung nachhaltig erschüttert worden ist.“

Schlußfolgerung: Die chemische Industrie Europas ist seit einiger Zeit auf dem Vertrauens-Trip. So will etwa die Bayer AG in den kommenden fünf bis acht Jahren mindestens drei Milliarden Mark für Umweltschutz und Sicherheit ausgeben. Vorstandsmitglied Prof. Büchel: „Ein Unternehmen wird in Zukunft nur bestehen können, wenn es hohe Qualität der Produkte und optimale Wirtschaftlichkeit auf der einen Seite sowie Umweltschutz und Sicherheit auf der anderen Seite zu gleichrangigen Zielen erklärt.“

Und in den Leitlinien für Umweltschutz und Sicherheit“ des Unternehmens findet sich der bemerkenswerte Satz: „Wenn es die Vorsorge für Gesundheit und Umwelt erfordert, wird — ungeachtet wirtschaftlicher Interessen - die Vermarktung von Produkten eingeschränkt oder die Produktion eingestellt.“

In Österreich bemüht sich der

„Fachverband der chemischen Industrie“ - der einen eigenen Arbeitskreis „Sicherheit und Umweltschutz“ eingerichtet hat -, das schlechte Image der Branche in der Öffentlichkeit durch konkrete Maßnahmen zu verbessern. Man arbeitet unter anderem zusammen mit der Feuerwehr an Alarm-und Katastrophenplänen, erstellt Sicherheits- und Brandschutzpläne und hat für die Betriebe eine Checkliste („Betriebsspezifisches Umweltschutzkonzept“) entwickelt.

International geht der Trend auch zur gezielten Reduktion einzelner Schadstoffe. Hoechst-Mann Hilger: „Die Strategie geht dahin, solche Schadstoffe von vornherein zu vermeiden. Das ist ein wesentliches Ziel unserer Forschung und Verfahrensentwicklung.“

Letztlich kehrt jede Chemie-Diskussion wieder zum verspielten und verlorengegangenen Vertrauen zurück, das es wiederzugewinnen gilt. Generaldirektor Franz Kafka von Henkel-Austria: „Chemische Industrie und Gesellschaft sollten sich über Werte und Ziele unterhalten und nicht über den .Schadstoff der Woche.“

Chemie braucht heute nicht nur Kompetenz, sondern auch Akzeptanz. Akzeptiert wird aber nur der, dem man vertraut. Das ist der Punkt. Chemie pauschal abzulehnen, wäre unrealistisch und dumm. Die Auswüchse einer lange Zeit ungebremsten chemischtechnokratischen Entwicklung zu beseitigen, ist hingegen eine legitime Forderung. Es wird an der chemischen Industrie und ihrer Ehrlichkeit liegen, ihr Negativbild zu korrigieren.

Der Autor ist Chefredakteur des Magazins „Umweltschutz“.

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